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Sommerblut-FestivalOstbiografien und andere Leidensgeschichten

Lesezeit 4 Minuten
Vier Frauen tragen bunte Oberteile und Baseballkappen, an deren Schirme schleierartige Vorhänge genäht sind

Szene aus „Unbreak! Aufbrüche in der Versöhnung“ 

Zwei sehenswerte Stück im Rahmen des Kölner Sommerblut-Festivals.

Willkommen im Osten. Um Kölnern im Jahr 35 nach dem Mauerfall einen Blick auf die Befindlichkeiten des Ostens zu geben, braucht es in „Ostbegegnungen“ nur eine kurze Fahrt in den Süden der Stadt. In der Alten Versteigerungshalle auf dem Großmarkt will die Produktion vom Keller-Theater/Ensemble 2030 in Kooperation mit dem Sommerblutfestival alte und neue Grenzen einreißen.

Der Diskurs um Ost- und Westdeutschland ist von beiderseitigen Vorwürfen, Missverständnissen und Unsicherheiten geprägt. Um ins Gespräch zu kommen, oder auch einfach mal zuzuhören, hat das Ensemble 2030 das denkmalgeschützte Gebäude kurzzeitig in ein Haus des Ostens umgewandelt. Die drei Regisseurinnen Luisa Bäde, Josefine Luka Simonsen und Karolin Benker geben die Gastgeberinnen. Sie alle eint der Umstand, in der Nachwendezeit im Osten aufgewachsen zu sein. Während Bäde und Simonsen mittlerweile in Köln wohnen, arbeitet Karolin Benker in Halle.

Unterrichtstunde in Sachen Osten

Die Unterrichtstunde in Sachen Osten vollziehen die Nachwendekinder nicht in Form drögen Frontalunterrichts, sondern als mit Popmusik untermalten Parcours. Auf den einzelnen Stationen wird in 90 kurzweiligen Minuten ein Potpourri an ostdeutschen Biografien sichtbar. Soziale Narben und das Gefühl einer kulturellen Entwertung wirken auch in die jüngere Generation hinein. Dass viele der jungen Erwachsenen im Nachwende-Deutschland den Osten verlassen und den demografischen Wandel damit noch verstärkt haben, macht das Bild nur noch komplexer.

Im Diskurs der Deutungshoheiten, im Sichtbarmachen von Biografien lässt sich aber manche Schublade schließen und manches Klischee ins Wanken bringen. Kann man vom Osten nicht sogar etwas lernen? Die in Videos zu sehenden Stimmen von „Ossis of Color“, den Kindern von afrikanischen und vietnamesischen Vertragsarbeitern und Austauschstudenten in der DDR, erzählen jedenfalls von einer bemerkenswerten Resilienz im Umgang mit Rassismus und rechter Gewalt. In der Stärkung demokratischer Gesellschaftsstrukturen gilt es hüben wie drüben voneinander zu lernen, will man eine gemeinsame menschenwürdige Zukunft gestalten.

Fiona Metscher wirft ihr ganzes Können in die Waagschale

Um die Fähigkeit, eine schwierige Lebenssituation ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen, geht es auch in „Unbreak! Aufbrüche in der Versöhnung“, der Sommerblut-Produktion von Polar Publik in Koproduktion mit der Studiobühne Köln. Es wird ein sehr persönlicher Abend in der Halle der Alten Feuerwache und ein ganz besonderer obendrein, denn die Zuschauer erleben bei diesem Stück über (Soll)-Bruchstellen mit Fiona Metscher eine Künstlerin, die hier in ganzes Können und ihren Mut in die Waagschale wirft.

In Gewand eines Märchens erzählt sie ihre ganz persönliche Krankheits- und Leidensgeschichte. 25 Jahre zuvor bekam sie von ihrem Arzt die niederschmetternde Diagnose, eine unheilbare Autoimmunerkrankung zu haben. Der Traum der 21-Jährigen, Schauspielerin werden zu wollen, rückte auf einmal in unerreichbare Ferne. Als Märchenerzählerin schlüpft sie in die Rolle der mächtigen Königin Caterina de’ Medici, während die Krankheit ihr in Gestalt eines finsteren Wolfes auflauert.

Ganz behutsam entwickelt sich die biografische Erzählung, wenn Metscher in einem fragilen Balanceakt Porzellantassen über die Bühne trägt, wähnt man sich als Zeuge eines Drahtseilaktes, spürt den imaginären Abgrund in der Bühnenmitte. Im nächsten Moment weicht die Spannung einem befreienden Lachen, denn das Märchen spart nicht mit absurder Komik und skurrilen Alltagsbeobachtungen.

Für weitere Bruchstellen sorgt der Wechsel in die Meta-Ebene, den Fiona Metscher mit souveräner Leichtigkeit immer wieder vollführt. Wunderbar dabei ihre Suada auf die begrenzten (finanziellen) Möglichkeiten der freien Szene. Zu gerne hätte sie mit dem Porzellan einen performativen Polterabend veranstaltet, doch so muss sich das Publikum den Scherbenpark im Kopf vorstellen.

Wie Kopfgeburten der kranken Königin erscheinen auch die übrigen Mitwirkenden des Abends. Der Posaunist Yoshiki Matsuura unterstreicht das Erzählte oder konterkariert es mit lakonischer Ironie. Mitten im Stück taucht dann der achtköpfige Stimmbruchchor (Chorleitung: Ute Eisenhut) auf, bunt gemischt in seiner Zusammensetzung und mit jazzigem Gesang, der an Kurt Weill erinnert. Wie Fiona Metscher mit dem vielstimmigen „Mutmach“-Chor um einen Ausweg aus der persönlichen Krise ringt, wie sie über überraschende Umwege doch noch ein Happy End findet, das entfaltet einen ganz speziellen Zauber.