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Über den Rhein in die WeltmeereWie ein Kölner Verein mit der „Rheinkrake“ gegen Umweltgefahren ankämpft

6 min
Das Bild zeigt Christian Stock und Kai Hirsch bei der Säuberung der Rheinkrake.

Christian Stock (l.) und Kai Hirsch fischen alle zwei Wochen Müll aus der Müllfalle „Rheinkrake“. Deutlich gefährlicher als die Topfpflanze, die Stock hier aus dem Rhein entfernt, ist Plastikmüll.

Die UN-Ozeankonferenz rückt den Schutz der Weltmeere vor Plastik in den Mittelpunkt. Die „Rheinkrake“ setzt diesen bereits seit 2022 vor der Kölner Haustür durch. 

Hüfttief und in einen wasserdichten Überzieher gekleidet steht Christian Stock, erster Vorsitzender der „Kölner Rhein-Aufräum-Kommando-Einheit“ (Krake), im Rhein. Er versucht, mit seinem Fuß einen noch nicht identifizierten Gegenstand vom Boden des Flusses in seine Hände zu manövrieren. Auf einem Bein in der Strömung stehend ist das recht wackelig, also hält Stock sich am metallenen Gitter der Müllfalle „Rheinkrake“ fest, in der er sich befindet. „Jetzt komm hoch“, ruft er angestrengt, nachdem der Gegenstand ihm schon wieder über den Fuß gerutscht ist. Es dauert noch einige Versuche, dann hat er es endlich geschafft. Der Gegenstand ist in seinen Händen und es handelt sich um: „'ne Topfpflanze. Die haben wir hier öfter“, sagt Stock, zuckt die Achseln und wirf die Pflanze in einen der Müllbottiche am Seitenrand der Müllfalle.

Müll im Rhein: Ball, Weinflasche, einzelner Schuh

Inmitten der eingesammelten Gegenstände ist sie wohl der am wenigsten gefährliche Fund. Am heutigen Vormittag haben Stock und sein Krake-Kollege Kai Hirsch unter anderem einen Ball, eine Weinflasche, einen Schuh und jede Menge kleinteiligen Plastik- und Verpackungsmüll aus der Müllfalle gefischt. Wenn dieser über den Rhein in die Weltmeere gelangt, gefährdet er Mensch und Umwelt nachhaltig. Welche Konsequenzen drohen und wie ein Kölner Verein dagegen ankämpft.

Das Bild zeigt Kai Hirsch und Christian Stock bei der Reinigung der Müllfalle.

Im Sommer erfrischende Abkühlung, im Winter ein gefühltes Eisbad: Kai Hirsch (l.) und Christian Stock reinigen das ganze Jahr hindurch die Müllfalle „Rheinkrake“ auf Höhe der Zoobrücke.

Fünf Tage lang haben Vertreter aus 130 Staaten im Juni auf der UN-Ozeankonferenz darüber beraten, wie die Weltmeere schnellstmöglich und nachhaltig zu schützen sind. Ein zentrales Thema der Diskussionen war der Kampf gegen Plastikmüll. Über 20 Millionen Tonnen werden davon jährlich in die Meere gespült. Allein aus dem Rhein fließt jeden Tag zirka eine Tonne Abfall in die Nordsee.

Wie die „Rheinkrake“ funktioniert

Die Müllfalle „Rheinkrake“ in Köln macht in dieser Hinsicht vor, wie die Umwelt effektiv vor der eigenen Haustür geschützt werden kann: Nämlich durch die Beseitigung von Müll in den Flüssen, bevor dieser überhaupt ins Meer gelangt. Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ betont der Experte für Kreislaufwirtschaft Henning Wilts vom „Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie“ die Relevanz ebendieses Verfahrens: „Die Entfernung von Plastikmüll speziell aus dem Meer ist extrem aufwändig, sodass man alles daran setzen sollte, dass er dort überhaupt nicht hingelangt. Plastikabfall zerfällt in immer kleinere Teile, sinkt im Meer häufig auch zu Boden.“ Zusätzlich würden auf dem Müll angesiedelte Tiere durch dessen Entfernung belastet werden.

Das Bild zeigt die Rheinkrake.

Auf Höhe der Zoobrücke säubert die Rheinkrake seit September 2022 unablässig den Rhein.

„Unsere Rheinkrake ist Deutschlands erste – und aktuell einzige – Müllfalle Deutschlands“, erklärt Stock. Nach einem Vorbild aus London wurde der zirka zehn Tonnen schwere Stahlkoloss konstruiert und befindet sich auf der Höhe der Zoobrücke. Die Funktionsweise ist so einfach wie effektiv: Vorwiegend leichter Abfall wird durch die Rheinströmung in den drei Meter breiten Fangkorb getrieben. Dort bleibt er zwischen zwei stählernen Gittern stecken und wird dann jeden zweiten Samstag von den Ehrenamtlern der Krake entsorgt. Erfrischt im Sommer, eiskalt-ausgekühlt im Winter stehen sie dann in ihren Wasseranzügen hüfttief im Rhein und greifen nach allem, was dort nicht hineingehört.

„Nicht die endgültige Lösung“

Seit September 2022 säubert die Rheinkrake so unablässig einen drei Meter breiten Rheinabschnitt. Damit deckt die Müllfalle zirka ein Prozent der Rheinbreite ab. Das zeigt allerdings auch die Grenzen der lokalen Präventionsmaßnahme auf: Pro Jahr kann die Rheinkrake nur etwa 1,5 bis 2 Tonnen Müll aus dem Rhein auffangen.

Das Bild zeigt einen Eimer mit angespültem Müll.

Insbesondere leichter Verpackungs- und Plastikmüll werden in der Rheinkrake angespült.

„Was wir hier machen, ist nicht die endgültige Lösung, um den Rhein von Abfall zu befreien“, sagt so auch Stock. „Aber wir können die Entwicklung des angespülten Mülls im Rhein nachvollziehen“, ergänzt Hirsch. So lässt sich der eingesammelte Abfall auf die gesamte Rheinbreite statistisch hochrechnen.

Das Bild zeigt Plastikmüll, der beim Monitoring der Krake sortiert wurde.

Beim Monitoring der Krake kommt vor allem Plastikmüll zusammen.

Seitdem die Müllfalle im Rhein schwimmt, werten die Ehrenamtler der Krake gemeinsam mit Mitarbeitern der Universität Bonn den Müll wissenschaftlich aus. „Dafür messen und wiegen wir alle angespülten Teile“, erklärt Frank Fuchs, während er den zuvor von Stock und Hirsch gesammelten Müll im Mülheimer Hafen einem Monitoring unterzieht. „Dann kategorisieren wir den Müll. Um international vergleichbare Daten zu sammeln, orientieren wir uns an einer EU-Richtlinie und teilen den Abfall in 184 verschiedene Müllarten auf“, ergänzt Fuchs. Ein vorläufiges Ergebnis: Zirka 80 Prozent des angeschwemmten Mülls ist Verpackungsmüll aus Plastik.

Das Bild zeigt ein Fass und Plastikmüll, den die Rheinkrake gefiltert hat.

Auch Plastikmüll, der in seiner Ursprungsform größer als fünf Millimeter war, kann zu Mikroplastik werden, indem er sich im Wasser zerkleinert.

Auf den 99 Prozent Rheinbreite, die nicht von der Rheinkrake gesäubert werden, dürften also Hunderte Tonnen Plastikmüll im Jahr in die Nordsee gespült werden. Davon geht das Forschungsteam der Uni Bonn nach vorläufigen Hochrechnungen aus. Wilts nennt die daraus resultierenden Risiken: „Plastikabfall schädigt ganz massiv speziell maritime Ökosysteme: An vermüllten Stränden werden Tiere vertrieben, finden weder Nahrung noch Brutstätten. Im Meer können die Plastikteppiche die Pflanzen und Tiere darunter schädigen, wenn alles verschattet wird. Besonders gefährlich ist der Plastikabfall für Tiere, die ihn für Futter halten und fressen – diese können daran ersticken oder besonders qualvoll sterben, wenn der Plastikabfall die Mägen verstopft.“

Menschen nehmen fünf Gramm Mikroplastik pro Woche zu sich

Auch für den Menschen entstehen daraus ernste Probleme. Eine Studie im Auftrag der Umweltorganisation WWF ergab, dass der Mensch jede Woche fünf Gramm Mikroplastik – das entspricht dem Gewicht einer Kreditkarte – zu sich nimmt. Wilts sagt dazu: „Immer mehr Studien zeigen, wie sich Mikroplastik in unseren Körpern ansammelt und dabei auch wichtige Schranken in unserem Gehirn überwindet. Noch immer kann die Forschung nicht exakt vorhersagen, welche Krankheiten daraus entstehen könnten.“

Das Bild zeigt eine Plastiktüte, an der Nurdles kleben.

Nurdles kleben an allerlei anderem Müll und gelangen so in die Weltmeere.

Immer öfter finden die Ehrenamtler der Krake sogenannte „Nurdles“ beim Monitoring. Auch der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete bereits vor zwei Jahren von deren Aufkommen im Rhein sowie ihrer ungeklärten Herkunft. Bei Nurdles handelt es sich um kleine Kugeln aus Plastikgranulat, die den Rohstoff für Plastikprodukte aller Art bilden. Oft kleben Nurdles an anderem Abfall und werden so über den Rhein in die Nordsee geschwemmt. Sie stellen weltweit betrachtet die zweitgrößte Quelle für Mikroplastik in den Meeren dar.

In Köln und Umgebung werden Nurdles produziert

In Köln und der direkten Umgebung gibt es drei Hersteller von Nurdles. „Covestro“ produziert sie in Krefeld, „Ineos“ in Köln und „Lyondell Basell“ in Wesseling. Auf Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu den Umweltschutzmaßnahmen antworten die Unternehmen ähnlich. Eine Sprecherin von Lyondell Basell sagt: „Durch unsere umfangreichen Umweltschutzmaßnahmen versuchen wir wirklich alles, damit keine Pellets in die Umwelt gelangen.“ Ein Sprecher von Covestro sagt ebenfalls: „Wir sind der Überzeugung, dass die von uns etablierten Maßnahmen effektiv einem Eintrag von Pellets in die Umwelt entgegenwirken.“ Und eine Sprecherin von Ineos verweist darauf, dass das Unternehmen sich in der Pflicht sehe, „das Thema Kunststoff mit größter Umsicht zu behandeln. Denn: Kunststoffe sind ein wertvolles Material. Jedoch hat Kunststoff als Abfall in der Umwelt nichts verloren.“

Das Bild zeigt Nurdles am Rheinufer unter der Zoobrücke.

Am Rheinufer wie hier unter der Zoobrücke werden zahlreiche Nurdles angespült. Werden sie dann nicht aufgesammelt, können sie beim nächsten hohen Rheinpegel wieder zurück in den Fluss und von da aus in die Weltmeere gelangen.

Ob die von der Krake seit Jahren gefundenen Nurdles tatsächlich aus dem direkten Kölner Umland stammen, lässt sich nicht final beantworten.

Für die Kölner Krake steht mit Blick auf den Kampf gegen Plastikmüll derweil ein bedeutender Schritt an. Die Auswertung des Langzeitmonitorings neigt sich dem Ende zu. Mit dem wissenschaftlichen Ergebnis wollen die Ehrenamtler dann politische Träger erreichen und eine breite Akzeptanz für präventive Umweltschutzmaßnahmen erreichen.