Gerade Leistungssportler wollen es sich oft nicht eingestehen, wenn ihre Seele leidet. Ein neues Angebot an der Uniklinik Köln soll ihnen eine Anlaufstelle sein - und will auch präventiv tätig sein.
Sportpsychiatrie„Ich dachte: Jetzt stell dich nicht so an. Die anderen wuppen das doch auch“

Die frühere Fußballnationalspielerin Lina Magull offenbarte jüngst in einem Podcast, dass sie unter Depressionen litt und sich Hilfe suchte.
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Das Loch, das sich vor ihr auftat, war gewaltig. Es machte ihr Angst. Sie habe die Kontrolle über ihre Gedanken und ihren Körper verloren, erzählte die frühere Fußballnationalspielerin Lina Magull zuletzt im Podcast „Wie geht’s?“. Sie war mit ihrer Mannschaft gerade in der Vorrunde bei der WM 2023 in Australien und Neuseeland ausgeschieden, auch privat musste sie Veränderungen durchstehen, wie die 30-Jährige sagt. Plötzlich seien die „Säulen, auf denen ich stand, nacheinander weggefallen“. Es folgten Schlafprobleme, Panikattacken und der Entschluss, eine Klinik aufzusuchen. „Ich habe gewusst, dass ich es machen muss, weil die Gedanken dann schon so ausgeartet sind, dass ich keinen Sinn mehr im Leben gesehen habe. Ich hätte kein Problem damit gehabt, zu sterben“, sagte Magull.
Psychische Krankheiten galten im lange als Tabu
Psychische Krankheiten galten im Leistungssport lange als Tabu. Auch heute ist die Scheu noch groß, sich Hilfe zu suchen – gerade bei sehr erfolgreichen Sportlern. Zu übermächtig ist die Vorstellung, dass ein starker Körper auch eine starke Seele beherbergen müsse, zu gering ausgebildet das Eingeständnis, dass neben dem harten Training auch Selbstfürsorge eine wichtige Rolle spielen muss. Die Uniklinik Köln will nun das Hilfsangebot verbessern. Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Köln bietet deshalb seit kurzem eine Sportpsychiatrische Sprechstunde für Profi- und Leistungssportler an. Unter der Leitung von Privatdozentin Dr. Theresa Lichtenstein sollen dabei Dinge wie psychiatrische Diagnostik und Behandlung mit sportbezogenem Fokus in den Blick genommen werden.

Auch manche Leistungssportler leiden unter schwerwiegenden Depression. Sportpsychiaterin Theresa Lichtenstein (hier links) hilft. Die ehemaligen Judoka und olympische Bronzemedaillengewinnerin Martyna Trajdos kennt die Nöte ihrer Trainingskolleginnen und Kollegen.
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Aber auch Früherkennung und Rückfallvermeidung soll eine Rolle spielen. In diesem Zusammenhang plädiert Lichtenstein dafür, auch einen Sportpsychiater in den jährlichen Check-up von Sportlern zu integrieren. „Da guckt der Orthopäde und der Kardiologe auf die körperlichen Werte. Im Rahmen dessen sollte auch die mentale Gesundheit eine Rolle spielen, schon alleine um dem Thema mehr Normalität zu geben“, sagt Lichtenstein im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Bei ihrer klinischen und wissenschaftlichen Arbeit kooperiert sie mit der Deutschen Sporthochschule, dem Olympiastützpunkt Rheinland und dem Max-Planck-Institut für Stoffwechselerkrankungen.
Ein Leben konzentriert auf den Sport. Auf das Training. Auf das Gewicht. Auf Siege
Die Ursachen für psychiatrische Schwierigkeiten gerade von Leistungssportlern lägen auch im stressigen Alltag begründet, mit denen nicht jeder gleich gut umgehen könne. Gerade junge Sportlerinnen und Sportler gingen noch zur Schule, „nachmittags fahren sie dann oft ein bis zwei Stunden zum Training und kommen dann erst spätabends nach Hause“, sagt Martyna Trajdos. Sie hat als Judoka eine Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Tokio gewonnen und ist Europameisterin. Sie kennt das Leben, das sich irgendwann fast ausschließlich auf Sport konzentriert. Auf das Training. Auf das Gewicht. Auf Siege. „Die Sportlerpersönlichkeit wird da ideal ausgebildet. Alles andere bleibt aber auf der Strecke. Irgendwann steht man da und fragt sich: Wer bin ich eigentlich außerhalb des Sports?“ In einer leistungsorientierten Gesellschaft werde auch von Sportlerinnen und Sportlern immer mehr verlangt. Mehr Wettkämpfe, mehr Trainingseinheiten, mehr Stärke.
Auch Trajdos kennt die Schattenseiten dieser Überlastung. Dass auch eine erfolgreiche Judoka nicht immer stark sein kann, hat sie aber lange nicht ernst genommen, die Symptome der Überforderung ganz unten in einer Schublade ihrer Primärpersönlichkeit versteckt. Der Sportlerpersönlichkeit Trajdos gestattete sie keine Schwäche. „Als Leistungssportlerin ist jede Grenzüberschreitung positiv. Ich dachte deshalb: Jetzt stell dich nicht so an. Die anderen wuppen das doch auch.“
Gerade bei Leistungssportlern sei es häufig schwierig, die psychische Krankheit zu erkennen. „Schließlich funktionieren Leistungssportler sehr lange extrem gut“, sagt Lichtenstein. Depressionen, aber auch andere seelische Erkrankungen wie Depressionen oder Süchte würden lange gut versteckt.
Lichtenstein will darauf hinwirken, dass Sportlerinnen und Sportler sich um ihre Psyche ebenso kümmern müssen und auch wollen wie um ihren Körper. „Manchmal bedeutet das Pausen. Sie würden mit einem gebrochenen Oberschenkel keinen Marathon laufen. Ebenso sollten Sie nicht versuchen, schwer depressiv eine Medaille zu gewinnen“, sagt Lichtenstein. Dafür sei nach der Heilung wieder Zeit. „Denn was uns auch wichtig ist: Eine psychische Erkrankung bedeutet nicht das Karriereende“, sagt Lichtenstein. Und selbst wenn, biete die Genesung viele Perspektiven für die Primärpersönlichkeit. Heute weiß Trajdos, dass ihr der Leistungssport viele Ressourcen vermittelt hat, die ihr auch sonst im Leben nützlich sind. „Ich bin resilient und kann mich gut durchsetzen, das hilft mir auch außerhalb des Sports.“