Ach, am 16. Juli 1982 an einem windigen Freitagabend im Kölner Tanzbrunnen gewesen zu sein! Man hätte die Talking Heads auf dem künstlerischen Höhepunkt ihrer Karriere erlebt, nach ihrem Meisterwerk „Remain in Light“, vor „Stop Making Sense“, dem besten Konzertfilm aller Zeiten. Vielleicht waren Sie ja sogar da, ich war 13 Jahre alt und saß im Allgäu fest. Da konnte man nichts machen. Außer sich am vergangenen Freitagabend im Carlswerk Victoria einzufinden, zur „Remain in Light“-Tour von Jerry Harrison und Adrian Belew.

Ersterer war der Gitarrist und Keyboarder der Talking Heads, letzterer Freund und nach Einsätzen bei Frank Zappa und David Bowie gelegentlicher Tourmusiker der Band, vor allem aber verantwortlich für die herrlich ausgeflippten Gitarrensoli auf „Remain in Light“. Nah genug dran. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Reunion-Tour der Talking Heads gegen null geht. Das Album freilich verlangt nach einem großen, polyrhythmisch groovenden Ensemble. Harrison und Belew haben es hauptsächlich aus der Funk-Band Cool Cool Cool rekrutiert, die auch das Vorprogramm bestritt.

Adrian Belew übernimmt David Byrnes Gesangspart in „Psycho Killer“

Naturgemäß lassen sich die frühen 1980er nicht so einfach zurückholen, selbst nicht mit der Originalbesetzung. Doch der Wille zur verklärten Rückschau ist stark und wenn Adrian Belew zum Auftakt des Sets David Byrnes Gesangspart in „Psycho Killer“ übernimmt, sträubt er sich gewaltig: An Stelle eines von Haut und Knochen kaum zusammengehaltenen Neurosenbündels bekommt man hier ein notorisch gut gelauntes Wunderkind aus dem Mittleren Westen, selbst mit 75 hat Belew nichts von seinem jugendlichen Überschwang verloren.  

Später, wenn er zur ersten Zugabe „Drugs“ singt, wirkt der Kontrast noch krassen. Bei der Originalversion auf „Fear of Music“ glaubt man, Fingernägel Farbe von der Wand kratzen zu hören, hier wirkt der Horrortrip eher wie eine lustige Achterbahnfahrt, mit funky Bläsereinsätzen. Zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt hat man allerdings längst gelernt, die feinen Unterschiede zu genießen. 

Am Mikrofon wechselt sich Belew mit den souligen Cool-Cool-Cool-Sängerinnen Shira Elias und Sammi Garett ab, und dem ungleich reservierteren Jerry Harrison. Byrnes Sprechgesangpassagen agiert Bariton-Saxofonist Josh Schwartz mit Gusto aus. David Byrne ist offensichtlich nicht zu ersetzen, aber diese Annäherungen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven haben ihren eigenen Reiz. 

Zumal die Band unglaublich gut eingespielt ist, die eng verschränkten Rhythmen entwickeln eine gewaltige Schlagkraft, vertreiben mit ihrer Unmittelbarkeit jede Nostalgie. „Slippery People“ ist beinahe so aufregend wie die „Stop Making Sense“-Version, und in „Born Under Punches (The Heat Goes On)“ rumpelt der Bass noch bedrohlicher als auf dem Studioalbum.

The Swell Season in Köln

Eine alte Liebe, ein Oscar und hoffnungslose Romantik

Von

Christian Bos

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Zwischendurch ist noch Zeit für Harrisons 1988er-Solohit „Rev It Up“ und für das erstaunlich clubtaugliche „Thela Hun Ginjeet“ von King Crimson, Belew stand der britischen Progrock-Band von 1981 bis 2009 vor.

Nach dem Triple von „Once In a Lifetime“, „Life During Wartime“ und „Take Me to the River“ – die Band ist hier näher am Al-Green-Original als an der bewusst hüftsteifen Version der Talking Heads – ist noch das letzte Fünkchen Sehnsucht an nie erlebte Juliabende verflogen. Und die letzte Zugabe, „The Great Curve“, lässt die Freudentränen fließen. Dass man das noch einmal so hören darf!