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Ostermärsche in NRW„Auch für Russland kann der Krieg nicht endlos weitergehen“

Lesezeit 5 Minuten
30.03.2024, Köln: Auf dem Roncalliplatz startete der Ostermarsch.  Motto : "Kriege beenden, Aufrüstung stoppen, Atomwaffen abschaffen! Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit!" 
 Foto: Uwe Weiser

Teilnehmer des Ostermarschs 2024 sammeln sich am 30. März 2024 auf dem Roncalliplatz im Schatten des Kölner Doms.

Dass die Debatte über die Wehrpflicht von der Ü60-Generation befeuert wird, hält Kristian Golla (62), Organisator der Ostermärsche in NRW, für „verstörend“.

Deutschland diskutiert über Wehrpflicht und Kriegstüchtigkeit, Putins brutaler Angriff am Palmsonntag auf Sumy zeigt, was er von den Friedensinitiativen hält, der Krieg in Gaza geht weiter. Wird das den Ostermärschen am Wochenende Auftrieb geben?

Die Schlagzeilen über die vielen Menschen, die Tag für Tag in den Kriegen in der Ukraine, Gaza, Sudan und anderswo sterben, sind deprimierend. Ich kann jeden verstehen, der die Feiertage nutzt, um sich eine Auszeit von diesen Schreckensmeldungen zu nehmen. Aber ich habe auch die Hoffnung, dass sich viele Menschen bei den Ostermärschen dazu entscheiden, ihren Unmut dagegen auf die Straßen zu tragen und die lange Protesttradition fortzusetzen, die es bereits seit 1960 in Deutschland gibt.

Menschen marschieren 1962 für den Frieden

Der Ostermarsch 1962 im Ruhrgebiet war der erste, an dem sich viele Menschen beteiligten. Die Tradition gibt es schon seit 65 Jahren. Foto: IMAGO/Klaus Rose

Warum soll man noch auf die Straße gehen, wenn sogar der ehemalige grüne Außenminister Joschka Fischer sagt, dass ein europäischer Atomschirm dringend notwendig ist?

Joschka Fischer geht seit Jahren mit der Forderung nach einer sogenannten Euro-Bombe hausieren. Gerade er als ehemaliger Außenminister sollte aber wissen, dass dies den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands gemäß dem Nichtverbreitungsvertrag widerspräche. Außerdem hat eine Euro-Bombe das Potenzial, weitere Staaten dazu zu ermuntern, nach der Atombombe zu greifen. Fischer irrt sich von vorne bis hinten. Was wir eigentlich gerade brauchen, ist das genaue Gegenteil davon: Mehr internationale Kooperation und eine Stärkung des Völkerrechts. Ich bin froh, dass genau dafür viele Menschen zu Ostern auf die Straßen gehen.

Wir könnten diesen Standpunkt ja noch einnehmen. Aber was sagen wir den Menschen in der Ukraine? Wie soll denn ein Frieden aussehen angesichts eines Aggressors, der keinen Frieden will? Und eines US-Präsidenten, für den auch die Ukraine nur ein Deal ist, um sich deren Bodenschätze zu sichern?

Wenn sich beide Seiten an einen Tisch setzen, muss es um etwas gehen, das beide Seiten als gerechten Frieden empfinden können. Die Bundesregierung sollte alle ihr zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung setzen, um die Verhandlungsbereitschaft bei allen Kriegsparteien zu fördern. Dabei sollte sie auch darauf achten, dass es zu einem nachhaltigen Frieden kommt und eben nicht zu einem Diktat-Frieden zu Lasten der Ukraine. Was ist denn die Alternative? Sollen noch mehr Menschen sterben, ob mit oder ohne Uniform?

Sie haben die Frage doch selbst gestellt, aber nicht beantwortet. Was ist denn die Alternative?

Von der Bewegung „Fridays for Future“ haben wir gelernt, die Wissenschaft in den Blick zu nehmen. Was hat sie zum Thema Klimawandel zu bieten? Jetzt könnte uns die Friedens- und Konfliktforschung weiterbringen. Sie hat zahllose Kriegsenden und Verhandlungen untersucht und herausgefunden, dass über die Hälfte der zwischenstaatlichen Konflikte durch Verhandlungen enden. Ein Friedensabkommen hält außerdem länger, wenn Zivilgesellschaft und marginalisierte Gruppen, darunter Frauen, daran beteiligt wurden und wenn der Friedensschluss von allen Parteien als gerecht empfunden wurde. Das ist aller Mühen wert, auch bei scheinbar aussichtslosen Konflikten. Da wurde häufig abseits der Öffentlichkeit und mithilfe von Vermittlern lange und intensiv ausgelotet, was möglich ist.

Kristian Golla

Kristian Golla, Geschäftsführer des Netzwerks Friedenskooperative und Organisator der Ostermärsche in NRW, sagt: „Generell halte ich es für nicht verkehrt, darüber nachzudenken, wie sich die Welt neu ordnen könnte und sich zu überlegen, wer dabei Bündnispartner sein könnten. Die Welt besteht nicht nur aus den USA, Russland und China.“

Und was könnte das sein?

Friedensverhandlungen und Verhandlungen über einen Waffenstillstand sind möglich, sie müssen aber auch politisch initiiert werden. Verhandlungen müssen gründlich geplant und vorbereitet werden. Es gibt nicht die eine Blaupause, die auf Kriege und Konflikte angewendet werden kann. Die Zustimmung aller Konfliktparteien ist für ein Friedensabkommen notwendig und darf nicht über die angegriffene Ukraine hinweg geschehen. Auch für Russland kann der Krieg nicht endlos weitergehen.

Muss es in Deutschland wieder eine Wehrpflicht geben?

Wehrpflicht und Aufrüstung lehnen wir ab. Es ist auch zutiefst verstörend, wenn die Debatte über die Reaktivierung der Wehrpflicht von Menschen wie uns aus der Ü60-Generation vorangetrieben wird. Da gewinnt man schnell den Eindruck, das ganze Land warte voller Vorfreude auf den Dienst an der Waffe. Aber die jungen Menschen, die das betreffen würde, haben dazu eine ganz andere Meinung: Die lehnen die Wehrpflicht mehrheitlich ab. Das kann ich gut nachvollziehen. Ich würde mir an deren Stelle auch wünschen, dass Konflikte durch internationale Kooperation gelöst werden statt an der Waffe.

Internationale Kooperationen. Aber mit wem? Es hat den Anschein, als wolle sich Trump aus Europa und möglicherweise auch aus der Nato zurückziehen.

Zwar bin ich mir unsicher, wie lange das Bestand haben wird, aber generell halte ich es für nicht verkehrt, darüber nachzudenken, wie sich die Welt neu ordnen könnte und sich zu überlegen, wer dabei Bündnispartner sein könnten. Die Welt besteht nicht nur aus den USA, Russland und China. Gerade jetzt brauchen wir eine Stärkung internationaler Organisationen wie der UNO.

Die Friedensbewegung fordert in ihrem Aufruf für 2025 den Aufbau einer neuen europäischen Friedensordnung und die friedliche Koexistenz mit Russland und mit China. Nichts für ungut. Das ist doch eine Utopie. Wie soll man das erreichen?

Ja, das ist eine Utopie, das heißt aber nicht, dass sie unerreichbar wäre. Zunächst einmal fordern wir die Aufarbeitung der Völkerrechtsverstöße. Eine neue Friedensordnung, die auf gemeinsamer Sicherheit basiert, muss der Ukraine Frieden garantieren und langfristig Russland miteinschließen. Auch die Aussöhnung zwischen den ehemaligen „Erbfeinden“ Deutschland und Frankreich war ein Generationenprojekt.

Wie setzt sich die Friedensbewegung im Jahr 2025 zusammen?

Sie ist ein guter Spiegel der Gesellschaft. Auch bei der Abbildung der Alterskohorte. Die Friedensbewegung besteht vor allem aus älteren Semestern. Ich erkenne aber auch eine Staffelübergabe an eine jüngere Generation, die zahlenmäßig aber deutlich kleiner ist.

Welche Protestschilder würden Sie zum Drei-Tages-Ostermarsch durchs Ruhrgebiet mitnehmen? Mit welchen Botschaften?

Ich würde eines unserer Protestschilder mitnehmen, mit der Botschaft: „Völkerrecht gilt für alle – ohne Ausnahmen“.


Ostermärsche in NRW - eine Übersicht

In mehr als einem Dutzend NRW-Städten sind Ostermärsche geplant. Themen seien die Forderung nach Friedensinitiativen für Nahost und die Ukraine sowie die Ablehnung von Aufrüstung, Atomwaffen und der geplanten Stationierung von Mittelstreckenwaffen, erklärte das Netzwerk Friedenskooperative in Bonn. Der seit Jahren organisierte dreitägige Ostermarsch Rhein-Ruhr von Duisburg nach Dortmund ist die größte Demonstration in NRW.

Die meisten Veranstaltungen sind am Karsamstag geplant, unter anderem in Köln, Bonn, Wuppertal, Hamm, Münster, Bonn und Bielefeld.

In Köln ruft das Friedensforum am Ostersamstag um 14 Uhr zu einer Kundgebung auf dem Alter Markt auf. Sie steht unter dem Motto: „Friedensfähig statt kriegstüchtig! Für eine demokratische, zivile und soziale Zeitenwende – Kriege beenden, Aufrüstung stoppen!“

Am Sonntag sind Ostermarschierer in Essen, Wattenscheid und Bochum unterwegs. Am Ostermontag endet der Ostermarsch Rhein-Ruhr 2025 in Dortmund. In Gütersloh wird an einem ehemaligen Militärflughafen für eine friedliche Nutzung des Geländes demonstriert. In Krefeld findet die Demonstration am Ostermontag statt als Fahrradtour mit mehreren Stationen in der Stadt, etwa am Ausländeramt und am ehemaligen Kreiswehrersatzamt statt. (dpa)


Zur Person

Kristian Golla (62) zählt zu den zentralen Akteuren der deutschen Friedensbewegung und ist seit vielen Jahren Sprecher des Netzwerks Friedenskooperative mit Sitz in Bonn. In dieser Funktion koordiniert er unter anderem die Ostermärsche. Golla betont regelmäßig die Notwendigkeit, bei internationalen Konflikten diplomatische Ansätze zu verfolgen und hebt immer wieder hervor, dass die Friedensbewegung den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auf das Schärfste verurteilt. (pb)