Thomas Gottschalk beendet am Samstag seine TV-Karriere mit einem letzten großen Auftritt.
Thomas Gottschalks TV-AbschiedDas Lagerfeuer ist erloschen

Thomas Gottschalk gibt seinen TV-Abschied am Samstagabend. (Archivbild)
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Seinen vielleicht besten Auftritt hatte der Fernsehstar Thomas Gottschalk in einem Moment, in dem die Kameras gar nicht liefen. Es ist fast auf den Tag genau 15 Jahre her, als Samuel Koch am 4. Dezember 2010 in Düsseldorf bei „Wetten, dass…?“ verunglückte. Dem Publikum im Saal war zu diesem Zeitpunkt völlig unklar, wie schwer der Wettkandidat verletzt war, ob er sogar in Lebensgefahr schwebte. Das ZDF tat das einzig Richtige und brach die Livesendung ab. Und Thomas Gottschalk blieb im Saal, sprach mit dem Publikum, offenbarte seine eigene Hilflosigkeit und Verunsicherung.
Er hätte sich der Situation auch entziehen können. Die Show war schließlich vorbei. Aber er tat es nicht. Dass er damals nicht ging, offenbart eine der großen Stärken des heute 75-Jährigen. Feige war er nie. Als Marcel Reich-Ranicki bei der Verleihung des Fernsehpreises 2008 die Ehrung fürs Lebenswerk mit den berühmten Worten „Ich nehme diesen Preis nicht an“ ablehnte, war es Moderator Gottschalk, der die Situation rettete.
Entertainer ist kein Ausbildungsberuf und richtig gut ist nur, wer den Job besonders leicht aussehen lässt. Das vergisst man schnell, denn es ist ein Talent, das man nicht als solches erkennen darf, damit es seine Wirkung voll entfalten kann. Thomas Gottschalk beherrschte diese Kunst perfekt. Er war das, was viele Deutsche so gerne wären: lässig.
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Der König des deutschen Unterhaltungsfernsehens
Weltmännisch parlierte er in seinen Glanzzeiten bei „Wetten, dass…?“ im perfekten Englisch mit den größten internationalen Stars, und man hatte immer das Gefühl, mit der Fachverkäuferin in der Bäckerei um die Ecke würde er auch nicht anders reden. Er holte den Deutschen nicht nur die Stars ins Wohnzimmer, er machte sie menschlich.
Gottschalk war über viele Jahre der unangefochtene König des deutschen Unterhaltungsfernsehens. Diesen Status hat er schon lange eingebüßt. Aus dem Kindheitshelden vieler Deutscher ist in den vergangenen Jahren eine umstrittene Figur geworden. Der große Blonde, der die Nation vor dem Fernsehen vereinte, spaltet sie plötzlich.
Zuletzt sorgte er mit zwei Fernsehmomenten für Negativschlagzeilen. Bei der Bambi-Verleihung wirkte Gottschalk seltsam fahrig und vergriff sich im Ton. Vergangene Woche dann, bei der Romy-Verleihung in Kitzbühel, der nächste verunglückte Auftritt. Gottschalk sprach wirr, das Publikum war sichtlich verunsichert. Kurz darauf machte er im „Bild“-Interview seine schwere Krebserkrankung öffentlich.
Zwei Operationen liegen hinter ihm, er nimmt starke Medikamente. Erst bei der Bambi-Gala sei ihnen selbst klar geworden, wie heftig die Nebenwirkungen seien, sagte Gottschalks Frau. Die Auftritte waren sicher ein Fehler. Aber es ist menschlich, dass Gottschalk diese Momente der Anerkennung noch einmal ersehnte. Er ist eben ein altes Zirkuspferd.

Thomas Gottschalk hatte viele große Stars zu Gast, auch Heidi Klum nahm regelmäßig auf dem „Wetten, dass..?“-Sofa Platz.
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Wohl deshalb will er trotz seiner schweren Erkrankung an diesem Samstag noch einmal die große Bühne betreten. Zusammen mit Günther Jauch und Barbara Schöneberger wird er in „Denn sie wissen nicht, was passiert“ zu sehen sein. Es ist ein Motto, das auch für RTL gilt. Deshalb zeichnet der Kölner Sender die Show kurz vorher auf und will sie dann „Live on Tape“ ausstrahlen. Ein Puffer, falls etwas schiefgehen sollte.
Es wird, Stand jetzt, sein letzter Auftritt vor einem Millionenpublikum. Die Quote wird mit Sicherheit sehr gut, denn kalt lässt der 75-Jährige die wenigsten. Das Phänomen Gottschalk ist nämlich viel größer als Gottschalk selbst. Er steht für viele für die Sehnsucht nach einer Zeit, in der vermeintlich alles so viel leichter, geordneter, besser war. Diese Nostalgie ist verständlich, unangebracht ist sie dennoch. So denken und fühlen nur die, die schon immer zur Mehrheitsgesellschaft gehörten und es sich lange leisten konnten, die Ungerechtigkeiten in dieser Gesellschaft auszublenden.
Ein gefährliches Narrativ
Dabei war es auch vor 20 oder 30 Jahren unangemessen, Frauen ungefragt ans Knie zu greifen oder ihnen schmierige Komplimente zu machen. Es hat bloß einfach damals außer den Betroffenen niemanden interessiert. Das hat sich geändert. Marginalisierte Gruppen sind in der Zwischenzeit lauter geworden. Und ja, das macht den Diskurs komplizierter.
Gottschalk ist klug genug, das zu wissen. Er blendet es dennoch aus – und bedient stattdessen ein gefährliches Narrativ. Er könne verstehen, dass Menschen Angst haben, die Demokratie gehe vor die Hunde, „weil die Leute das Gefühl haben, sie können nicht mehr alles, was sie denken, laut aussprechen“, sagte er 2024 bei einem Auftritt bei der lit.Cologne Spezial in Köln. So gehe es ihm selbst auch. „Früher habe ich erst geredet und dann gedacht, und heute denke ich erst und sage dann nichts mehr.“ Dabei ist die Wahrheit doch eine andere: Sagen kann man immer noch alles, man muss nur damit rechnen und es aushalten, dass jemand widerspricht. Das ist anstrengender, aber auch viel demokratischer und ehrlicher.
Die Welt ist nicht schwarz-weiß, sondern fast immer sehr, sehr grau. Und das gilt eben auch für alle Menschen, die in ihr leben, inklusive Thomas Gottschalk und den Umgang mit ihm. Es kann beides wahr sein: Man kann sich mit einem warmen Gefühl an die Samstagabende im Frottee-Bademantel auf dem Sofa erinnern und gleichzeitig anerkennen, dass vieles von dem, was Gottschalk in den vergangenen Jahren und auch zu seinen erfolgreichsten Zeiten gesagt hat, falsch war.
Man muss Mitgefühl mit einem krebskranken Menschen haben und sollte gleichzeitig nicht leugnen, dass er sich schon vorher teilweise problematisch verhielt. Und man kann einem der größten Stars des deutschen Unterhaltungsfernsehens einen würdigen und schönen Abschied wünschen und gleichzeitig froh sein, dass er nun nicht mehr im Fernsehen zu sehen sein wird. Gottschalk in den Himmel zu loben ist ebenso falsch, wie ihn schlimmst möglich scheitern sehen zu wollen.
Die Frottee-Bademäntel sind eingemottet, das zu häufig beschworene TV-Lagerfeuer ist längst erloschen. „Das Fernsehen braucht mich nicht mehr“, zog Gottschalk vor einem Jahr in Köln Bilanz. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass es ihm umgekehrt genauso geht.

