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Kunstmuseum BonnDer Schatten, dein Freund und unheimlicher Begleiter

Lesezeit 5 Minuten
Ein Tintenfass wirft den Schatten einer Kaffeetasse.

Vadim Fishkins „Coffee and Ink“ (2012) ist im Kunstmuseum Bonn zu sehen.

Die Bonner Ausstellung „From Dawn Till Dusk“ widmet sich dem Eigenleben des Schattens in der zeitgenössischen Kunst. 

Für ein Girokonto, dessen Zufluss nie versiegt, würde wohl so mancher seine Seele verkaufen. Peter Schlemihl bekam sein verlässlich überquellendes Goldsäckchen sogar für einen geringeren Preis: Er tauschte lediglich seinen Schatten dafür ein. Allerdings läuft es in Adelbert von Chamissos berühmter Geschichte auf das Gleiche hinaus. Ohne seinen treuen Begleiter wird Schlemihl zum geächteten Außenseiter. Er erkennt, dass Geld allein nicht glücklich macht - und endet nach einem wilden Ausritt mit Siebenmeilenstiefeln halbwegs mit seinem Schicksal versöhnt als einsamer Naturforscher.

Ohne den Schatten fehlte auch der Kunst etwas - vielleicht nicht die Seele, aber etwas Wesentliches. Stephan Berg geht für „From Dusk to Dawn – Der Schatten in der Kunst der Gegenwart“ sogar bis in die Antike zurück, um die historische Bedeutung seiner Abschiedsausstellung als Direktor des Kunstmuseums Bonn zu unterstreichen. Als Kronzeugen dienen ihm der Platon des berühmten Höhlengleichnisses und die namenlose Schöne, die einen Schattenriss ihres Geliebten zeichnete und damit der Legende nach die Malerei erfand. Mal steht der Schatten für die gebannte Realität, mal für die Verkennung der Wirklichkeit. Wie man die Geschichte der Kunst auch dreht und wendet – ohne Schatten geht es nicht.

Vermutlich hat jeder schon einmal mit dem eigenen Schatten getanzt

In Bonn begegnet man den beiden Ursprungsmythen in moderner Form wieder. Auf einer lebensgroßen Leinwand von Marlene Dumas malt eine schattenhafte Frau ihren eigenen Schatten an die Wand, was, wenn man in „The Origin of Painting“ ein Selbstporträt erkennt, die schwarze Silhouette zur Doppelgängerin macht und das Gemälde zur privaten Schöpfungsgeschichte der Malerin Dumas. Der nächste Raum gehört Platons Höhlengleichnis, allerdings in der Komödienfassung: Hans-Peter Feldmann wirft ein sich bewegendes Ballett aus Nippes und Spielzeugfiguren als Schattenspiel an die Wand, was wohl bedeuten soll, dass wir alle lebenslange Gefangene unseres Kinderzimmers sind. Während Platon meinte, man könne die Wirklichkeit nicht an Abbildern erkennen und die Kunst damit ins Reich der Selbsttäuschung verbannte, scheint sich Feldmann im geschützten Raum der Verblendung wie zu Hause zu fühlen - anders als in der unwirtlichen Realität. 

Vermutlich hat jeder schon einmal mit dem eigenen Schatten getanzt – besonders launig ist dies unter einer Straßenlaterne, deren Lichtschein unseren ständigen Begleiter beinahe nach Belieben stauchen oder in die Länge ziehen kann. Von diesem harmlosen Vergnügen ist es nur ein kleiner Sprung zu den Doppelgängern, die nicht nur im expressionistischen Kino ein unheimliches Eigenleben führen. In der Bonner Ausstellung begegnet uns dieser vom Körper losgelöste Schatten in vielen Formen: als Seele, Plagegeist, Gegenüber, Sparringspartner, anderes Ich. Vor einem Video von Vito Acconci reift dabei die Erkenntnis, dass es im Kampf gegen das eigene Selbst keinen Gewinner geben kann; sein Schattenboxkampf dürfte endlos weiter gehen.

Eine Lampe steht vor einer Wand.

Finde den Fehler: Zilla Leuteneggers „Sunset Neighborhood“ (2009)

Schon die Karikaturisten des 19. Jahrhunderts machten aus dem Schatten einen Wahrsager, der die verborgene Natur seines Trägers enthüllt. Bei Tim Noble und Sue Webster wird daraus eine raffinierte Selbstkritik. Die Künstler haben für eine Müllskulptur den eigenen Abfall gesammelt und zu einem Berg aufgetürmt, dessen Schattenwurf sie in Genießerhaltung Rücken an Rücken sitzend zeigt: Tim raucht eine Zigarette, Sue nippt an einem Weinglas. So sitzen die beiden abends beisammen, während zwei Möwen über den Müll und damit auch sie selbst herfallen – der Mensch ist das Aas seiner eigenen Konsumkultur.

Vor dem nahen Untergang der Menschheit können Schattenspiele aber auch einfach surreale Unterhaltung sein. Vadim Fishkin klebt einem Tintenfass einen falschen Schatten in Form einer Kaffeetasse an, und Zilla Leutenegger beleuchtet eine gebogene Stehlampe, auf deren Schattenriss ein Männlein auf- und abschwingt – aber eben nur dort, auf der realen Lampe sucht man es vergeblich. Ähnlich bunt treibt es Ólafur Elíasson mit einer Mitmach-Lichtarbeit. Hier tritt der Besucher vor eine Phalanx farbiger Lichtkegel, um sich in einem Aufmarsch synchronisierter Schatten zu verwandeln.

Auch der Schatten kann ein Medium der Aufklärung sein

Gelegentlich schmuggelt Stephan Berg Artverwandte unter die Schattenriege – etwa Fotonegative von Thomas Ruff oder ein Röntgenbild von Jürgen Klauke. Und natürlich fehlen auch die neueren Klassiker des Silhouetten-Kinos nicht: Kara Walker erzählt in ihrer Fabel einer „von guten Absichten begrabenen Schwarzen“ eine andere Geschichte der Sklaverei, William Kentridge lässt eine Prozession geknechteter Schattenfiguren an uns vorüberziehen und erfüllt die halbe Ausstellung mit quäkender Musik. In diesen Filmen erkennt man die Idee, dass sich im Schatten die Wahrheit verbirgt, etwas, das ans Licht gezerrt gehört.

Auch der Schatten kann ein Medium der Aufklärung sein, sei es als Karikatur, Problemfilm oder als schwarz-weiße Grafikserie. Als Vorläufer der modernen Schattenkunst könnten Goyas Blätter über die „Schrecken des Kriegs“ gelten; sie werden in Bonn jedenfalls von Faridey Lashai durch eine Punktleuchte animiert. Wie auf diesen Gräuelbildern ist vom Schatten im Allgemeinen wenig Gutes zu erwarten. Auf den Gemälden Jenna Gribbons schiebt er sich als düstere Vorahnung ins Bild, bei Janice Guy legt er sich als Fratze auf das Gesicht der Fotografin.

Unbeschwerter blickt man auf den riesigen Schatten eines Wachturms, der in der Ausstellung über Boden und Wand hinweg einen ganzen Raum einnimmt. Obwohl Nadia Kaabi-Linke ihn offensichtlich nur aufgemalt hat, sucht man unwillkürlich nach dem in Bonn natürlich nicht vorhandenen Schattenspender. Am Ende verbindet sich mit dem Schatten vor allem die Platon’sche Erkenntnis: Alle Wahrnehmung ist trügerisch. Und weil niemand über den eigenen Schatten springen kann, gilt diese Einsicht natürlich auch für die Wahrnehmung des eigenen Selbst.


„From Dawn Till Dusk – Der Schatten in der Kunst der Gegenwart“, Kunstmuseum Bonn, Museumsmeile, Di.-So. 11-18 Uhr, Mi. 11-19 Uhr, bis 2. November 2025. Der Katalog zur Ausstellung kostet 30 Euro.