Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Wehrpflicht für alle?„Mit uns spricht ja keiner“ – Kölner Schüler fühlen sich in der Debatte übergangen

Lesezeit 6 Minuten
Wehrdienst für alle
Wie stehen Kölner Schülerinnen und Schüler der Heliosschule dazu.

Die Oberstufenschüler Paul, Keanu, Jakob, Lara, Jaspar und Erik diskutieren mit ihrem Lehrer Helge Delfs über die Wehrpflicht.

Kölner Jugendliche sehen Notwendigkeit der Wehrpflicht in einer unsicher gewordenen Welt. Aber sie wollen die Wahl zwischen sozialem Dienst und Bundeswehr.

Eigentlich ist die Lage klar: Den Deutschen dämmere so langsam, dass „es ein Trugschluss war zu glauben, dass wir im ewigen Frieden leben“, wie Ex-Außenminister Joschka Fischer es formuliert. „Ohne Wehrpflicht werden wir beim Schutz Europas perspektivisch nicht vorankommen“, konstatiert der Pazifist von einst. Im Deutschlandtrend von dieser Woche befürworten inzwischen 27 Prozent der Befragten die Wiedereinführung der Wehrpflicht für junge Männer in ihrer ursprünglichen Form. 45 Prozent plädieren für eine neue Wehrpflicht für Frauen und Männer. Das heißt: Drei Viertel der Deutschen sehen angesichts der weltpolitischen Lage inzwischen diese Notwendigkeit.

Alle Parteien außer Linke und BSW hatten in ihren Programmen zur Bundestagswahl die Wehrpflicht verankert. „Noch im Jahr 2025 müssen die ersten Wehrpflichtigen durch die Kasernentore schreiten“, gab Florian Hahn, der verteidigungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Union, in der „Bild“ die Schlagzahl der Koalitionsverhandlungen vor.

Jugendliche fühlen sich in der Debatte nicht gehört

Am Ende steht zumindest im Koalitionsvertrag auf Drängen der SPD noch nicht die Wehrpflicht, sondern erst mal ein "neues Wehrdienstmodell", das "zunächst" noch auf Freiwilligkeit basiert. Noch in diesem Jahr sollen die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung aller Jugendlichen geschaffen werden. Während es um ihre Zukunft geht, haben Kölner Oberstufenschülerinnen und -schüler – stellvertretend hier diejenigen der Kölner Heliosschule – das Gefühl, dass mal wieder nur über sie gesprochen wird. Alle reden über die Wehrpflicht. Nur nicht mit uns, so kann man die Stimmung zusammenfassen. „Wir Jungen stellen halt deutlich weniger als zehn Prozent der potenziellen Wähler, sagt Jakob. Dass sie als Jugendliche in politischen Debatten gehört werden oder ihre Meinung eine Rolle spielt, das Gefühl hat hier keiner.

Während der Debatte sei ihm klar geworden, dass das mit der Wehrpflicht sie alle hier direkt nach dem Abitur hätte betreffen könnten, ergänzt Jakob und meint seine Mitschülerinnen und Mitschüler aus der EF (11. Jahrgangsstufe). Sie sind 16 und 17 Jahre alt. Die hohe Zustimmung zur Wehrpflicht in der Bevölkerung, wundert hier aber keinen. Denn: Wenn man nicht betroffen ist, kann man ja locker zustimmen. „Ich würde gerne mal wissen, was rauskäme, wenn man nur uns Jungen fragen würde“, ergänzt Keanu. Nur das mache ja eben keiner.

Bundeswehr-Werbung auf TikTok-Kanälen

Sie alle hier haben auf Social Media mitbekommen, dass die Bundeswehr ihre Präsenz systematisch ausgeweitet hat, um attraktiv zu wirken und Jugendliche zu gewinnen. Auf dem TikTok-Kanal „BundeswehrKarriere“ startete die Bundeswehr im vergangenen Jahr ihre Kampagne „Explorers“, in der die Bundeswehr auf einem Roadtrip wie ein riesiges Sport- und Abenteuercamp daherkommt. Mit Millionen Euro teuren Plakataktionen im öffentlichen Raum warb die Bundeswehr bereits vor einigen Monaten überall im Kölner Stadtbild: „In jedem Element in deinem Element, weil du es kannst“, prangte da von riesigen Häuserwänden. Ergänzt durch: „Das Gefühl, wenn eine ganze Armee hinter Dir steht. Weil Du es kannst“. Die Anmutung erinnert an eine Action-Serie auf Netflix oder ein Computerspiel.

Bundeswehr-Werbung 2.0

Prominente Werbung für die Bundeswehr auf einer Ehrenfelder Hausfassade.

Daneben sind auf Social Media Soldatinnen und Soldaten quasi „privat“ als Influencer mit großer Reichweite unterwegs, um ihren Alltag zu präsentieren. Da finden sich einzelne Kameraden mit zehn Millionen Likes, zeigen sich in voller Montur mit Waffen im Wald oder mit Schriftzügen wie „I’m a man, Ill be fine“ mit viel Action und männlicher Stärke.

Irgendwie bewege sich das alles zwischen einem Sportcamp und Coolness, aber es erzeuge auch Angst, weil das ganze eben doch mit dem realen Thema Krieg verknüpft sei, sagt Paul. Darüber mache er sich schon oft Gedanken. „Dass das mit der Wehrpflicht auch mit uns zu tun haben könnte, war bei mir noch gar nicht richtig angekommen“, sagt Maja. Wie es überhaupt unter den Mädels noch kaum Thema sei, dass das ja tatsächlich beide Geschlechter betreffen könne. „Von daher ist es gut, dass wir hier jetzt endlich mal drüber sprechen, um uns überhaupt grundsätzlich eine Meinung zu bilden“, ergänzt Lilly.

„Eigentlich ist für mich klar, dass ich von meiner Haltung her nicht kämpfen würde. Aber wenn das dann jeder so sähe?“, fragt sich Paul. Aber einfach Wehrdienst leisten, ohne sich bewusst zu machen, dass man das im Ernstfall auch anwenden muss, kommt ihm auch unstimmig vor. „Aber vielleicht wäre so ein Jahr Bundeswehr nach der Schule ja doch eine ganz coole Erfahrung. Und das mit dem ganzen Sport hat ja auch seinen Reiz“, gibt Erik zu bedenken.

Wehrdienst für alle
Wie stehen Kölner Schülerinnen und Schüler der Heliosschule dazu, auf die das mit relevanter Wahrscheinlichkeit zukommt.

Jakob fänd es wichtig, dass man im Rahmen eines Pflichtjahres wählen kann, ob Wehrdienst oder sozialer Dienst.

Dabei ist klar: Die Bundeswehr braucht mehr Wehrpflichtige genauso wie Berufssoldaten. 170.832 Berufssoldaten hatte die Bundeswehr im vergangenen Jahr, dazu kamen 10.119 junge Menschen, die freiwillig ihren Wehrdienst geleistet haben. Das sind zu wenig. Dabei steigt die Zahl der Minderjährigen, die sich mit 17 Jahren mit Einverständnis der Eltern zum freiwilligen Dienst bei der Bundeswehr melden deutlich an: Im vergangenen Jahr waren es knapp 2000 Rekruten unter 18 Jahren. 2023 waren es noch 1773.

Mehr Bewerbungen in Köln für militärische Laufbahn

Bezogen auf die Stadt Köln sieht man, dass auch die Werbung – insbesondere in den sozialen Netzwerken – Wirkung zeigt: Die Bewerbungen für die militärische Laufbahn seien gegenüber dem Vorjahr um 17 Prozent gestiegen, sagte eine Sprecherin der Bundeswehr in Köln. Bei der Laufbahn Feldwebel sei es sogar ein Plus von 23 Prozent. Nach bisheriger Planung sollte die Bundeswehr bis 2031 auf mindestens 203.000 Mann anwachsen. Zum Vergleich: Während des Kalten Krieges verfügte die Bundeswehr über knapp 500.000 aktive Soldaten. Durch Mobilisierung von Reservisten wäre damals im Kriegsfall eine Personalstärke von insgesamt 1,3 Millionen Soldaten möglich gewesen.

Paul und Keanu von der Heliosschule

Paul und Keanu würden den Wehrdienst zugunsten eines sozialen Jahres verweigern.

Lukas Hinze ist einer von den Kölnern, die sich nach dem Abitur an einem Kölner Gymnasium erst für einen freiwilligen Wehrdienst und dann für einen Vertrag als Soldat auf Zeit entschieden haben. Der inzwischen 21-Jährige, der eigentlich anders heißt und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, mag die Kameradschaft in der Truppe, den Spaß, die sportlichen Herausforderungen. Derzeit trainiert er für die Inlandsverteidigung den Häuserkampf. „Ich gehe innerlich aber nicht davon aus, dass ich das, was ich da lerne, irgendwann im realen Kampf einsetzen muss“, sagt er. Und wenn es dann eben doch passieren sollte mit dem Krieg, „dann bin ich zumindest gut ausgebildet und kann mich wehren“. Angefixt hätten ihn während der Oberstufenphase die Werbevideos auf Youtube.

Lebensgefühl der Jugend ist unsicher geworden

Was die Schülerinnen und Schüler an der Heliosschule eint, ist nicht nur diese Angst, dass so etwas Unvorstellbares wie Krieg näher rücken könnte. Es ist dieses veränderte Lebensgefühl der Jungen spürbar, nicht mehr auf verlässlichem Grund zu stehen: Corona, Ukraine-Krieg, Klimakrise, Trump. Irgendwie ist ihr gesamtes bewusstes Leben lang immer Krise gewesen. „Aber so im Alltag, da schaut man dann halt, dass man das nicht wahrnimmt“, sagt Erik. Sich für die Verteidigung Deutschlands oder letztlich der Demokratie an der Waffe ausbilden zu lassen, die Vorstellung ist ihnen sehr fremd. Aber dass die Wehrpflicht in den nächsten Jahren perspektivisch wohl wieder nötig ist, sehen sie alle ein. „Trotzdem sollte niemand gezwungen werden zum Dienst an der Waffe. Wir wollen einfach nur eine Wahl haben, ob wir Wehrdienst leisten oder ein soziales Jahr machen“, sagt Jakob und die Runde nickt. Das wäre doch früher auch so gewesen und komme der Gesellschaft ja auch zugute.

Dabei muss die junge Generation doch künftig schon so viel schultern: Pflegenotstand, Renten für die Babyboomer, Klimakrise. Jetzt auch noch ein solches Pflichtjahr – ist das eigentlich gerecht? Wär‘ schon okay, kommt da unisono zurück. Wer würde denn bei einem solchen Pflichtjahr die Option Wehrdienst wählen? Kein Finger geht hoch. „Ich würde aber mal darüber nachdenken“, sagt Erik.