Zwischen Tausenden Jecken, glitzernden Nudeln und singenden Omas zeigt sich: Der 11.11. ist für viele von ihnen nicht allein nur Karnevalsbeginn, sondern auch Familientradition.
„Petrus ist ’ne Kölsche“Wie Köln am Heumarkt in die neue Session tanzt

Sonnenschein und viele jubelnde Menschen begrüßen die neue Session am 11.11. um 11.11 Uhr auf dem Heumarkt.
Copyright: Daniela Decker
11.11 Uhr und elf Sekunden. So pünktlich hat es die Willi-Ostermann-Gesellschaft auf dem Heumarkt selten geschafft. Um exakt 11.11 Uhr und elf Sekunden zählt Präsident Ralf Schlegelmilch den Countdown herunter. Dann klatscht, pfeift und jubelt der Platz – ein lauter Knall, Konfetti in der Luft, und Köln ist wieder im Ausnahmezustand.
Ganz vorn, direkt an der Absperrung, steht Edith Papke. Um kurz nach vier hat sie schon vor dem Einlass gewartet– gemeinsam mit Töchtern und Enkelinnen. Zur Eröffnung darf sie nicht fehlen. Wie immer trägt sie Rot-Weiß, Hut und bunten Fetzenrock. Alles selbst gemacht, auch noch mit 86 Jahren. Ein Platz in der ersten Reihe sollte es für „Oma Edith“ sein – und genau so ist es gekommen.
Ein alter Willy-Millowitsch-Anstecker glitzert an ihrer Jacke. Für Oma Edith ist der 11.11. das Erlebnis des Jahres. Für die Familie drumherum: „Geil, aber anstrengend.“ Tochter Monika lacht, wirft eine Handvoll Konfetti in die Luft – Zustimmung auf kölsche Art.
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Edith Papke ist auf dem Heumarkt immer in der ersten Reihe mit dabei.
Copyright: Uwe Weiser
Während Edith Papke ihren Platz in der ersten Reihe behauptet, füllt sich der Heumarkt hinter ihr. Zwischen rot-weißen Federboas, funkelnden Paillettenjacken und blinkenden Kölsch-Hüten drängen sich die Jecken dicht an dicht. Es riecht nach Bier und Bratwurst.
Die Bratwurstverkäuferin sieht die Bühne nicht – die Toilettenhäuschen versperren die Sicht. Doch sie schunkelt trotzdem mit. Um sie herum ist Platz, ein seltener Luxus an diesem Tag. 30.000 Menschen erwartet die Stadt Köln am 11.11. in der Altstadt. Gegen halb zwölf werden die Zugänge zum Heumarkt geschlossen.
Einige Reihen hinter Edith Papke und Familie stehen die Nudeln aus Rheinland-Pfalz – dreizehn Frauen in blauen Outfits, übersät mit gelben Farfalle und goldenen Nudeln an den Ohren. Der 11.11. ist für sie ein Familientreffen. „Die einen kommen aus Köln, die anderen aus Idar-Oberstein, der Rest von der Mosel“, erzählt Kim. Ihre Cousine hatte die Kostümidee vorgeschlagen. Ein Jahr sind die Älteren dran, das Gruppenkostüm auszuwählen, im nächsten die Jüngeren. „Die Mütter sind, glaube ich, fitter im Feiern als wir.“ Für sie endet der Abend erst mit dem Abbau der Bühne. Das Gefühl müsse schließlich ein Jahr lang halten.
Karnevalsmäuse überall
Gleich daneben die Karnevalsmäuse aus Siegburg – mit selbstgenähten Hosen, blauen Haaren und Ohren aus Stoff. Ihre Inspiration: das Lied „Karnevalsmaus“ von der Band Druckluft. Für sie beginnt die Session Wochen vorher – beim Bastelwochenende mit Freundinnen. Normalerweise sind sie dreizehn, heute nur zu dritt. „Lehrerinnen“, sagen sie im Chor und rollen die Augen. In voller Besetzung gehen sie dann auf die Mädchensitzung und zum Rosenmontagszug.
Sie hatten schon viele Kostüme: Maibaum, Blumenstrauß, Synchrontrinkerin. Dieses Jahr werden sie neben den Mäusen noch einmal zu Federbällen – mit Reifröcken und Federn aus Moosgummi. „Nähen muss man nicht können“, sagt Karnevalsmaus Doro, „basteln reicht auch. Wir haben alle verschiedene Talente.“

Mitschunkeln reicht für Spaß am Elften im Elften. Diese Jecken sind noch textsicher dazu.
Copyright: Uwe Weiser
Karnevalsmäuse scheinen in diesem Jahr im Trend zu liegen. Auch Angelina, Julia und Jasmin können das Lied dazu fast textsicher mitsingen. Heute sind sie als Omas – Gertrud und Annelies – unterwegs. „An Karneval nimmt ja jeder jeden auf die Schippe. Da wollten wir auch einmal mitmachen. Und mit der Drei vorn tut auch mal der Rücken weh“, so Julia. Die drei schunkeln, lachen, stoßen mit Kölsch an.
„Eigentlich ist die Musik nur Nebensache“, sagt Angelina. „Wir freuen uns, in der Menge zu sein, neue Leute kennenzulernen. Und endlich mal kein Regen!“ Jasmin ergänzt: „Petrus ist ’ne Kölsche!“ Die Regenponchos aus dem letzten Jahr konnten sie dieses Mal zu Hause lassen. Eine Sonnenbrille ist dieses Mal das bessere Accessoire.
Joe aus den Niederlanden hat an die Sonnenbrille gedacht. Er ist mit Eliane, Ronald und Lilian aus dem selbst ernannten „Klein-Köln“ angereist. Kerkrade, kurz hinter der deutsch-niederländischen Grenze. Sie tragen glitzernde Bommel auf den Nasen, ihr Heimatdorf feiert einen vierstündigen Rosenmontagszug. Eine Sprachbarriere gibt es nicht. Textsicher sind sie alle: „Wer bei uns Platt spricht, versteht auch Kölsch.“

Auf der Bühne das designierte Kölner Dreigestirn mit Prinz Niklas I. (M., Niklas Jüngling), Bauer Clemens (r., Clemens von Blanckart) und Jungfrau Aenne (l., Stefan Blatt).
Copyright: Daniela Decker
Andrea Bach und Monika Starrenbeck aus Wesseling kennen sich seit Schulzeiten. Bach war früher Tanzmariechen, heute schunkelt sie lieber im Publikum. „Karneval ist ein Lebensgefühl“, sagt sie. „Das bleibt das ganze Jahr über.“ Karneval feiere sie noch bei 30 Grad im Sommer. Auf dem Heumarkt fühlen sich die beiden wohl. Es sei ein geschützter Bereich, sagen sie. Trotzdem führt ihr erster Weg nach der Ankunft am Bahnhof jedes Jahr zum Dom – Tradition.
Tradition statt Ballermann
„Tradition“ ist an diesem Tag ohnehin ein großes Wort. Immer wieder wird auf der Bühne betont: Karneval hat nichts mit dem Ballermann zu tun. Karneval in Köln sei viel mehr Tradition und eine Herzensangelegenheit. Präsident Schlegelmilch ruft es ins Mikrofon – und ein junger Mann zieht schnell seine Trainingsjacke zu, das pinkfarbene Bierkönig-Shirt darunter verschwindet. Sekunden später ist er wieder Teil der Polonaise.
Das designierte Dreigestirn – Prinz Niklas I., Bauer Clemens und Jungfrau Aenne – hält sich zunächst im Hintergrund. Von der Seite der Bühne aus beobachten sie das Treiben auf dem Heumarkt, während vor ihnen tausende Jecken mitschunkeln. Erst nach dem Auftritt der Räuber ist ihr großer Moment gekommen. Im Bühnengraben stehen Ex-Prinz René und Ex-Bauer Michael – aufmerksam, aber sichtbar gelöst.
René Klöver kennt das Gefühl nur zu gut. Die Anspannung vor dem ersten großen Auftritt, die Freude, wenn alles geschafft ist. Er teilt die Anspannung mit dem neuen Dreigestirn. Heute steht er lieber in der symbolischen zweiten Reihe: direkt vor der Bühne, aber nicht mehr darauf. „Unsere Ex-Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat mal gesagt, ihr Amt sei das schönste Amt der Welt – aber es sei gut, dass es endlich ist“, sagt Klöver. Und das gelte genauso für das Amt des Prinzen.

