Jeremy Nedds Choreografie „Blue Nile to the Galaxy Around Olodumare“ war im Depot 2 zu sehen. Unsere Kritik.
Impulse-Festival in KölnWas wäre, wenn die Welt einfach schwarz bliebe?

Szene aus „Blue Nile to the Galaxy Around Olodumare“
Copyright: Nile Bollwein
Was wäre, wenn die Welt einfach schwarz bliebe? Die Frage kann aufkommen, wenn wir zu Beginn sehr lange im Stockdunkeln sitzen und wie in ein schwarzes Loch im All starren, während aus den Lautsprechern die volle neunminütige Länge von „Andromeda's Suffering“ von Alice Coltrane dröhnt, gewaltig hochgepegelt. Irgendwann kommen Nebelschwaden auf uns zu, und es fühlt sich ein bisschen an, als schwebe man selbst durch den Andromedanebel, der zweieinhalb Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie unserer Milchstraße.
Mit diesem wirklich grandiosen Sound-Raum-Erlebnis startet Jeremy Nedds Choreografie „Blue Nile to the Galaxy Around Olodumare“, die im Rahmen des Impulse-Festivals im Kölner Depot gezeigt wurde. Ein kontemplativer Trip, den der US-Amerikaner gemeinsam mit fünf südafrikanischen Tänzerinnen und Tänzern von Impilo Mapantsula entwickelt hat. Sie seien keine Kompanie, betonen die Mitglieder, eher eine Struktur, die die Leidenschaft für den „Pantsula“-Tanz eint. Schon in den 1950er Jahren, zu Beginn der Apartheid in Südafrika, entwickelten sich Vorformen des Bewegungs-Stils. In den 1980er Jahren wurde der Pantsula dann in den Townships von Pretoria und Johannesburg auf den Straßen getanzt als Ausdruck des Widerstands.
Moonwalk-Gleiten und gummiweiche Sprünge
Von diesen aggressiv-rebellischen Wurzeln ist bei Impilo Mapantsula und Jeremy Nedd nichts mehr zu spüren. Wenn sich irgendwann ein Lichtstrahl durch den Nebel kämpft, schwebt dort ein einzelner Mensch über den grauen Planeten Bühne: ein federleichtes Trappeln, ein Gleiten wie im Moonwalk, ansatzlose, gummiweiche Sprünge, nur ab und zu ein schneller, trotziger Kick in die Luft. Ein Tanz wie auf Wattewölkchen. Dazu Jazzkompositionen von Alice und John Coltrane sowie dem Südafrikaner Bheki Mseleku, die allesamt aus dem Irdischen abheben und ins Kosmische zielen.
Auf zu den Sternen also, auch wenn in den Füßen noch die Vergangenheit steckt. So schickt Jeremy Nedd mit seinem Retro-Futurismus die afrikanischen Traditionen in den extraterrestrischen Orbit und spürt Verbindungslinien zwischen Afrika und der Afrodiaspora nach. Seit 2017 beschäftigt sich der in Basel lebende Choreograf mit Pantsula.
Für seine Arbeiten ist er schon mit dem New Yorker Bessie Award ausgezeichnet worden. In seinen früheren Jahren war er Tänzer beim aufregend intellektuellen Choreografen Trajal Harrell. Und wie bei Harrell hat auch bei Nedd alles einen doppelten Boden: Was einfach wunderbar poetisch aussieht, ist konzeptuell aufgeladen. So dürfte die Andromeda-Assoziation des Anfangs nicht zufällig auch ein Verweis auf die einzige mythologische Figur sein, die laut Ovid eigentlich dunkelhäutig war, doch in der europäischen Kulturgeschichte immer weiß abgebildet wurde. Ein rassistisches Whitewashing, dem Nedd nun entschieden seinen Flug in ein schwarzes Universum entgegensetzt.
Am Ende lässt Jeremy Nedd die fünf Tänzer - vier Männer und eine Frau - gemeinsam abhotten wie in einer Jam-Session. Da übertrumpfen sich die individuellen Pantsula-Stile an Leidenschaft und Energie, da zeigt man sich die schnellsten Füße und jauchzt lustvoll dazu. Dann sind wir wohl angekommen, auf dem schwarzen Kometen der Freiheit.