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Ute Lemper über Trump„Es könnte sein, dass ich nach Europa zurückkehre“

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Ute Lempe, Kultur in Leverkusen 2024

Ute Lempe, Kultur in Leverkusen 2024

Ute Lemper über die Bedeutung von Marlene Dietrich, ihre Verantwortung als Künstlerin und die USA unter Donald Trump

Frau Lemper, Sie haben hier in Köln ein Buch über Marlene Dietrichs Einsatz im Zweiten Weltkrieg für die Amerikaner vorgestellt. Sie selbst wurden zu Beginn Ihrer Karriere mit ihr verglichen und haben ihr einen Brief geschrieben. Auf den reagierte sie 1987 mit einem Anruf. Wie muss man sich das vorstellen, wenn plötzlich die Dietrich anruft?

Ich hatte diesen Brief geschrieben und einen Monat später hat sie mich gefunden im Hotel. Der Rezeptionist sagte, Marlene Dietrich hat für sie angerufen. Erst dachte ich, so ein Quatsch, aber dann kam ich in mein Zimmer und zehn Minuten später klingelte das Telefon. Sie war dran. Es war ein langes Gespräch, fast drei Stunden lang. Ich war natürlich ehrfürchtig und habe ein paar Fragen gestellt, aber sie hat die meiste Zeit geredet. Sie hat Rilke rezitiert und über ihre Geschichte gesprochen. Und immer wieder hat sie gesagt: Die wollen mich ja nicht zurück. Denn ich hatte sie gefragt, ob sie noch mal zu einem Konzert nach Deutschland kommt.

Sie haben gesagt, deutsch zu sein, war immer eine belastende Identität. Das ist ja eine interessante Parallele zu Marlene Dietrich, die unter der von Ihnen beschrieben Ablehnung sehr litt.

Mir wurde das klar, als ich im Ausland war und dafür beurteilt wurde, Deutsche zu sein. Ich spreche von den 80er Jahren. Da war gleich eine Verantwortung. Schon als 13-Jährige im Schüleraustausch nach Frankreich wurde ich nach Hitler gefragt. Somit musste ich mich damit als junge Deutsche sofort auseinandersetzen im Ausland.

Wie sind Sie mit dieser Verantwortung als Künstlerin umgegangen?

Das begann ja auch schon 1987 mit meinen Aufnahmen der Kurt-Weill-Werke. Da wurde ich plötzlich vor dieses unglaublich große, wichtige Projekt gestellt mit der Wiederaufnahme der Musik, die von den Nazis unterdrückt worden war. Das hat sich weltweit riesig verkauft. Es war sozusagen eine Wiederbelebung der Weimarer Zeit, die mit Kurt Weill begann und dann in die Berliner Kabarettlieder mündete. Diese Platten haben weltweit eine Wiederbelebung des Kabaretts ausgelöst. Das war ja genau das Material, das Marlene Dietrich gesungen hatte.

War Ihnen neben der künstlerischen Bedeutung auch die politische Bedeutung dieser Aufnahmen sofort klar?

Am Anfang hat mich das überrascht, aber es gab zum Beispiel viele Menschen aus der homosexuellen Szene, die meine Musik hören wollten. Sie haben sich in diesen Liedern wiedergefunden, sie waren ein Sprachrohr für die Freiheit der Sexualität. Aber vor allen Dingen war diese Musik ein Dialog über die Vergangenheit. Es ging darum, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Wie konnte der Holocaust passieren? Die Komponisten waren ja jüdisch. Es war eine unglaubliche Verantwortung für mich als junge Deutsche, die mich auch wütend gemacht hat, da ich die Antworten auf viele Fragen, die mir gestellt wurden, nicht geben konnte. Ich hab diese Antworten von der Generation meiner Eltern nicht bekommen und musste selbst forschen. Es war schmerzhaft, mich mit dieser Geschichte zu konfrontieren. Wie konnte ein ganzes Volk seine Seele verkaufen an den Teufel?

Es war schmerzhaft, mich mit dieser Geschichte zu konfrontieren. Wie konnte ein ganzes Volk seine Seele verkaufen an den Teufel?
Ute Lemper über die NS-Zeit

Haben Sie in solchen Momenten manchmal gehadert mit dem Deutschsein?

Die Verantwortung war in meinen Pass hineingeschrieben. So empfinde ich das bis heute. Ich wollte mich dieser Aufgabe stellen. Durch die Musik, die ich sang, setzte ich mich damit auseinander. Mein erster Mann war jüdisch, mein zweiter Mann war jüdisch. Ich habe nur noch selten in Deutschland gelebt und bin dann über Paris und London nach New York, in die Stadt der Immigranten, gegangen. Vielleicht hat das irgendwie mitgespielt. Aber es ging natürlich auch um die internationale Karriere.

Wie Marlene Dietrich wurden auch Sie gefragt, warum Sie Deutschland verlassen haben.

Sie hat Deutschland 1929 nicht bewusst verlassen, das war ja noch in der Weimarer Republik. Ihre Karriere konnte größer werden, man hat sie nach Hollywood gerufen. Mich hat man nach Paris gerufen, um dort zu spielen, in Filmen mitzumachen, dann auch nach London und an den Broadway. Ich bin der Arbeit gefolgt und konnte natürlich genau wie die Dietrich sehr gut mein Land aus der Ferne und aus einer anderen Perspektive beobachten.

Sie leben seit fast 30 Jahren mit einer Greencard in New York, sind aber weiterhin deutsche Staatsbürgerin. Wie erleben Sie die Stimmung dort? Wie steht es um die Kunstfreiheit in Ihrer Wahlheimat?

Die Menschen sind schockiert. Jeder Tag ist voll von unglaublichen Neuigkeiten. Mein Sohn hat eine Start-up-Company für alles aus feinem Florentiner Porzellan. Die sind völlig aufgeschmissen mit den Zöllen. Er überlegt, ob er seine Firma zumachen muss. Meine Tochter war an der Columbia University, wird dorthin aber nicht mehr zurückkehren. Da wird alles zensiert, auf dem Campus darf keine einzige Demonstration mehr stattfinden. Freunde und Bekannte, die dort studiert haben, wurden zurückgewiesen in ihre Länder.

Haben Sie die Befürchtung, dass es für Sie so weit kommen könnte, dass Sie nicht mehr in den USA wohnen wollen?

Ja, das könnte sein. Ich lebe seit 1988 in New York. Aber wenn es so weitergeht, könnte es durchaus sein, dass ich da noch mal die Zelte abbreche und nach Europa zurückkehre.

Und wie blicken Sie auf die Entwicklung in Deutschland?

Es ist für mich unfassbar, dass die AfD einen Boden gefunden hat, auf dem sie ihr Unkraut wachsen lässt. Und die Menschen wollen das fressen. Es ist wie ein Verlust von Vernunft, Gewissen und Bildung. Man sieht, dass diese Partei dort viel größer ist, wo die Bildung nicht hinreicht. Das ist dasselbe Phänomen wie mit Trump. In den Großstädten wird er nicht geliebt, aber in den Südstaaten und in Kleinstädten wird er geliebt, wo einfach Gehirnwäsche mit Religion und alldem stattfindet.

Glauben Sie, dass Kunst die Chance hat, etwas zu bewirken, wenn solche Entwicklungen in der Gesellschaft zu sehen sind?

Nein, schauen Sie die USA an. Während der Wahlen haben sich doch die meisten Künstler gegen Trump ausgesprochen und haben Kamala unterstützt. Das war alles für nichts. Die Wirtschaft hat so viel mehr Macht als die Kunst. Wie Brecht, der weise Mann, schon sagte: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. 


Ute Lemper (61) wuchs in Münster auf. Sie tritt seit mehr als 40 Jahren auf den renommiertesten Bühnen der Welt auf und feierte Erfolge in Paris, Berlin, London und am Broadway. Sie lebt in New York.

Noch bis zum 21. April steht Ute Lemper im Opernhaus Wuppertal in „Die sieben Todsünden“ mit dem Tanztheater Pina Bausch auf der Bühne. Die Veranstaltungen sind alle ausverkauft.

Aus Anlass des 125. Geburtstags und des 75. Todestags des Komponisten Kurt Weill erscheint am 25. April ihr neues Album „Pirate Jenny“. Die erste Single daraus, „Mack the Knife“, wurde bereits im März veröffentlicht.

In Köln stellte sie im Greven Verlag mit dem Autor Reiner Burger sein Anfang März erschienenes Buch „Marlene Dietrich an der Front“ (160 Seiten, 38 Euro) vor. (amb)