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Neue Jazz-AlbenEin Meisterwerk aus Köln

Lesezeit 5 Minuten
Paul Steimer trägt ein grünes Oberteil und hält ihr Saxofon.

Jazz-Saxofonistin Paula Steimer

In allen Stilformen bietet der Kölner Jazz vorzügliche Musik. Unter den neu erschienen Alben findet sich auch eine herausragende Aufnahme.

Als John Goldsby im Dezember letzten Jahres die WDR Big Band verließ, um in den Ruhestand zu wechseln, ging eine 30-jährige Ära zu Ende. Während man sich die Big Band immer noch nicht so ganz ohne den soignierten Kontrabassisten vorstellen mag, hat dieser begonnen, Teile seines Œuvres weithin hörbar zu machen. Auf seiner Website präsentiert er drei Alben, auf denen zwar „WDR Big Band“ draufsteht, aber lediglich einige ausgewählte Mitglieder zu hören sind: „Move“, „Incentive“ und „Pure Imagination“ zählen zu der von Goldsby organisierten Reihe „WDR Big Band – Small Group Sessions“ und zeugen von der hohen Qualität der Beteiligten auch jenseits des orchestralen Kontexts.

Elegant führen John Goldsby und Schlagzeuger Hans Dekker ihre Kollegen zu solistischen Höhenflügen. Vor allem in den intimen Trios zeigen Ruud Breuls, Johan Hörlén, Paul Heller, Andy Hunter, Ludwig Nuss und Mattis Cederberg ihre Klasse, etwa wenn Breuls seelenvoll durch den Standard „Blue in Green“ schwebt, Heller energiegeladen seine Komposition „Nippes“ auslotet oder das tiefe Blech seine sonore Schönheit offenbart – wunderbar etwa, was Mattis Cederberg auf dem Cimbasso aus dem Musical-Song „Pure Imagination“ herausholt! Immer wieder fließen Stilformen von Mainstream bis Modern ineinander und kreieren das, was Jazzkunst idealtypisch auszeichnet: dass sie weit über die Konventionen von Form, Stil und Mode hinauswirkt.

Trompeters Florian Raepke huldigt dem traditionellen Big-Band-Sound

Wer nicht auf traditionellen Big-Band-Sound verzichten möchte, sollte das Album „Young and Foolish“ des Trompeters Florian Raepke in voller Lautstärke genießen. Mit swingender Eleganz und leidenschaftlichem Groove spielt seine Big Band von Charlotte Illinger gesungene Jazz-Standards, wobei auch ein druckvolles Soul-Blues-Jazz-Opus nicht fehlt: Bobby Gentrys „Ode to Billie Joe“ arrangierte Raepke knackig fürs gesamte Orchester ohne Solo. Zum Finale packt er dann das große Besteck aus: „Young and Foolish“ beginnt verträumt-romantisch im Trio, um sich zum klangmächtigen, weniger jazzigen als eher symphonischen Tutti mit Streichern zu erheben.

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Nicht minder reich an Stimmungen, Farben und Rhythmen ist „Mocambo Affair“ des Dominik-Raab-Quartetts. Auch dieses Album wurzelt tief in den Traditionen von Swing und Bebop, besteht gleichwohl aus Eigenkompositionen des Schlagzeugers, der stilsicher mit Saxofonist Tony Lakatos, Pianist Billy Test und Bassist Doug Weiss interagiert. Richtungsweisend ist der relaxte Opener „Starring at the Stars“, der mit jedem Solo mehr Energie aufbaut und dabei doch so cool swingt wie Henry Mancinis rosaroter Panther.

Dem Trompeter Maik Krahl ist ein Meisterwerk geglückt

„Mocambo Affair“ wurde von Clemens Orth in dessen Salon de Jazz in der Südstadt aufgenommen und wie Raepkes Big-Band-Album auf dem Label JazzJazz veröffentlicht, das sich ganz dem Straight-Ahead-Jazz verschrieben hat. Aktuell gesellt sich Saxofonist Johannes Müller mit dem Album „Tenor Soul“ hinzu, auf dem Gitarrist Martin Schulte seine prägnante Spur als Gast hinterlässt. Diese führt zu Schultes eigenem Album „Fly“: Zum hinreißend aufspielenden Dreamteam gehören Billy Test (Klavier), Matthias Akeo Nowak (Bass), Jens Düppe (Schlagzeug) und Saxofonist Niels Klein, der mit seinem prägnanten, ideenreichen Spiel die Fenster zu freien Klangformen aufstößt.

Wie frisch, unprätentiös und tief emotional zeitgenössischer Jazz sein kann, bezeugen auch die neuen Alben der Trompeter Jakob Bänsch und Maik Krahl. Bänsch wurde 2024 für sein Debüt „Opening“ mit dem Deutschen Jazzpreis geehrt, mit „All The Others“ baut er nun ein komplexes Narrativ voller Bezüge zu Film und Literatur und webt einen klangdichten Soundtrack solistischen Highlights (u.a. von Gitarristin Ella Zirina). Maik Krahl wiederum glückte mit „The Magic of Consistency“ nichts weniger als ein Meisterwerk. Wie Goldsby verzichtet auch er auf das Klavier als Harmonieinstrument und erzeugt das dichte Klanggefüge des Albums dank markanter Kompositionen sowie der Brillanz seiner Mitspieler Seamus Blake (Saxofon), Julius Peter Nitsch (Bass) und Peter Gall (Schlagzeug). Vor allem das Miteinander von Krahl und Blake ist bestechend: Tief tauchen beide in die Jazzvergangenheit und zaubern doch stets mit einer stupenden Gegenwärtigkeit. Krahls Trompetenspiel erreicht sowohl in den Balladen als auch den Uptempo-Stücken den Zenit.

Maik Krahl trägt ein dunkles Jackett zum weißen Shirt und bläst in seine Trompete

Jazz-Trompeter Maik Krahl

Auch Saxofonistin Paula Steimer und Trompeter Frederik Hesse bilden ein vorzügliches Tandem. Auf Steimers Debütalbum „Thinkin‘“ tragen sie die Themen mal unisono vor, mal umranken und verzahnen sie als wachstumsfreudige Pflanzen, die organisch solistische Klangblüten öffnen. Die Eigenkompositionen der jungen Bandleaderin atmen Jazztradition, werden aber mit einem eigenen, modernen Klang gefüllt. Oft sanft bis cool, doch immer temperamentvoll erweist sich Paula Steimer als fabulierfreudige Erzählerin. Zu ihrem Quintett gehören mit Lena Lorberg (Bass), Philip Weyand (Klavier) und Jakob Görris (Schlagzeug) weitere junge Protagonisten der Kölner Szene, Görris ist aktuell mit dem Trio RGR für den Deutschen Jazzpreis nominiert.

Szenen- und Klangwechsel: Der Elektrobassist und Klangtüftler Oliver Lutz, gefragter Sideman und Band-Mitglied von Salomea, hat längst sein eigenes Genre innerhalb der Koordinaten von Fusion, Jazz-Rock und Electronik erfunden. Auch auf „Calamari Fantasy“ mag man 1970er-Reminszenzen an Weather Report und Herbie Hancock sowie Spuren des britischen Progrock à la Soft Machine, Matching Mole oder Hatfield and the North wahrnehmen, doch Lutz kreiert selbstsicher seinen persönlichen Sound. Melodische Elemente und erhabene Soli von Lutz sowie der niederländischen Saxofonistin Tineke Postma durchdringen wie Lichtstrahlen den dichten Wuchs des Klangwaldes, in dem neben Schlagzeuger Peter Gall vor allem der „elektrische“ Pablo Held an Synthesizer und Keyboards den Sound der intensiven Session-Einspielung prägt.

Dazu passt, dass Held seinem neuen Album „Unity“ ebenfalls eine gehörige Portion Electronika beimischt. Was mitunter wie eine Fortsetzung seines Soloalbums „Embracing You“ anmutet, ist im Kern doch eher eine weitere, wunderbare Variation seines Trios mit Robert Landfermann und Jonas Burgwinkel, gewürzt mit Akzenten des Gitarristen Nelson Veras.

Paula Steiner Quintett, live im Salon de Jazz. 2.5., 20 Uhr