Xavier Naidoo feiert seine Rückkehr auf die Bühne – mit ausverkauften Konzerten. Wie glaubwürdig ist seine Abkehr von Verschwörungserzählungen?
Extremismus-Experte„Xavier Naidoos Strategie ist aufgegangen“

Xavier Naidoo gibt sein Comeback (Archivbild von 2017). Er beteuert, sich von Verschwörungsmythen abgewendet zu haben.
Copyright: Alexandra Wey/Keystone/dpa
Mit Xavier Naidoo gibt einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Popmusiker im Dezember sein Comeback, auch in Köln – er ist zugleich einer der umstrittensten. Seit den 2010er-Jahren fiel der heute 54-Jährige durch einen ausgeprägten Verschwörungsglauben und Nähe zur rechten Szene auf. 2022 bat er in einem Video um Entschuldigung. Die Ticketnachfrage für die 16 Konzerte ist groß – jüdische Verbände sehen Naidoos Rückkehr auf die Bühne aber kritisch.
Josef Holnburger leitet in Berlin das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), das sich mit Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Rechtsextremismus beschäftigt. Er ordnet den Fall Naidoo im Gespräch mit dem RND ein.
Herr Holnburger, Xavier Naidoo verbreitete jahrelang Verschwörungstheorien, paktierte mit Reichsbürgern und Querdenkern, leugnete den Holocaust. Was für eine Figur kehrt da am 16. Dezember auf die große Bühne zurück?
Ich würde Naidoo als jemanden beschreiben, der seit Jahrzehnten ein festes verschwörungsideologisches Weltbild hat. Gleichzeitig hat er es gegenüber seinen Fans geschafft, das eher seicht in Songs einfließen zu lassen und nicht zu stark auf der Bühne zu thematisieren. Aber besonders während der Coronapandemie sind diese Sichtweisen aus ihm herausgebrochen.
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Naidoo bezeichnete die Covid-Impfung als „Gift“. In einem Song wurde die Sprengung eines Impfzentrums angedeutet. Doch 2022 veröffentlichte er ein Video mit Entschuldigung: „Ich habe Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue.“
Es ist ruhig um ihn geblieben, seitdem er dieses Statement abgegeben hat. Leider war es recht vage gehalten und lässt viel Interpretation zu.
Naidoo sagt unter anderem, er habe Familie, Freunde und Fans „mit verstörenden Äußerungen irritiert und provoziert“. Genauer wird er dabei nicht.
Das ist die Problematik bezüglich seiner Anhänger. Viele haben gesagt: Der musste das öffentlich so machen, vielleicht weil er über seine Familie in der Ukraine erpresst wurde (Naidoos Frau stammt aus dem Land, Anm. d. Red.) oder weil er wieder ins Fernsehen wollte. Aber – und das war dann für viele die Erklärung: Er hat sich nie wirklich distanziert, er hat keinen Namen genannt oder gesagt, von welchen Erzählungen er sich genau abkehrt. Und von seiner Fanszene innerhalb dieser Kreise wurde das so aufgefasst, dass er die Bühne für sie erneut öffnen wird, wenn er wieder groß geworden ist. Sie haben Hoffnung geschöpft angesichts dieser strategischen Zurückhaltung Naidoos.
Sie haben seinen Telegram-Kanal ausgewertet, zeitweise folgten ihm dort mehr als 100.000 User. Verehrt ihn die Szene noch als Helden?
Eine Galionsfigur ist er nicht mehr, dafür ist er jetzt zu wenig in Erscheinung getreten. Sein Telegram-Account ist schon seit Längerem deaktiviert. Aber es gibt auch keinen krassen Bruch mit der Szene. Insofern ist seine Strategie mit dem Video aufgegangen. Es gab keine großen Aufschreie, weder aus der verschwörungsideologischen Blase noch von außerhalb. Bei dem Inhalt, den er gerade in der Coronapandemie geteilt hat, finde ich das sehr problematisch.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Da waren etwa die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“ mit einem Vorwort von Alfred Rosenberg, dem Chefideologen der NSDAP. Er hat Inhalte von rechtsterroristischen US-Kanälen mit weniger als tausend Abonnenten geteilt, die damit ein potenziell riesiges Publikum in Deutschland erreicht haben. Hinsichtlich der Inhalte, die er verbreitet hat, war er einer der Radikaleren auf Telegram. Das haben viele vergessen.
In seinem Reue-Video beteuert er dagegen, Nationalismus, Rassismus, Homophobie und Antisemitismus seien mit seinen Werten nicht vereinbar.
Das ist ein typisches Phänomen, das wir zum Beispiel immer wieder bei Aussteigern aus der rechtsextremen Szene sehen. Man distanziert sich davon, aber mit der Aufarbeitung der eigenen Ideologie und vor allem möglicher Mittäterschaft möchte man sich nicht befassen. Das muss eigentlich Bestandteil von Aussteigerprogrammen sein, weil die eigenen Handlungen Konsequenzen haben.
Welche sind das im Fall Naidoo?
Er hat viel zur Normalisierung von Rechtsextremen beigetragen, indem er etwa mit rechtsextremen Sängern kooperiert hat. Er hat außerdem die „Konferenz“ unterstützt, einen Zusammenschluss aus unterschiedlichen verschwörungsideologischen Milieus. Dort gab es Austausch über Zoom-Calls, aber auch gemeinsame Songs. Er war aktiver Bestandteil in der Radikalisierung und nicht nur ein passiver.
„Naidoo hat Kontakt gepflegt mit Szene-Größen wie Attila Hildmann“
Naidoo spricht davon, er habe sich „zum Teil instrumentalisieren“ lassen.
Er macht sich so zum Opfer von nicht genannten Personen und Gruppen. Radikalisierung ist aber kein passiver Mechanismus, wo man einfach Inhalte liest, und plötzlich ist man ein anderer Mensch. Das hat immer auch eine aktive Komponente, im Suchen von Informationen, im Austausch mit anderen. Er selbst hat Kontakt gepflegt mit Szene-Größen wie Attila Hildmann oder Oliver Janich.
Naidoo selbst bezeichnete sich bereits 1999 als „Rassist ohne Ansehen der Hautfarbe“. In der ARD nannte er Deutschland 2011 ein „besetztes Land“ ohne Friedensvertrag. Ein rechtes Narrativ, nach dem Deutschland von den USA besetzt sei. Wann ist er Ihnen aufgefallen?
Spätestens 2014, als er mit einem T-Shirt mit dem Aufdruck „Freiheit für Deutschland“ auf einer „Compact“-Bühne vor dem Bundestag aufgetreten ist. Da landet man nicht zufällig. Wenn man sich mit der Geschichte Naidoos beschäftigt, findet man weit davor Hinweise in Songtexten.
2009 singt er abwertend von „Baron Tothschild“, eine Anspielung auf antisemitische Codes um die Bankiersfamilie Rothschild. In einem Lied mit Kool Savas bringt er Kindesmissbrauch in Verbindung mit Homosexualität. Später öffnete er sich der QAnon-Verschwörungsideologie und hetzte gegen Geflüchtete.
Das geschieht bei Xavier Naidoo seit Jahren in Wellen und bricht immer wieder hervor. Deswegen kann es auch jetzt noch sein, dass sein Management möglicherweise die Kontrolle über ihn verliert und er wieder in diesen Modus wechselt.
In der kommenden Woche beginnt sein großangelegtes Comeback mit ausverkauften Hallen und Zusatzshows.
Ich vermute, dass er solche Positionen auf der Bühne nicht zum Thema machen wird. Er hat das gemeinsame Lied mit Kool Savas, ein Hidden Track auf dem Album, nie auf Konzerten vorgetragen. Er weiß, dass er sonst bei vielen Fans anecken würde, und ist sich seiner Außenwahrnehmung bewusst. Das zeigt sich nun auch in seiner teilweisen gesellschaftlichen Rehabilitierung. Zuletzt bekam er Unterstützung vom Rapper Kontra K.
Man landet nicht zufällig auf einer ‚Compact‘-Bühne.
Der holte ihn bei einem Konzert in Mannheim auf die Bühne. Für Naidoos eigene Auftritte gingen schnell Hunderttausende Tickets weg. Fans verteidigen ihn in sozialen Medien als „ehrlichste und beste Stimme“. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?
Es zeigt, dass Menschen zwischen politischen und nichtpolitischen Personen unterscheiden wollen. Aber das verklärt die Rolle von Xavier Naidoo. Es sind nicht einfach nur schöne Lieder. Wenn man in Songs über Familie singt, und die Familie besteht ausschließlich aus Vater, Mutter, Kind, schwingt auch ein politisches Statement mit. Genauso, wenn er sich in Texten homophob äußert.
Analog zu Rammstein-Sänger Till Lindemann argumentieren einige, man müsse das Werk vom Autor trennen.
Viele Menschen möchten über so etwas hinwegblicken oder sehen es gar als Angriff – als ob man ihnen etwas Schönes wegnehmen würde. Das kann ich einerseits verstehen. Andererseits geht es nicht nur um einen Ausrutscher. Diese Einstellungen waren über Jahre immer Bestandteil von ihm. Man kann sich nicht einfach die schönen Sachen heraussuchen und die schlechten ignorieren.
Erwarten Sie im Publikum Verschwörungsfans?
Die meisten Menschen werden wegen seiner Musik kommen. Trotzdem wird es auch Leute geben, die sich erhoffen, dass er auf der Bühne noch mal von Corona erzählt. Gleichzeitig wird es viele geben, die hoffen, dass er gerade das nicht machen wird.
Die Branche geht mit Naidoo unterschiedlich um, öffentlich abgesagt hat ihm jedoch niemand. Der Olympia-Park, Konzertort in München, distanziert sich in einem Disclaimer von Naidoos Äußerungen. Der Veranstalter Live Nation wiederum sagt, es gäbe keinen Grund, ihm eine zweite Chance zu verweigern.
Damit macht man es sich zu einfach. Ich finde es schwach, dass man sich auf das Video bezieht und sagt, damit sei es doch getan.
„Es gab immer eine Verklärung von Xavier Naidoo“
Schon 2016 unterzeichneten mehr als 100 Künstler wie Jan Delay oder Jan Josef Liefers eine Solidaritätsanzeige, nachdem der NDR ihn als deutschen Kandidaten für den Eurovision Song Contest abgesetzt hatte.
Es gab immer eine Verklärung dieser Person, weil man ihn als diesen – platt gesagt – gefühlsduseligen Barden in Erinnerung hatte. Frühe Anzeichen, welche Positionen er mal vertreten würde, wurden von vielen Menschen ignoriert. Auch jetzt sagen einige: Der ist ja ein netter Mensch, für den muss es eine zweite Chance geben. Bei vielen Kollegen und Kolleginnen von ihm gibt es den Wunsch, zur Normalität zurückzukehren.
Darüber schwebt die Frage, ob man jemandem wie Naidoo vergeben sollte.
Ich sage nicht, dass es keine Rückkehr für Menschen geben darf, die sich in solchen Sphären bewegt haben. Aber diese Rückkehr muss verbunden sein mit der Aufklärung darüber, was man anderen Menschen angetan hat. Wenn Naidoo selbst eingesehen hat, was der russische Angriffskrieg ausgelöst hat, muss er sich auch damit beschäftigen, welche Verschwörungserzählungen er geteilt hat. Die haben auch Leid bei Menschen ausgelöst, seien es Jüdinnen und Juden, seien es queere Menschen. Das ist nicht einfach weg mit einem vage gehaltenen Entschuldigungsvideo. Es braucht eine Konfrontation mit den eigenen Taten aus dieser Zeit. Das kann auch vor Gericht stattfinden.
Beim Landgericht Mannheim sind noch zwei Verfahren gegen Naidoo wegen Volksverhetzung anhängig. Unabhängig von der juristischen Aufarbeitung: Wie findet man aus solch einer Blase wieder heraus?
Es kann sehr sinnstiftend sein, wenn man durch solche Ansichten Zuspruch bekommt. Wenn Menschen etwa sagen: Du bist einer der begabtesten Intellektuellen in diesem Land, der jetzt endlich das deutsche Volk befreien wird. Die meisten mit solch einem Weltbild bauen irgendwann ihre ganze Identität darauf auf. Betroffenen wird deshalb empfohlen, andere sinnstiftende Identitäten zu schaffen, zum Beispiel durch Hobbys oder Sport. Bei Xavier Naidoo kann das auch eine Leidenschaft wie der Gesang sein.
Wie hat sich die Verbreitung von Verschwörungsideologien seit dem Höhepunkt der Coronakrise entwickelt? Seitdem scheint es ruhiger geworden zu sein.
Im Gegenteil: Die Tendenz, Verschwörungserzählungen zu glauben, ist nach Corona höher, als sie das während der Pandemie war. Das ist kein neues Phänomen. Zwar nimmt bei solchen Großereignissen die Lautstärke von Verschwörungsideologen zu, der Zusammenhalt zunächst auch. Aber wenn sich solch eine Krise langsam auflöst, steigen plötzlich der Verschwörungsglaube sowie das Misstrauen in demokratische Institutionen. Wir sehen zum Beispiel mit der AfD eine Partei, die stark auf solch ein Weltbild setzt. Das ist kein Zufall.

