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Kolonialismus im Wallraf„Grausam und verurteilenswert“, aber trotzdem ausgestellt

Lesezeit 7 Minuten
Das Wallraf-Richartz-Museum, fotografiert am 18. Mai 2015 in Köln (Nordrhein-Westfalen).

Das Wallraf-Richartz-Museum in Köln

Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt ein Gemälde, das die Sklaverei verherrlicht. Sollte man es abhängen?

„Madame hat sich herausgeputzt: opulenter Kopfputz, Fächer mit Pfauenfedern, frische Blumen im Dekolletee. Alles atmet Überfluss und Wohlstand. Madame ist nicht allein im Bild – zu ihrer Rechten erscheint ein junger Page, der sich mit Blick und Geste an sie wendet. Bei genauerem Hinsehen offenbart sich: Ein metallener Ring ist um den Hals des Jungen gelegt – er ist ein Sklave. Nicht als Mensch oder gar als Individuum ist er ins Bild gesetzt, sondern als Eigentum der Herrschaft. Reichtum und weltumspannende koloniale Macht der Familie sollen zum Ausdruck kommen – so grausam und verurteilenswert uns dies heutzutage erscheint.“

So steht es im Kölner Wallraf-Richartz-Museum an der Wand, neben einem Gemälde des französischen Rokoko-Malers Nicolas de Largillière (1656-1746). Dieser gehörte zu den gefragtesten Porträtmalern des Ancien Regime und malte gepuderte Frauen der „besseren“ Gesellschaft in Serie. Auch junge Sklaven aus den Kolonien in Afrika sind auf seinen Bildern keine Seltenheit. Um 1729 waren sie für Largillière so konventionell wie der übrige Schmuck der dargestellten Frau. Möglicherweise gehörte der Page nicht einmal zum Haushalt der Porträtierten, sondern wurde vom Maler als wünschenswertes Attribut hinzugefügt.

Vielleicht fragt sich mancher Besucher des Wallrafs, warum dieses Gemälde in der Barock-Etage hängt, wenn sein Motiv der Museumsleitung selbst „grausam und verurteilenswert“ erscheint – zumal in einer Zeit, in der andere Museen vor sensiblen Inhalten warnen, und auch in Köln viel davon die Rede ist, Straßen, Kunstgeschichte und Museen zu dekolonisieren? Passt eine schamlose Verherrlichung des Kolonialismus in unsere Zeit – selbst wenn man sie als solche benennt?

Eine feine Dame posiert mit einem Sklaven.

„Madame de Soucarières und ihr Sklave“ von Nicolas de Largillière wurde 2006 für die Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums angekauft.

Erstaunlicherweise ist das Gemälde „Mme de Soucarière und ihr Sklave“ keine Altlast aus den Museumsbeständen, sondern ein vergleichsweise junger Ankauf. Es wurde 2006 mit städtischen Mitteln und der Hilfe verschiedener Förderer für die Sammlung erworben – und von der damaligen Direktion als „hochrangiger Neuzugang“ begrüßt. „Das Gemälde wurde damals angekauft“, so Barbara Schaefer, Co-Direktorin des Wallraf, „weil der Künstler eine Lücke in unserer Sammlung schloss. Wir haben einen überschaubaren Bestand an Werken des 18. Jahrhunderts, und Largillière war einer der wichtigsten Porträtmaler dieser Zeit.“ Letztlich hätten der Künstlername und ein „angemessener Preis“ den Ausschlag für den Kauf gegeben.

Als das Gemälde erworben wurde, war Wallraf-Direktor Marcus Dekiert noch nicht im Haus. Er verteidigt die aktuelle Präsentation, denn das Porträt von Largillière sei ein Bild, das „ein Fenster in die Zeit des frühen französischen 18. Jahrhunderts“ öffne. „Es ist dabei richtig, dass wir die historische Darstellung des Gemäldes nach unseren heutigen Überzeugungen bewerten. Aber es ist für uns als Historiker ebenso wichtig, festzustellen, dass das Gemälde in anderen Zeiten und unter anderen Umständen entstanden ist – auch das lehrt uns ein solches Gemälde. Gleichzeitig sollten wir den Blick in unsere Zeit richten und nicht so tun, als wären Sklaverei und Rassismus heute überwunden. Das Bild ist auch vor diesem Hintergrund wichtig, da es ein historischer Resonanzraum für ein leider noch heute aktuelles Thema ist.“

Allerdings wäre Dekiert „heute gewiss zurückhaltender bei der Frage, ob wir ein vergleichbares Gemälde ankaufen“. Sein Vorgänger habe die Sklaverei als Motiv schon im Blick gehabt und in zwei Beiträgen des „Museumsbulletins“ aufgegriffen. Doch sei das Thema „in den vergangenen 20 Jahren noch einmal stärker in den Fokus gerückt“. Beschwerden habe es über das seit 2007 durchgehend ausgestellte Bild nicht gegeben, so Schaefer. 2021 wurde das aktuelle Schild angebracht, um „deutlicher zu adressieren“, was zu sehen ist.

Die Enthistorisierung von Gemälden und Denkmalen führt zum falschen Ziel
Marcus Dekiert, Direktor des Wallraf-Richartz-Museums

Genügt das? Anders als etwa für das ethnologische Rautenstrauch-Joest-Museum ist die Kolonialzeit für das Wallraf ein eher nachrangiges Thema. Die eigene Sammlung umfasst vor allem Werke aus dem Mittelalter, der Barockzeit und des Impressionismus, also des Kolonialismus vergleichsweise unverdächtige Stile und Epochen, und auch der Erwerb der Werke geschah nach Stand der Dinge außerhalb kolonialer Kontexte. Aber ganz frei kann und will sich auch das Wallraf nicht von den Debatten um koloniale Verbrechen, rassistische Darstellungen und europäische Geschichtsfälschungen machen. Ein weiteres Beispiel aus der aktuellen Sammlungspräsentation: So blütenweiß wie auf einem Gemälde des französischen Historienmalers Paul Delaroche (1797-1856) dürfte die biblische Herodias in der Wirklichkeit kaum gewesen sein.

In der Museumswelt werden derzeit viele Wege erprobt, wie man mit dem eigenen kolonialen Erbe umgeht – wobei die viel beschworene Dekolonisierung der Museen bislang in den seltensten Fällen dazu führte, dass Werke abgehängt wurden und in den Depots verschwanden. Überhaupt kann die „Entkolonisierung“ für jedes Museum etwas anderes bedeuten: Das Rautenstrauch-Joest-Museum beteiligte sich an der Rückgabe geraubter Benin-Bronzen aus deutschen Sammlungen und ließ die Kolonialgeschichte des Museumsstifters Wilhelm Joest untersuchen; das Museum Ludwig versucht dagegen, die eigene Sammlung der US-Nachkriegskunst durch Werke zuvor an den Rand gedrängter afroamerikanischer Künstler zu ergänzen.

Die Dekolonisierung ist also keine Unterkategorie der „Cancel Culture“, sondern eher der Versuch, die eigene Verstrickung in koloniale Zusammenhänge aufzuarbeiten und darzustellen. Darin unterscheidet sie sich kaum von den Kölner Debatten um belastete Straßennamen und mögliche Denkmalstürze. Auch in diesen Fällen geht es erst einmal darum, genauer zu verstehen, wer unsere Straßen ziert oder benennt. Allerdings ist die Rolle Bismarcks, der Hohenzollern oder Konrad Adenauers im deutschen Kolonialismus deutlich schwerer zu bewerten, als ein Konsens darüber zu finden ist, dass Straßen nicht nach Kriegsverbrechern heißen sollen.

Die Dekolonisierung der Museen ist keine Unterkategorie der „Cancel Culture“

Andere Länder sind bei der Dekolonisierung der Museen teilweise weiter als Deutschland, nicht zuletzt allerdings, weil sie eine deutlich längere und blutigere Kolonialgeschichte hatten. So gilt die „Sklaverei“-Ausstellung im Amsterdamer Rijksmuseum von 2021 allgemein als vorbildlich – angesichts der zahllosen kolonialen Objekte in der Reichssammlung war der Handlungsdruck aber auch ungleich größer als im Wallraf. Laut Barbara Schaefer gibt es im Kölner Museum keine mit dem Largillière vergleichbaren Bilder; eine ausführlichere Thematisierung der europäischen Kolonialgeschichte wäre demnach mangels Masse gar nicht möglich.

Selbst die Erkenntnisse zum Largillière-Porträt sind eher spärlich. Es befand sich bis 1990 in Privatbesitz, die Identität der dargestellten Frau ist eine Zuschreibung der Besitzerfamilie – und müsste streng genommen mit einem Fragezeichen versehen werden. Die National Gallery in London erwarb 1924 einen Zwilling des Kölner Gemäldes (mutmaßlich eine Kopie der Largillière-Werkstatt) und nahm an, es zeige eine gewisse Prinzessin Rákóczi. Für Mme de Souscarrière spricht, dass ihr Ehemann am Sklavenhandel beteiligt war – aber das war eben keine Seltenheit.

Marcus Dekiert hat überlegt, einen Beitrag für das Wallraf-Jahrbuch über das Gemälde zu beauftragen, ist aber skeptisch, ob sich die Figurenkonstellation erhellen lässt. Dass sich die Identität des Sklaven aufklären lässt, erscheint tatsächlich illusorisch – den Kuratoren der Amsterdamer „Sklaverei“-Ausstellung war dies mit dem indonesischen Widerstandskämpfer Surapati auf einem Gruppenbild gelungen. Dekiert könnte sich bei der Kontextualisierung des Largillière-Porträts eine Kooperation mit dem Rautenstrauch-Joest-Museum vorstellen, traut seinen Besuchern aber auch ohne kritische Begleitung einiges zu. „Wir haben ein gut informiertes Publikum, das weiß, dass man ein solches Bild in seinem historischen Kontext wahrzunehmen hat.“

Eine „farbenblinde“ Geschichtsschreibung wie in der umstrittenen Netflix-Serie „Bridgerton“ wird es im Wallraf wohl nicht geben. Dabei wäre es für das Haus denkbar einfach, die brutale Wirklichkeit der Sklaverei aus der Darstellung des Ancien Regime zu löschen und stattdessen in scheinbar unbeschwerter Rokokoseligkeit zu schwelgen. Aber wie realistisch ist das Gedankenexperiment, den aktuellen Rassismus zu bekämpfen, indem man die Spuren des Kolonialismus aus Museen, Filmen und der gesamten Erinnerungskultur tilgt? „Die Enthistorisierung von Gemälden und Denkmalen führt zum falschen Ziel“, findet Marcus Dekiert. „Es braucht Kontextualisierung, aufklärende Erläuterung und intensive Befassung mit dem historischen Gegenstand und seinen Implikationen für unsere heutige Zeit.“