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„Correctiv“-Enthüllungen am Schauspiel KölnSo kämpferisch gibt sich Neu-Intendant Kay Voges

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Andreas Beck sitzt im Smoking am Ende eines langen, feierlich gedeckten Tisches.

Andreas Beck in „Geheimplan gegen Deutschland - Ein Nachspiel“ im Depot 2 des Schauspiel Köln

Kölns Schauspiel-Chef Kay Voges und Ensemble-Neuzugang Andreas Beck überraschen mit einem brisanten Abend, noch vor der Spielzeiteröffnung.

Das „Düsseldorfer Forum“ im Landhaus Adlon am Potsdamer Lehnitzsee ist gelaufen, auf der langen Tafel stehen noch angelaufene Gläser, umgeworfene Weinflaschen und Aschenbecher, in denen sich die Kippen türmen. Nur die Kerzen brennen noch. Zuletzt stand der festlich gedeckte Tisch – in aufgeräumter Form – auf der Bühne des Berliner Ensembles. Kay Voges, damals noch Intendant des Wiener Volkstheaters, hatte hier im Januar 2024 eine szenische Lesung der „Correctiv“-Story zum „Geheimplan gegen Deutschland“ eingerichtet. Der Abend wurde im Internet gestreamt, später auch in der ARD-Mediathek. 1,5 Millionen Menschen sahen zu.

Die Enthüllungen des Recherchenetzwerkes über das von rechtsextremen Aktivisten organisierte Treffen in besagter Potsdamer Villa lösten bundesweit Proteste aus. Mit dabei war unter anderem der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner, der dort einen „Masterplan“ zur „Remigration“ vorstellte – also zur Abschiebung oder Verdrängung von Menschen mit Migrationshintergrund - ob diese nun deutsche Staatsbürger sind oder nicht.

Es waren, rekapituliert Schauspieler Andreas Beck im Depot 2, die größten Demonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik, auf der Wand hinter ihm sieht man eine Aufnahme des vor empörten Bürgern überquellenden Heumarkts in Vogelperspektive. Beck erzählt von den konspirativen Proben – ihren Text hatten die Schauspieler erst 36 Stunden vor der Aufführung erhalten – im vierten Stock des Hauses am Schiffbauerdamm, von den Treppen, die er mühevoll mit kaputten Knien ersteigen musste, vom guten Gefühl, das Richtige, Wichtige zu tun, „einen Beitrag für unsere Demokratie“.

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Allein: Was ist vom Aufschrei geblieben? Ein Jahr später warb die AfD im Bundestagswahlkampf mit dem menschenverachtenden Euphemismus von der „Remigration“ und konnte ihr Ergebnis von 2021 verdoppeln. Gleichzeitig waren im Fachmagazin „Übermedien“ und in der „Zeit“ Artikel erschienen, in denen „Correctiv“ Ungenauigkeiten und Verfälschungen vorgeworfen wurden. Beck fischt eine Zigarette aus seinem Smoking, lehnt sich erschöpft an den Tisch: „Habe ich eine Recherche verbreitet, die Mängel hat?“

Schauspiel Köln wird weiter mit „Correctiv“ kooperieren

Es ist also höchste Zeit für ein „Nachspiel“ zum Geheimplan, wie Kay Voges den außerplanmäßigen Abend benannt hat. Die offizielle Eröffnung seiner ersten Kölner Spielzeit ist Ende des Monats. Eine Eingangstür zum Depot ist noch defekt, der Blick ins Foyer von schwarzem Tuch verhüllt, die Gastro hat sich provisorisch auf einer Bierbank vorm Haus eingerichtet. Diesmal teilt der neue Intendant sich die Regie mit seinem Dramaturg Calle Fuhr, zuständig für die neue investigative Abteilung des Schauspiels, „Theater und Journalismus“. Die weitere Kooperation mit „Correctiv“ ist bereits festgeschrieben.

Andreas Beck parliert über Knieoperationen, Rehas und den Umzug nach Köln – und flechtet in diese Alltagszumutungen den journalistischen und juristischen Backlash gegen die Potsdamer Enthüllungen ein: Es hagelt Klagen gegen „Correctiv“ und gegen andere Medien. Der NDR, das ZDF, die über den Geheimplan berichtet haben, und auch Privatpersonen werden mit Unterlassungserklärungen überzogen.

Ein gutes Argument für ein Verbot der AfD

Die gingen, laut Beck, vor allem von der Kölner Anwaltskanzlei Höcker aus, im Auftrag ihres Mandanten Ulrich Vosgerau. Der Jurist und ehemalige Privatdozent an der Universität zu Köln hatte an dem Treffen am Lehnitzsee teilgenommen. Beanstandet wurden dabei vor allem scheinbare Synonyme von „Remigration“: Weder von „Vertreibung“ noch von „Deportation“ sei im Landhaus Adlon die Rede gewesen. Auch, dass dort über „Ausweisung diskutiert“ worden sei, darf man laut Gerichtsurteil nicht mehr schreiben.

Die Wortklauberei macht Sinn. Beck zitiert aus einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts: „Der Begriff ‚Remigration‘ ist an sich deutungsoffen und kann daher grundsätzlich auch in einer verfassungsschutzrechtlich nicht relevanten Weise verwendet werden.“ Wer die Deportation von Menschen deutscher Staatsangehörigkeit fordert, handelt verfassungsfeindlich. Kann der rechte Kampfbegriff „Remigration“ in diesem Sinn vereindeutig werden, liefert das ein sehr gutes Argument für ein Verbot der AfD.

Dazu müsse man keinen „linksliberalen Schauspieler“ beim Wort nehmen, sagt Beck - dieselben Schlüsse habe jemand gezogen, der so gar nicht im Verdacht stehe, linksliberal zu sein, nämlich der AfD-Skandalpolitiker Maximilian Krah. Es folgt ein abenteuerlicher Exkurs über Grabenkämpfe zwischen Krah, Julian Reichelt, Götz Kubitschek, Martin Sellner und Erik Ahrens, dem jungen Fanatiker hinter der Tiktok-Kampagne der AfD. Im Kern geht es darum, ob sich der rechtspopulistische oder der völkische Flügel der Partei durchsetzen wird. Am Ende der Auseinandersetzungen schert ausgerechnet der Wirrkopf Ahrens aus.

Jetzt wird es spannend: Beck zieht einen braunen Umschlag hervor, es ist der theatralischste Moment des wortreichen Abends. Darin befindet sich eine eidesstattliche Versicherung, die Erik Ahrens gegenüber „Correctiv“ abgegeben hat: Er habe zusammen mit Martin Sellner das „Remigration“-Konzept entwickelt und dies liefe auf „ethnische Säuberung“ hinaus.

Woraufhin Andreas Beck schließlich doch noch pathetisch wird: Es gehe hier gerade um alles. Und er wolle sich nicht vorwerfen, nicht alles getan zu haben, als es darauf ankam. Werden nun wieder empörte Millionen auf dem Heumarkt stehen? Unwahrscheinlich. Wichtiger ist wohl das Versprechen, das Kay Voges und seine Mitstreitenden ihrem Publikum gegeben haben: Dieses Theater wird kämpfen, auch mit kaputten Knien.