Der 24-Jährige wurde vom Islamischen Staat verfolgt. 7000 Anträge zur Einbürgerung liegen aktuell unbearbeitet bei der Kölner Ausländerbehörde.
Einbürgerung in KölnJeside (24) mit Bundestagsstipendium wartet seit 19 Monaten auf deutschen Pass

Sufjan Ato Shawrdi hat ein Stipendium des Deutschen Bundestags für die USA erhalten. Als Iraker könnte er Schwierigkeiten bekommen, ein Visum zu erhalten.
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Sufjan Ato Shawrdi ist Junior-Botschafter des Deutschen Bundestages. Der jesidische Flüchtling soll Deutschland im Rahmen des Parlamentarischen Partnerschaftsprogramms (PPP) in den USA vertreten, der Flug ist für den 16. August gebucht. „Ich empfinde das als große Ehre und Verantwortung“, sagt der 24-jährige Kölner, der vor den Massakern des Islamischen Staates vor neun Jahren mit seiner Familie nach Deutschland floh.
Seine Teilnahme an dem Austauschprogramm ist indes akut gefährdet. „Für irakische Staatsbürger ist es sehr schwierig, ein Visum zu bekommen, die Verantwortlichen des Programms haben mir mitgeteilt, dass das mit meinem aktuellen Reisepass wahrscheinlich nicht möglich sein wird“, sagt Shawrdi. Bis zum 1. Juni müsse er das Visum spätestens beantragen.
Für mich würde eine Welt zusammenbrechen, wenn ich mein Stipendium nicht antreten könnte
Shawrdi könnte längst deutscher Staatsbürger sein – doch sein Einbürgerungsverfahren bei der Kölner Ausländerbehörde ist seit 19 Monaten anhängig. „Für mich würde eine Welt zusammenbrechen, wenn ich mein Stipendium nicht antreten könnte“, sagt Shawrdi, der in Köln eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement abgeschlossen hat, in Vollzeit für einen Bürodienstleister arbeitet, ehrenamtlich als Fußballschiedsrichter jobbt und schon mehr als 200 Spiele gepfiffen hat. Im März hat Shawrdi eine Mail der zuständigen Sachbearbeiterin mit der Mitteilung erhalten, seine Einbürgerung befinde sich „in der abschließenden Bearbeitung“. Geschehen sei seitdem trotz zigfacher Nachfragen – auch mithilfe eines Anwalts – nichts.
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In den ersten Jahren in Köln hat Shawrdi Fußball bei Fortuna Köln gespielt, in der Dritten Mannschaft. Als das nach einem Rollerunfall nicht mehr möglich war, machte er die Schiedsrichterausbildung. Shawrdi ist fleißig, ehrgeizig und zielstrebig – die Schule schloss er ab, während er mit seinen Eltern und den fünf Geschwistern in Turnhallen und Flüchtlingsunterkünften lebte. Sein Deutsch ist perfekt. Der Kölner Bundestagsabgeordnete und langjährige Fraktionschef Rolf Mützenich (SPD) hat Shawrdi für das Stipendium des Deutschen Bundestags vorgeschlagen – das nun auf der Kippe stehen könnte.
Shawrdi hat sich an Dutzende Menschen gewandt, die ihm helfen könnten: Von Bundeskanzler Friedrich Merz und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner über Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Rolf Mützenich bis zu Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Einige von ihnen wie das Büro von Klöckner, die Kölner CDU-Fraktion oder die SPD-Bundestagsabgeordneten Sanae Abdi und Karl Lauterbach haben sich persönlich für eine schnellere Einbürgerung Shawrdis eingesetzt.
Der Anwalt Shawrdis weist in einem Schreiben daraufhin, dass dem Ausländeramt alle für das Einbürgerungsverfahren notwendigen Unterlagen seit dem 25. Oktober 2023 vorlägen. Die Stadt Köln antwortet auf eine Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“, die im September 2023 eingereichten Unterlagen seien zunächst unvollständig gewesen. Wegen Personalmangels habe „der Antrag leider mehrere Monate keine nachhaltige Bearbeitung erfahren“. Im Juni 2024 seien dann „fehlende und aktuelle Unterlagen angefordert sowie die erforderlichen sicherheitsbehördlichen Anfragen gestellt“ worden.
Einbürgerung: 7000 unbearbeitete Anträge liegen bei der Stadt Köln
Die Stadt führt zudem „strafrelevante Erkenntnisse“ an, in vier Verfahren sei der Verfahrensstand unbekannt gewesen. „Zu drei von vier Erkenntnissen haben wir zwischenzeitlich Einstellungsbeschlüsse seitens der Staatsanwaltschaft erhalten, es steht aber noch eine Mitteilung zum Abschluss eines Verfahrens aus, die abzuwarten ist. Sobald diese vorliegt, wird der Fall final auf alle Erteilungsvoraussetzungen geprüft und Herr Shwardi über das weitere Vorgehen informiert.“

Sufjan Ato Shawrdi arbeitet für einen Bürodienstleister
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Diese Antwort ist erstaunlich. Zum einen, weil sie nahelegen könnte, Shawrdi habe sich etwas zuschulden kommen lassen – das ist aber nicht der Fall. Bei den Verfahren habe es sich um Anzeigen von ihm gehandelt, da er als Fußballschiedsrichter tätlich angegriffen worden sei und es zu einer Auseinandersetzung gekommen sei – bei einem arbeitsrechtlichen Verfahren sei es um eine Abfindung gegangen. Shawrdi und sein Anwalt versichern, dass keine Anzeige gegen ihn vorliege – bei dem offenen Verfahren könnte es sich nur um die Anzeige Shawrdis handeln, nachdem dieser in seiner Funktion als Schiedsrichter angegriffen worden sei. „Ich werde immer wieder Zielscheibe von Beleidigungen und sogar körperlichen Angriffen“, sagt der 24-Jährige. „In solchen Fällen habe ich selbstverständlich die Polizei eingeschaltet. Das kann aber doch kein Grund sein, um mein Einbürgerungsverfahren auf Eis zu legen, oder?“
Der Verweis der Stadt auf das laufende Verfahren irritiert auch deswegen, weil die Sachbearbeiterin Shawrdi ja im März mitgeteilt hatte, dass seine Einbürgerung „in abschließender Bearbeitung“ sei.
Kölner Ausländeramt vergab monatelang keine Termine
Seit Juni 2024 können Ausländer schon nach fünf Jahren (und bei besonders guter Integration nach drei Jahren) in Deutschland eingebürgert werden – vorher mussten sie acht Jahre hier gelebt haben. Das hat zu einer Vielzahl von Anträgen geführt, die die Ausländerbehörden massiv überfordert haben. Das Kölner Amt hatte im vergangenen Mai kapituliert: Die Behörde hatte Einbürgerungsanträge für mehrere Monate nicht mehr angenommen, weil sie die Anfragen nicht mehr bearbeiten konnte.

Der Kölner Journalist Andrey Gurkov
Copyright: Maya Claussen
Der Journalist Andrey Gurkov, der in Ost-Berlin und Bonn aufwuchs und seit 1993 in Köln lebt, hatte bereits im September 2023 einen Termin für ein Erstgespräch beantragt – aber nie eine Antwort erhalten. „Auf der Internetseite hieß es, es könne mehrere Monate dauern, meine Nachfrage, ob ich denn registriert sei, wurde aber ebenfalls nie beantwortet.“ Gurkov hat einen unbefristeten Aufenthalt, den obligatorischen Einbürgerungstest hat er gemacht. „Da ich in der Zwischenzeit ein Buch geschrieben habe und meine Mutter gestorben ist, habe ich den Antrag nicht mehr verfolgt“, sagt er. Vor einem Jahr füllte er erneut ein Kontaktformular aus, erhielt jetzt immerhin eine Bestätigung, „aber leider wiederum keine weitere Antwort“.
Von Russland habe er sich „seit langem entwöhnt“, sagt Putin-Kritiker Gurkov, der jüngst das Buch „Für Russland ist Europa der Feind“ veröffentlicht hat. „Ich fühle mich der westlichen Welt zugehörig und möchte sehr gern EU-Bürger und Deutscher werden.“ Ob er noch einmal per Mail ein Erstgespräch beantragt oder einen Anwalt zur Hilfe nimmt, überlege er noch.
Aktuell warten Antragsteller auf Einbürgerung laut Stadtverwaltung im Schnitt „etwa elf bis 12 Monate auf das sogenannte Antragsklärungsgespräch, in dem Identitäten geprüft, Urkunden abgeglichen und Unterschriften geleistet und die Gebühr bezahlt werden. Je nach Komplexität des Falles, Vollständigkeit der Unterlagen und Dauer der Rückmeldung zu beteiligender Behörden dauert die dann abschließende Bearbeitung von wenigen Wochen bis zu etwa acht Monaten“.

Sufjan Ato Shawrdi arbeitet als Fußballschiedsrichter, mehr als 200 Spiele hat er schon gepfiffen. Einige Male wurde er beleidigt und tätlich angegriffen.
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Von der Antragstellung bis zur Einbürgerung vergingen in Köln „also derzeit etwa zwölf bis 20 Monate“, teilt ein Stadtsprecher mit. Auf eine vorrangige Bearbeitung wegen seines Stipendiums des Deutschen Bundestags könne Shawrdi nicht hoffen, so die Stadt. „Unterschiedliche Zeiten bei der Bearbeitung können sich lediglich aus der Komplexität der Fälle, aus unterschiedlichen Rückmeldezeiten zu beteiligender Behörden oder der Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen ergeben.“
9000 Anträge auf Einbürgerung werden laut Stadt Köln aktuell bearbeitet. Rund 7000 Anträge seien zudem „bislang noch nicht gesichtet“ worden. Damit die Menschen schneller eingebürgert werden als bislang, sei die Zahl der Stellen bei der Einbürgerungsstelle binnen eines Jahres von 29 auf 73 erhöht worden.
Sufyan Ato Shawrdi hilft das alles nicht. Auch wenn er in den kommenden Tagen seinen deutschen Pass erhalten sollte, wird er im August wohl nicht in den Flieger nach Washington steigen können. Wie das Auswärtige Amt dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bestätigte, haben die USA ihre Auslandsvertretungen angewiesen, die Terminbuchung für Visatermine für Studenten auszusetzen. „Ein zu langes Aussetzen wäre eine große Belastung für diese Studierenden und auch hinderlich für den akademischen und wissenschaftlichen Austausch, von dem beide Länder profitieren“, teilt ein Sprecher des Außenministeriums mit.
Sufyan Ato Shawrdi sagt, er hätte sein Visum noch nicht beantragt, weil er auf seine Einbürgerung gewartet habe. Deutschland als Junior-Botschafter in den USA vertreten wird der talentierte Kölner wohl nicht.