Klimawandel und menschliches Verhalten sorgen auf den Philippinen für das Sinken ganzer Städte. Teile des Großraums Manila sacken in besorgniserregendem Tempo ab.
Klimawandel und Grundwasser„Das Wasser steht uns bis zum Hals“ – auf den Philippinen sacken ganze Städte ab

Wasser bis vor die Haustür: In der 78.000-Einwohnerstadt Macabebe sinkt in besorgniserregendem Tempo der Boden ab. .
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Wer zu Fuß durch Macabebe geht, fühlt sich seltsam riesig. Viele der Türen von Wohnhäusern sind lediglich schulterhoch, die Dächer liegen auch nur etwas höher. Fenster sehen auf den ersten Blick aus, als wären sie bodentief. Doch dass dies nicht mit Absicht so designt wurde, wird schnell klar: Im Inneren reichen Fensterbänke bis auf den Boden. Im beliebtesten Restaurant des Ortes liegt die Deckenhöhe bei knapp 1,90 Metern. Größere Gäste ducken sich beim Eintreten. Es scheint, als sei man unterwegs in einer Zwergenstadt.
Das Wasser steht uns bis zum Hals
„Wenn’s das nur wäre!“, seufzt Maria Nerissa Laguindanum, während sie durch ihren Heimatort führt, eine Straße entlang, die gespickt ist von auffallend kleinen Häusern. „Wären wir eine Zwergenstadt, wäre ja alles gerade groß genug für uns.“ Wobei, fügt die 56-Jährige hinzu, das eigentliche Problem der 78.000-Einwohner-Stadt auch dann nicht gelöst wäre: „Das Wasser steht uns bis zum Hals.“ So oder so. Und dieser Zustand werde von Jahr zu Jahr schlimmer. „Wir wissen allmählich nicht mehr, was wir noch tun sollen.“

Macabebe im September 2024 nach heftigen Regenfällen.
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Macabebe, eine Stadt am Nordrand des Großraums Manila, der Hauptstadt der Philippinen, wirkt wie ein Ort, in dem die Häuser kleiner sind als anderswo, weil private Hausbesitzer und der öffentliche Sektor Jahr für Jahr den Boden neu aufschütten müssen – um nicht mit den Füßen im Wasser zu stehen. Denn in dieser Ortschaft im Pampanga Delta, einer der größten Flussmündungen auf der Hauptinsel Luzon, sinkt in besorgniserregendem Tempo der Boden ab.
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Es ist eine Geschwindigkeit, die zunächst nach nicht viel klingt, bei genauerer Betrachtung aber unvorstellbar schnell ist: Um jährlich gut zehn Zentimeter sinkt der Untergrund hier ab. In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten sind dies im Schnitt also eineinhalb Meter. Einige Straßen der Stadt stehen nicht nur in der saisonalen Regenzeit unter Wasser, sondern permanent. Die Hauptstraßen des Ortes sind mit neuem Asphalt angehoben. Nur: Wie lange kann das so weitergehen?
Millionen Menschen sind vom Absinken der Orte betroffen
In dem südostasiatischen 115-Millionen-Einwohner-Land ist Macabebe der Extremfall eines Phänomens, das auch anderswo zu beobachten ist: Ausgerechnet in Küstennähe – wo schon der klimawandelbedingte Anstieg des Meeresspiegels zusehends zur Herausforderung bei Fluten und Wirbelstürmen wird – potenziert sich die Verwundbarkeit dieser Ortschaften durch ein viel schnelleres Absinken des Bodens. Spricht man hier vom „Untergang“, sind nicht das politische Chaos im Land oder tägliche Verkehrsstaus gemeint, sondern sprichwörtlich das Untergehen ganzer Städte. Perspektivisch sind Millionen betroffen.
Warum mehrere Orte in den Philippinen absinken, ist nicht abschließend geklärt. Eine Frau, die dies herausfinden will, heißt Jolly Sulapas. An einem stickig heißen Vormittag trifft sich die 33-jährige Geologin, die derzeit ihre Doktorarbeit am Resilience Institute der University of the Philippines in Manila vorbereitet, mit Anwohnerinnen des Ortes wie Maria Nerissa Laguindanum, um die Lebensrealitäten besser zu verstehen. „Was tun Sie auf Haushaltsebene gegen das Absinken?“, gehört zu den Fragen der jungen Forscherin.

Menschen waten durch ein überschwemmtes Gebiet in Malabon, Metro Manila. Die Philippinen schlossen am 24. Juli Schulen und sagten Flüge ab, als heftige Regenfälle die nördliche Insel Luzon des Landes heimsuchten.
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Laguindanum, die in der Landwirtschaftsbehörde der Stadt arbeitet, die noch einen Teil des Großraums Manila bildet, muss grinsen, ein bitteres Grinsen. Sie führt zu ihrem Haus am Rande der Hauptstraße, die längst wie ein Deich aus Asphalt durch den Ort führt. Die dreifache Mutter steigt eine Schräge hinunter, mehr als einen Meter, und deutet auf ihr Grundstück. Unter einem Carport ist Gerümpel gelagert, ein halb unter Wasser stehendes Fenster deutet an, wie dieses Zuhause einst aussah.
„Das Erdgeschoss können Sie nicht sehen. Das würde längst unter Wasser stehen“, sagt die Eigentümerin, die dieses Grundstück kurz nach der Jahrtausendwende kaufte. „Vor fünf Jahren haben wir es mit Beton zugeschüttet.“ Das, was jetzt wie das Erdgeschoss aussieht, war damals noch ein Obergeschoss. Und eigentlich, betont die Angestellte der Stadt, müsste sie ihren Boden bald wieder erneut aufschütten. „Aber das kostet um die 100.000 Philippinische Pesos (etwa 1500 Euro, Anm. d. Red.).“ Im Moment hat sie das Geld nicht.
Von weltweit 99 Küstenstädten sinkt ein Drittel ab
Die Philippinen sind nicht das einzige Land mit viel Küste, in dem gleichzeitig mit dem Anstieg des Meeresspiegels auch ein Absinken des Grunds zu neuen Problemen führt. Eine 2022 veröffentlichte Studie, die sich insbesondere auf die Auswertung neuer und alter Satellitenbilder stützt, kam zu dem Schluss, dass von 99 untersuchten Küstenstädten weltweit ein Drittel absackte – viele davon gar fünf Mal so schnell, wie der Meeresspiegel klettert.
Betroffen sind vor allem Metropolregionen in Asien – so etwa Jakarta, die Hauptstadt des philippinischen Nachbarlands Indonesien, oder auch Chittagong in Bangladesch und Mumbai, die größte Metropole Indiens. Auch in New York, Rotterdam oder Taipeh ist ein leichtes Absinken des Bodens messbar, teils wegen der vielen Hochhäuser – allerdings sind die Effekte hier eher noch klein. Hinzu kommt, dass die Ursachen dort, wo das Absacken rasant geschieht, besondere sein dürften.
Durch Grundwasserentnahme entstehen Freiräume
Jolly Sulapas, die sich mit dem Phänomen täglich auseinandersetzt, kann keine exakten Antworten geben. „Derzeit laufen mehrere Forschungsprojekte, die nach Gründen suchen“, sagt sie, während sie mit durch Macabebe geht und immer wieder staut über die Situation hier. „Aber wir gehen davon aus, dass ein entscheidender Grund die Extraktion des Grundwassers ist. Gerade in der Region rund um Macabebe wird Trinkwasser vor allem aus dem Grundwasser gewonnen.“
Durch die Entnahme entstehen unter der Erde Freiräume im Boden, was zu sukzessivem Sinken führe. Im Ortszentrum ist auch die Altstadt längst betroffen. Die Kirche, die einst eine stolze, hohe Eingangstür hatte, wirkt heute mit ihrer oben spitz zulaufenden Form kaum mehr opulent. Eine Sporthalle ist zum Lagerort umfunktioniert, seitdem das Spielfeld aufgeschüttet werden musste, sodass die Tribüne an den Rändern nicht mehr höher lag als der Rest des Innenraums.
Und all das, weil die Leute nur etwas Trinkwasser fördern?
Auf dem Campus der University of the Philippines, im Zentrum von Manila, schüttelt Alfredo Mahar Lagmay den Kopf. In seinem Büro klickt der Geologe, der die Promotion von Jolly Sulapas betreut, durch eine Präsentation mit Satellitenbildern. „Über die letzten rund 20 Jahre hat die Zahl von Industrieanlagen und künstlichen Teichen für die Fischzucht stark zugenommen“, kommentiert Lagmay. „Die brauchen jeweils sehr viel Frischwasser. Und das holen die Betreiber vermutlich – wie andere auch – aus der Erde.“ Die Auswirkungen scheinen desaströs zu sein.
Auf Empfehlung von Experten wie Lagmay haben mehrere Lokalregierungen schon begonnen, unkontrollierte Grundwasserextraktion zu verbieten. Aber oft seien die Besitzer der Fischteiche Menschen mit viel Geld, die wohl dafür sorgten, dass die Kontrolleure ein Auge zudrücken. „Richtig dramatisch wird die Situation, wenn der Pampanga-Fluss im Juli über die Ufer tritt“, fährt Lagmay fort. „Die Teiche verhindern, dass das Wasser abfließen kann.“ Die Überschwemmungen werden dann umso stärker.
Aber auch außerhalb des Monats Juli stehen viele Gegenden in Orten wie Macabebe heute permanent unter Wasser.
An einer anderen Stelle im Ort zeigt Maria Nerissa Laguindanum auf einen kleinen See, in dem ein Haus auf Stelzen steht. „Als ich ein Kind war, haben wir hier gespielt. Das war mal ein Reisfeld!“ Am Ufer steht Nilo Yabut und nickt: „Ich habe das Land von meinem Vater geerbt“, sagt er – und deutet Anführungszeichen an, als er das Wort „Land“ ausspricht.
Wegen der Überschwemmungen ein Umstieg von Reis auf Aquakultur
Als Nilo Yabut vor einigen Jahren den Familienbetrieb übernahm, stieg er von Reis auf Aquakultur um. „Es war ja kein Land mehr da.“ Betriebswirtschaftlich sei das eher gut, sagt der Mann und blickt auf ein Boot, das einer seiner Mitarbeiter mit einem Motor und Ausfangnetz über das einstige Reisfeld lenkt. „Wir züchten hier Tilapia, eine Fischsorte, die in Brackwasser leben kann, also Salz- und Frischwasser aushält.“ Diese Fischart, die auch in Manila viel gegessen wird, habe Nilo Yabut tatsächlich einen Tick wohlhabender gemacht.

Die durch sintflutartige Regenfälle verursachten Überschwemmungen legten am 22. Juli das Leben in der philippinischen Hauptstadt lahm, Tausende wurden aus ihren Häusern evakuiert und mindestens zwei Menschen gelten als vermisst.
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Das Wasser für seinen Teich komme nicht aus dem Grund, betont er. „Wir setzen eben auf Brackwasser.“ Was in seinem Fall der Wahrheit entsprechen mag, hört man im Ort allerdings überall: Den Grund rühre man nicht an, behaupten viele Bewohner. Jolly Sulapas machen solche Aussagen skeptisch: „Beim Rathaus wird berichtet, dass oft schon 180 Meter tief gebohrt werden muss, um noch auf nicht salziges Wasser zu stoßen.“ Zudem wird über salziges Leitungswasser geklagt – ein Zeichen verstärkter Grundwasserextraktion.
Auch Erdbeben führen zum Absenken
Ein weiterer Grund für das Absinken des Bodens könnten Erdbeben und die Aktivität eines Vulkans in der Nähe sein, was zu Verschlägen im Erdboden führt. „Tendenziell rutscht dann auf einer der beiden Seiten des Risses der Grund ab“, erklärt Alfredo Mahar Lagmay auf dem Universitätscampus. Aber der Wissenschaftler bekräftigt: „Ich glaube nicht, dass dies allein das hohe Tempo des Absinkens erklären kann.“
In Macabebe spitzt sich die Situation Jahr für Jahr zu. Und die meisten im Ort profitieren – anders als Nilo Yabut – vom Absinken des Bodens nicht. Viele haben ihre Häuser verlassen. An Grundstücken, die unter Wasser stehen, stehen alte Schilder, die einen Verkauf anbieten.
Am späten Nachmittag versucht der Fahrer eines Tuktuk-Taxis in der Innenstadt, von seiner Garage auszuparken, um seine Arbeitsschicht in der Rushhour zu beginnen. Vorsichtig manövriert er sich durch die ständig unter Wasser stehenden Straßen. „Es nervt. Mein Fahrzeug rostet teilweise auch schon“, sagt der Mann. „Aber was soll man tun?“