Die dritte Staffel von „The White Lotus“ ist einmal mehr ein Kommentar auf das, was schiefläuft in unserer Welt.
Serienphänomen „The White Lotus“Man wird ja wohl noch reich sein dürfen

Patrick Schwarzenegger gibt den verzogenen Schnösel so überzeugend, dass man sich fragt, wie er im wahren Leben tickt.
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Im großen Finale einer amerikanischen Serie, die in einem Luxusressort in Thailand spielt, mit einem deutschen Weihnachtslied aus dem 16. Jahrhundert verabschiedet zu werden, kommt etwas überraschend. Und doch passt „Es ist ein Ros entsprungen“ - hier in der englischen Version - erstaunlich gut nach acht Folgen der dritten Staffel „The White Lotus“. Immerhin ist die Geburt Jesu für Christen der Moment, in dem die Hoffnung auf Erlösung ihren Anfang nimmt. Dass die nicht ohne ein geopfertes menschliches Leben zu haben ist, müssen auch die Charaktere in Mike Whites böser Gesellschaftssatire einmal mehr erfahren.
Wobei die Frage offen bleibt, ob es Erlösung in dieser Welt der Superreichen, die wir hier bestaunen dürfen, überhaupt geben kann, ja, ob sie überhaupt erstrebenswert ist. Kritiker werfen dem Showrunner, der die Idee 2020 entwickelte, als HBO ihn um eine Serie bat, die auch unter Lockdown-Bedingungen gedreht werden könnte, vor, in nunmehr drei Staffeln die nicht besonders originelle These auszuwalzen, dass Geld den Charakter verdirbt.
Oberflächlich betrachtet, ist an dem Vorwurf etwas dran. Und vielleicht macht es sich White in der Tat ein bisschen zu einfach, wenn er uns die Superreichen dieser Welt als Haufen egozentrischer Hedonisten präsentiert, die ausschließlich an sich und ihre Vorteile denken. Auf der anderen Seite erleben wir gerade, wie in der Realität der Reichste von allen mithilft, die Welt ins Chaos zu stürzen - und viel Selbstreflexion ist bei Elon Musk und seinem Anhang nun wahrlich auch nicht zu entdecken.
Die Katastrophe kündigt sich an
Da flüchten wir uns doch lieber in die fiktive „The White Lotus“-Welt. Die Rahmenhandlung ist schnell erklärt: In jeder Staffel reisen amerikanische Touristinnen und Touristen in ein Ressort dieser Luxus-Hotelkette. In der ersten Staffel war Hawaii der Schauplatz, in der zweiten ging es nach Sizilien, nun begrüßt das Hotelpersonal rund um den deutschen Manager Fabian (Christian Friedel) seine Gäste in Thailand. Und auch hier erfahren gleich wir zu Beginn, dass es am Ende Tote geben wird. Dann springt die Serie eine Woche zurück, und wir schauen dabei zu, wie es dazu kommen konnte. Die Katastrophe kündigt sich an, verhindern lässt sie sich nicht.
Doch „The White Lotus“ ist nur vordergründig ein „Whodunit“. Vielmehr verhandelt die Serie die Frage, was uns oder - wenn man es groß denken will - den Westen so ruiniert hat. Die Antworten sind eher ernüchternd, aber wer verstehen will, was gesellschaftlich schiefläuft in Ländern, die eigentlich so reich sind, dass es für alle reichen sollte, um in Würde zu leben, ist hier genau richtig.
Wer alles hat und sich alles leisten kann, sollte doch eigentlich glücklich sein, oder? Da ist zum Beispiel die Südstaaten-Familie Ratliff. Vater Timothy (Jason Isaacs) hat seinen Reichtum geerbt und ihn dann mit zwielichtigen Methoden vergrößert. Sohn Saxon (Patrick Schwarzenegger) ist ein sexbesessener Poser, der, wie es Chelsea (Aimee Lou Wood), die er am Pool anbaggert, später ziemlich lapidar zusammenfasst, keine Seele hat. Der jüngere Sohn Lochlan (Sam Nivola) will trotzdem sein wie er. Mutter Victoria (Parker Posey, mit famosem Südstaaten-Akzent) steht ihre Tage nur durch, wenn sie Beruhigungsmittel schluckt. Einzig Tochter Piper (Sarah Catherine Hook) spürt, dass es im Leben noch etwas anderes geben muss, als vom Pool zum Dinner und zwischendrin zur Massage zu gehen.
Bildung allein reicht nicht
Die Kinder haben die bestmögliche Bildung erhalten, doch wenn die nur dazu dient, im System des „Immer mehr“ keine dummen Fragen zu stellen, bringt auch diese keine Erkenntnis. Zumal gute Erziehung für Victoria heißt, ihren Kindern vor Augen zu führen, dass Leben nur dann Wert hat, wenn alles darin wertvoll ist. „Niemand in der Geschichte hat jemals so gut gelebt wie wir. Wir müssen es genießen, sonst wäre es eine Beleidigung für alle, die davon träumen, so zu leben“, sagt sie zu ihrer Tochter, als die überlegt, ein Jahr im buddhistischen Kloster zu verbringen, um dort nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Für Victoria scheint diese Aussicht schlimmer zu sein, als etwa die Ankündigung, künftig Drogenhandel betreiben zu wollen.
Sie weiß nicht, dass ihrem Mann in der Heimat wegen seiner illegalen Geschäfte eine Gefängnisstrafe droht und ihnen allen der Verlust ihres Reichtums. Sie sei lieber tot als arm, antwortet sie, als Tim sie fragt, ob sie auch ohne den Luxus leben könnte. Da ist der Schritt zur Wahl Donald Trumps auch nicht mehr weit. Solange uns nur einer verspricht, dass wir mindestens so reich bleiben oder besser noch reicher werden, ist uns alles andere egal. Moral, Werte, Gemeinwohl? Sind was für die, die sonst nichts haben. Saxon bringt es irgendwann im Gespräch mit dem Vater auf den Punkt. Er habe keine Hobbys, keine Leidenschaften: „Wenn ich kein Erfolg bin, bin ich nichts.“
Rick (Walton Goggins) ist mit seiner sehr viel jüngeren Freundin Chelsea nach Thailand gereist. Ihr Akzent und ihre Zähne, die nicht perfekt gerade und strahlend weiß sind, verraten, dass sie nicht reich geboren wurde. Vielleicht ist sie deshalb neben Spa-Expertin Belinda (Natasha Rothwell), die wir schon aus Staffel 1 kennen, die Einzige, die noch nicht ganz verloren scheint. Dass sich das rächt, ahnt man allerdings früh.
„The White Lotus“ ist bei weitem nicht die einzige TV-serie, die uns durchs Schlüsselloch in eine Welt blicken lässt, die uns sonst verborgen bleibt. Auch „Succession“, „The Undoing“ und „Big Little Lies“ arbeiteten sich an den Reichen und damit eben immer auch Mächtigen ab. Dass in dem System, in dem wir leben, etwas schiefläuft, merken wir wohl alle. Aber wer sollte es ändern?
Der spirituelle Führer im buddhistischen Kloster predigt mit Gelassenheit, dass es ohne grundsätzliche Akzeptanz aller Aspekte des Lebens keine Lösungen auf dessen Fragen geben können. „Amor Fati“ nannte Friedrich Nietzsche das - Liebe zum Schicksal. So ist auch die letzte Folge überschrieben. Aber wenn das schon den Superreichen so schwerfällt, wie soll es uns Normalen dann erst gelingen?
Alle drei Staffeln von „The White Lotus“ sind in Deutschland bei Sky/Wow zu streamen.