Am Schauspiel Köln erklärten die Autorinnen Şeyda Kurt, Emilia Roig und Mithu Sanyal, warum starke Gefühle starke Veränderungen hervorrufen können.
Britney-X-FestivalWie Şeyda Kurt, Mithu Sanyal und Emilia Roig die Welt mit Hass verbessern möchten

Szene aus "Fotzenschleimpower gegen Raubtierkaputtalismus" von und mit Mateja Meded
Copyright: Nurith Wagner Strauss
Es sei unmöglich, zu lieben und gleichzeitig weise zu sein, postulierte Francis Bacon Ende des 16. Jahrhunderts. Der englische Universalgelehrte gilt als Begründer des Empirismus, also der Idee, dass sich das Wissen über die Welt aus objektiven Beobachtungen und messbaren Fakten ableiten lässt. Gefühle haben da nichts zu suchen. Nur kühle, maskuline Betrachtung, wie es Emilia Roig im bis auf den letzten Platz besetzen Depot 1 formuliert.
Die französische Politologin und Essayistin („Lieben“) möchte mit einer jahrhundertealten Tradition brechen, nach der Menschen, die mithilfe ihrer Gefühle argumentieren, negativ bewertet werden. „Menschen ohne Gefühle gibt es gar nicht“, sagt Roig. Mithu Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Bestsellerautorin („Identitti“), pflichtet ihr bei: „Es ist unmöglich, ohne Gefühle an ein Thema ranzugehen. Und wenn wir unsere Gefühle verschweigen, haben sie nur noch mehr Macht über uns.“ Die Mär von der männlichen Rationalität, vom höheren Erkenntnisgewinn durch eine möglichst kalte Herangehensweise, sei, so Sanyal, „klassisches Abendland, das ist einfach gelogen.“
Das „Britney X“ in Köln
Der Talk zum Thema „Liebe/Hass“ ist Teil des „Britney X“ am Kölner Schauspiel. 2017 hatten die damaligen Regieassistenten am Schauspiel das queer-feministische Festival ins Leben gerufen, eine wild wuchernde Mischung aus Tanz und Theater, aus Workshops, Vorträgen und Konzerten. Die Variable „X“, erklärte Regisseur Matthias Köhler vor der ersten Ausgabe, „steht für alles, was man ist, was man sich wünscht zu sein – und auch dafür, was unsere Gesellschaft nicht zu benennen vermag oder benennen möchte“.
Das Festival brachte immer eine Menge spielerischer Utopie und Pop-Affinität in ebenjene Diskurse, in denen Rechtspopulisten ideales Spaltmaterial erkennen. Die Vielfalt der Geschlechter und Lebensentwürfe sollte definitiv Spaß machen. Im diesjährigen Programm trifft unter anderem eine gefeierte Dramatisierung von Kim de l'Horizons Roman „Blutbuch“ auf eine Performance des „Queer Lapdance Collective“, auf Drag- und Karaoke-Shows und Live-Tätowierungen.

Emilia Roig, Polititologin und Essayistin
Copyright: Mohamed Badarne
Das bunte Angebot sollte jedoch nicht über den Ernst der Sache hinwegtäuschen: Ein im Rahmen der Wiener Festwochen uraufgeführtes Solo der Schauspielerin Mateja Meded ist zwar maximal knallig mit „Fotzenschleimpower gegen Raubtierkaputtalismus“ betitelt, entpuppt sich dann aber als treffend-ätzende Kritik eines Flüchtlingskinds an der linksliberalen deutschen Kulturboheme, die ihre Leidensgeschichte zur eigenen Gewissensberuhigung und Karriereförderung kooptiert. Die aktuelle achte Britney-Ausgabe ist zugleich die Letzte, was nicht an irgendeinen rechten Backlash liegt, sondern schlicht am Intendanzwechsel.
Und auch nicht am mangelnden Publikumszuspruch. Die Tageskarten sind ausverkauft, vor dem Depot 1 warten die Besucher und Besucherinnen in einer Endlosschlange auf den Einlass zum „Liebe/Hass“-Talk: Es ist exakt jenes junge Publikum, um das in die Jahre gekommenen und unter zunehmenden Rechtfertigungszwang stehenden bürgerlichen Kulturinstitutionen – Stadttheater, Opern, Philharmonien – buhlen. Die moralische Anstalt ist durchaus noch gefragt, nur sehr viel schillernder als Schiller. Dementsprechend sitzen die Diskutantinnen auf bequemen Sesseln unter Kunstpalmen. Emilia Roig hat ihr Schoßhündchen mitgebracht, Mithu Sanyal streckt genüsslich die bloßen Füße aus.

Mithu Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Bestsellerautorin
Copyright: Carolin Windel
Die Kölner Journalistin Şeyda Kurt, Dritte im Bunde der Talkrunde, hat schon zwei sehr erfolgreiche und sehr politische Bücher über starke Gefühle veröffentlicht, „Radikale Zärtlichkeit“ und „Hass“ – politisch, weil sie interessiere, so Kurt, was Menschen dazu mobilisieren könne, aus ihrer Entkoppelung und Isolation auszubrechen. Deshalb könne auch der Hass als „widerständiges Gefühl“ hochproduktiv sein. Gehasst werde von unten, von oben werde verachtet, zitiert die Autorin die Philosophin Hilge Landweer. „Aber im Gegensatz zur Verachtung wendet sich Hass nicht ab“, erläutert Kurt, „er hat die Kraft zur radikalen Veränderung. Manchmal ist es wichtig, Dinge radikal infrage zu stellen“
Hass ist für Roig ein Nebenprodukt der Angst
Ob sich denn der Hass von Frauen von dem von Männern unterscheide, hakt Moderatorin Luisa Thomé nach. „Ja“, antwortet Emilia Roig, „weil die Machtpositionen ganz andere sind. Wenn ein Mann hasst, tötet er seine Frau, das passiert in Deutschland jeden zweiten Tag.“ Sie möchte deshalb lieber von Wut, anstelle von Hass sprechen. Hass ist für Roig ein Nebenprodukt der Angst, dem wahren Gegenteil von Liebe. Die kollektive Wut sei dagegen ein Ausdruck der Liebe, die sollte man nicht verdrängen: „Deshalb hat die zentrale Macht auch solche Angst vor dieser Wut und pathologisiert sie. Wer nicht wütend ist, passt nicht auf. Die Wut hilft uns, als Spezies voranzukommen, und auch die Liebe ist nicht nur das cozy, warm, fuzzy feeling, Liebe tut weh.“

Şeyda Kurt, Journalistin und Sachbuchautorin
Copyright: Thomas Spies
Ob darum, wie Mithu Sanyal scherzt, die Linken vor der Liebe noch mehr Angst haben als vor dem Sex? „Wir brauchen Liebe und Verantwortung als Grundlage jeder Interaktion“, sagt die Autorin, „wir brauchen Mitgefühl für alle Menschen.“ Dass die Empathie nicht gleichmäßig verteilt sei, könne man derzeit beim Genozid in Gaza beobachten. „Wir können uns nicht nur um die Bedürfnisse bestimmter Menschen kümmern und die anderer Menschen delegitimieren.“ Auch dürfe sich offensichtlich nicht jeder Mensch erlauben, im gleichen Maß Gefühle zu haben, „so wurde etwa die Versklavung von Schwarzen Menschen unter anderem damit gerechtfertigt, dass nicht so viel Gefühle hätten.“
Das alles, schränkt Sanyal ein, heiße freilich nicht, dass sich alle einem Gefühl beugen müssten. Şeyda Kurt bemüht kurz ihr Privatleben, um ebenfalls vor der Absolutierung des Gefühlslebens zu warnen: „Männer sagen mir oft, dass sie das Gefühl haben, nicht an mich heranzukommen. Ich weiß gar nicht, ob es wirklich schlimmer war, als Männer noch nicht ständig über ihre Gefühle redeten.“ Und natürlich reichten Gefühle allein nicht aus, um die Welt zu verändern. „Gewaltverhältnisse beruhen ja auch nicht auf Gefühlen, sondern auf wirtschaftlichen Verhältnissen.“