Im Comedia-Theater feierte das Musical „Baha und die wilden 70er“ eine umjubelte Premiere.
Furiose ZeitreiseBaha und die wilden 70 feiert Premiere

Premiere von „Baha und die wilden 70er“ in der Comedia: Aydin Isik, Mirjam Radovic, Baris Ar, Nedim Hazar, Serdar Arslan und Burcin Keskin (v.l.n.r.).
Copyright: Alexander Schwaiger
Kann man aus einem gescheiterten Arbeitskampf, der mehr als 50 Jahre zurückliegt, ein Musical machen? Wer Zweifel am Ziel des neuen Projekts von Nedim Hazar hatte, konnte sich im Comedia-Theater eines Besseren belehren lassen.
Der Schauspieler, Sänger und künstlerische Leiter des Sanat-Ensembles hat zusammen mit Regisseur Tony Dunham die mitreißende und sehr unterhaltsame Zeitreise inszeniert. Eine erstklassige Band um Schlagzeuger Klaus Mages spielt sich mit Janis Joplin, David Bowie, Hannes Wader und türkischer Volksmusik durch „die wilden Siebziger“.
Der Held ist tot, aber die Freunde singen weiter
Am Schluss dieser prallen Revue fühlt man sich nicht nur musikalisch an das Finale des Musicals „Hair“ erinnert: Der Held ist tot, aber die Freunde singen trotzdem weiter, weil die Hoffnung auf bessere Zeiten bleibt.
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Die Bezeichnung „Musical“ passt nicht ganz zu dem, was ein erstklassiges Ensemble auf die Bühne bringt. Hazar verbindet die Geschichte des gescheiterten Anführers des Kölner Ford-Streiks des Jahres 1973, Baha Targün, mit dokumentarischen Bildern und Berichten.
In kurzen Interviews auf der Bühne berichten die drei Zeitzeugen Seyfi Kurt, Peter Bach und Mischi Steinbrück von den Arbeits- und Lebensbedingungen der türkischen Gastarbeiter in der damaligen Zeit und vom Ablauf des Streits.
Bunte Collage
Ganz stark ist die Idee, fünf Sängerinnen aus Hazars Wahlheimat Königswinter – alle sind als Kinder von „Gastarbeitern“ dortgeblieben – wie ein Chor eines antiken griechischen Dramas mit den Profischauspielern zusammenzubringen.
Auch hier vermischt sich das Theaterspiel mit den Biografien der Akteurinnen auf der Bühne. „Baha und die wilden 70er“ ist eine bunte Collage, die zwischen Theater, Erzählungen, toller Musik und einer zeitgeschichtlichen Dokumentation immer wieder hin und her springt.

„Gastarbeiterkinder“ als Chor: Fünf Sängerinnen aus Königswinter standen mit den Profischauspielern auf der Bühne und begeisterten das Publikum.
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Mancher im Saal könnte sich mehr Informationen und Hintergründe zum Arbeitskampf bei Ford gewünscht haben. Egal ob Werksleitung oder Politik, Gewerkschaften, Betriebsrat oder Medien – sie alle haben sich damals nicht mit Ruhm bekleckert.
Deutsche Fordarbeiter durften mit Knüppeln und Schlagringen gegen die streikenden Gastarbeiter losschlagen, die etwas mehr Lohn („Eine Mark mehr für alle“) und bessere Arbeitsbedingungen forderten.
Zusammen mit einer ebenfalls wenig zimperlichen Polizei wurde der „wilde“ Streik nach vier Tagen „beendet“. Nedim Hazar verschweigt die Konflikte nicht, aber ihm ist wichtiger, eine positive Geschichte zu erzählen, die von Emanzipation und Selbstbehauptung berichtet.
Der Ford-Streik ist eine Zäsur der deutsch-türkischen Migrations- und Demokratiegeschichte: Gastarbeiter wollen nicht mehr nur Befehlsempfänger sein. Sie treten als politische Akteure auf, die Mitbestimmung einfordern.

Zeitzeugenerinnerung als Teil der Inszenierung: Peter Bach (r.) und Seyfi Kurt (2.v.r.) berichteten vom Fordstreik. Links: Nedim Hazar und Aydin Isik, im Hintergrund der musikalische Leiter Klaus Mages am Schlagzeug
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Schon vor der Pause ist die Geschichte des Streiks mit einem starken Popsong zu Ende erzählt. Danach geht es darum, was aus den Akteuren wurde.
Der charismatische Baha Targün – toll gespielt vom Schauspieler und Kabarettisten Aydin Isik – wird zu einer tragischen Figur. Andere werden in Deutschland heimisch, finden privates Glück und neue Betätigungsfelder, um sich weiter politisch zu engagieren.
Sich mit dem Alltag zu arrangieren, fällt nicht jedem leicht. Am Ende sind jedoch alle außer Baha irgendwie in Deutschland angekommen und geblieben. Bei der Premiere von „Baha und die wilden 70er“ in der ausverkauften Comedia gab es minutenlang stehenden Applaus. Für die weiteren Aufführungstermine vom 4. bis 6. November gibt es noch Tickets für 35 Euro, ermäßigt 25,80 Euro.

