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phil.CologneVon Diskursfreiheit und Brandmauern

Lesezeit 4 Minuten
Frauke Rostalski und Rolf Mützenich diskutieren auf der phil.Cologne mit Jürgen Wiebicke.

Frauke Rostalski und Rolf Mützenich diskutierten auf der phil.Cologne mit Jürgen Wiebicke

Rolf Mützenich (SPD) und Strafrechtsprofessorin Frauke Rostalski stritten auf der phil.Cologne über die Frage, ob Deutschland eine Brandmauer braucht.

„In diesen Zeiten des Verfalls und der Verrohung politischer Diskurse verspüre ich doch manchmal die tiefe Sehnsucht nach einer Habermas'schen Gesellschaft. Nach einer Diskurskultur, in der alle Gesprächsteilnehmer mit Wohlwollen aufeinander zukommen, es um Fakten geht und letztendlich das beste Argument den Ausgang der Diskussion bestimmt“. Utopisch schwärmend leitet Jürgen Wiebicke, als Journalist unter anderem für den WDR tätig, seine Moderation ein. Denn bei der Diskussion am Freitagabend, die im Rahmen der sich zu Ende neigenden phil.Cologne stattfindet, steht ein in dieser Hinsicht zentrales Thema im Mittelpunkt: die Brandmauer. Bedarf es ihrer in Anbetracht der zunehmenden Verbreitung demokratiefeindlicher Parolen und Standpunkte in Diskursen? Oder gefährdet sie selbst die Demokratie durch ihren ausgrenzenden Charakter?

Getrennt in der Ansicht, geeint in der Gesprächskultur

Wiebicke hat Glück: Wonach er sich sonst lediglich sehnt, kann für die kommenden 90 Minuten verwirklicht werden. Eine Bühne, zwei Tische, drei Redner - und eine Gesprächskultur, die ebenso von grundsätzlicher Offenheit wie von der Unantastbarkeit unausgesprochener, im gegenseitigen Respekt füreinander begründeter Werte geprägt ist. Mehr braucht es (an diesem Abend) nicht für eine Diskussion nach Habermas'schem Ideal.

Sich gegenüber sitzen Rolf Mützenich, MdB für die SPD-Fraktion aus Köln, und Frauke Rostalski, Professorin für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität zu Köln. Die Ausgangslage der Diskussion verspricht Spannung(en): Mützenich, der das erste Wort erhält, wählt zwar andere Worte als bei seiner populär gewordenen „Höllentor“-Rede Ende Januar 2025, bleibt seinem Standpunkt aber treu: „Ja, wir brauchen eine Brandmauer. Und es ist die historische Verantwortung der SPD, sie zu halten.“ Frauke Rostalski könnte kaum mehr widersprechen: „Ich vertrete die demokratietheoretische These, dass wir Gesetze nach ihrem Inhalt beurteilen sollten - nicht danach, wer für sie gestimmt hat.“

Von links nach rechts: Frauke Rostalski, Rolf Mützenich, Jürgen Wiebicke

Frauke Rostalski, Rolf Mützenich und Jürgen Wiebicke

So beginnt die Diskussion. Aber was verstehen die Gesprächspartner überhaupt unter dem Begriff der Brandmauer? Für Mützenich ist klar: „Die Brandmauer steht, wenn man keinerlei gemeinsame politische Sache mit demokratiefeindlichen Parteien macht.“ Rostalski teilt dieses Verständnis zwar grundsätzlich, nennt es die „politische Brandmauer“, ergänzt diese aber um einen weiteren Begriff: „Es gibt auch die gesellschaftliche Brandmauer. Die steht, wenn in der breiten Gesellschaft gewisse Themen als AfD-Themen geframt, entsprechende Diskurse gar nicht erst zugelassen und Wählergruppen ausgeschlossen werden.“ Heiße es auf Anti-AfD-Demonstrationen „Nazis raus“, widerspreche ein solches „Framing“ der demokratischen Tugend der Offenheit gegenüber anderen Meinungen.

Dieses zweite Verständnis greift Mützenich unmittelbar kritisch auf. „Die demokratische Tugend der Offenheit betont allerdings nicht nur andere politische Meinungen, sondern ebenso, dass man sich gegen diese aussprechen darf. Ich sehe in politischen Demonstrationen gegen die AfD dementsprechend keine Gefährdung, sondern eine Konsolidierung der Demokratie“, kontert der Sozialdemokrat geistreich.

Fragwürdige Einschätzungen und historische Vergleiche

Hier werden sich die beiden Redner nicht so schnell einig, erkennt auch Wiebicke. Also zur nächsten Frage: „Steht die Brandmauer überhaupt noch?“. Auch hier bleibt Mützenich bei seinem alten Standpunkt: „Nach der Abstimmung der CDU mit der AfD hat sich der Umgang mit der AfD unumkehrbar geändert. Das war ein historischer Moment.“ Applaus erntet Mützenich, als er seine These durch die Bezugnahme auf Jens Spahn untermauert. Der CDU-Fraktionschef fordert, die AfD wie jede andere Oppositionspartei zu behandeln. Auf ihre Entgegnung hört Rostalski lediglich ironisches Gelächter aus dem Publikum: „Die Brandmauer lässt sich offensichtlich wieder aufbauen. Das ist auch daran zu sehen, dass die aktuelle Bundesregierung statt der mehrheitlich geforderten rechts-konservativen Politik nun stark linke Politik macht.“

Mützenich, der sonst ausgesprochen souverän und besonnen wirkt und durch einen trocken-ironischen Ton gewitzt argumentiert, verzieht bei dieser Aussage sein Gesicht. Auch hier ist keine Einigung in Sicht. Also leitet Wiebicke zur vielleicht wichtigsten Frage über: „Was passiert eigentlich, wenn die Brandmauer gefallen ist?“ Mützenich spricht aus fast zehnjähriger Bundestagserfahrung mit der AfD: „NS-Vergleiche hinken meines Erachtens.“ Anders sieht das allerdings mit DNVP-Vergleichen aus: „Die passen schon eher.“ Analog zu den geistigen und soziopolitischen Wegbereitern des Nationalsozialismus sieht Mützenich in der AfD den Wegbereiter einer neuen, undemokratischen Gesellschaft. Rostalski hingegen ist gelassener. Ihrer Meinung nach sei das schlimmst-denkbare Szenario: „Wenn eine Regierung aus Konservativen und AfD tatsächlich unüberbrückbare Differenzen hat, dann löst sie sich schlichtweg auf.“

Eine finale Antwort auf die Frage, ob Deutschland eine Brandmauer braucht, und wenn ja, wie genau diese aussehen muss, findet diese Diskussion nicht - zumindest keine einstimmig geteilte. Dennoch ist die Diskussion aufschlussreich. Unter der Ebene inhaltlich interessanter Ansichten und deren Austausch machen Mützenich und Rostalski eines vor: Nach den 90 Minuten, in denen sich die beiden inhaltlich nicht aufeinander zubewegt haben, schütteln sie einander die Hand. Es scheint, als läge ihr Demokratieverständnis gerade in der Anerkennung des Existenzrechts und der Relevanz anderer demokratischer Positionen.