Professorin Henrike von Scheliha, Expertin für Familienrecht, erklärt das Familiendrama um die Entführung von zwei Kindern der Steakhaus-Erbin Christina Block und ihres Ex-Mannes - und verrät, auf welcher Seite sie steht.
Expertin über Fall Block„Für die Kinder muss das die Hölle sein“

Die Gastronomin und Unternehmerin Christina Block verlässt das Strafjustizgebäude in Hamburg. Wegen der mutmaßlichen Entführung von zweien ihrer Kinder in der Silvesternacht 2023/24 findet am Landgericht Hamburg der Prozess statt, unter anderem gegen Block.
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Frau von Scheliha, die Steakhaus-Erbin Christina Block steht in Hamburg vor Gericht, weil sie die Entführung ihrer minderjährigen Kinder aus Dänemark in Auftrag gegeben haben soll, wo der Sohn und die Tochter bei ihrem Vater Stephan Hensel, Blocks Ex-Mann, leben. Zur Vorgeschichte des Falls gehört, dass die Kinder vorher bei der Mutter gelebt hatten, bis Hensel sie 2021 nach einem Besuchswochenende in Dänemark bei sich behielt. Ein Kampf um die Kinder, in dem Vater und Mutter sich nichts schenken – wie ungewöhnlich ist das?
Dass beide Elternteile nach einer Trennung die Kinder „für sich haben wollen“, kommt häufig vor. Und auch, dass es darüber ein Streit entsteht. Dafür gibt es Familiengerichte. Aber es läuft selten so sehr aus dem Ruder wie im Fall Block, wo das Landgericht Hamburg ja jetzt über schwere Straftaten urteilen muss.

Professorin Henrike von Scheliha, Bucerius Law School, Hamburg
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Mit Ingredienzien wie aus einem TV-Krimi: Entführung der Kinder in der Silvesternacht 2023/2024, Beteiligung zwielichtiger Gestalten wie eines angeblichen Ex-Mossad-Agenten.
Das kann man sich fast nicht ausdenken, stimmt. Der Familienrechtsstreit steht aber auf einem anderen Blatt.
Es geht da um verschiedene Dinge?
Ja, und das macht den Fall in mehrfacher Hinsicht so kompliziert.
Ein klarer Bruch der familienrechtlichen Regelungen
Versuchen Sie bitte mal, die Fäden zu entwirren! Angefangen hat es ja wohl damit, dass der Vater die Kinder im März 2021 nicht an die Mutter zurückgegeben hat.
Genau. Zu diesem Zeitpunkt waren beide Eltern sorgeberechtigt, das heißt, dass beide Elternteile Entscheidungen für die Kinder treffen durften, auch, wo sie sich aufhalten. Handelt ein Elternteil plötzlich einseitig und behält die Kinder bei sich oder bringt sie an einen anderen Ort, dann spricht man von „widerrechtlicher Kindesentziehung“ im Sinne des Familienrechts, weil dieses Verhalten gegen die Mitentscheidungsbefugnis des anderen Elternteils verstößt.
Und so war das im Fall Block: Der Vater saß in Dänemark und beschloss, die Kinder gehen jetzt nicht zurück zur Mutter. Dass die nicht begeistert war, kann man sich vorstellen.
Der Vater hat sich damals darauf berufen, dass den Kindern im Fall einer Rückkehr schwere seelische und körperliche Schäden gedroht hätten. Trotzdem war es familienrechtlich ein klarer Bruch der Regelung, dass die Kinder nach einem Umgangswochenende zur Mutter zurückkehren sollten.
Christina Block hatte ab Oktober 2021 das alleinige Sorgerecht und damit einen „Anspruch auf die Kinder“.
Hat Hensel sich damit auch strafbar gemacht?
Das ist möglich, müsste aber von einem Strafgericht eigens geklärt werden. Familienrechtlich ging es so weiter, dass beide Elternteile die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf sich beantragten. Im Oktober 2021 sprach das OLG Hamburg Christina Block das alleinige Sorgerecht zu, und sie hatte ab dann einen „Anspruch auf die Kinder“: Sie durfte allein entscheiden, dass die Kinder zurück zu ihr nach Hamburg sollten. Jetzt kommt allerdings die dänische Justiz in Spiel. Sie lehnte es mehrfach ab, das Urteil aus Deutschland zu vollstrecken.
Wie kann das sein? Dänemark und Deutschland gehören doch beide dem Rechtsraum der Europäischen Union an.
Das ist richtig. Die sogenannte Brüssel-IIa- bzw. seit August 2022 Brüssel-IIb-Verordnung regelt für die EU, dass familienrechtliche Entscheidungen automatisch in allen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt werden. Der Gedanke dahinter ist, dass familienrechtliche Verfahren möglichst zügig abgeschlossen werden sollen, um die Belastungen für die Kinder zu verringern. Außerdem geht man davon aus, dass europaweit ähnliche gerichtliche Standards herrschen. Die Mitgliedstaaten der EU vertrauen sich gegenseitig, dass die Entscheidungen der nationalen Gerichte prozessual und materiell richtig sind.
Die dänischen Behörden haben den Fall noch einmal selbst geprüft.
Also hätten Christina Blocks Kinder also nach dem Urteil des OLG Hamburg zurückkehren müssen.
In jedes andere Land der EU, ja. Dänemark ist aber als einziges EU-Land der erwähnten EU-Verordnung nicht beigetreten. Die dänischen Behörden haben deshalb den Fall noch einmal selbst geprüft. Die Mutter strengte in der Folge neue, eigene Verfahren vor den dänischen Gerichten nach dänischem Recht an und nach völkerrechtlichen Bestimmungen im „Haager Kindesentführungsübereinkommen“. Allerdings jeweils ohne Erfolg. Die dänischen Gerichte kamen nach ihren eigenen Ermittlungen zu dem Ergebnis: Die Kinder sind zwar widerrechtlich in Dänemark. Aber ihre Rückkehr nach Deutschland zur Mutter wäre mit einer Gefährdung verbunden. Damit durften die Kinder beim Vater bleiben – und das in Übereinstimmung mit EU- und Völkerrecht.
Unbefriedigend für Christina Block, oder? Sie hat ein rechtskräftiges Urteil – bekommt aber nicht ihr Recht.
Als Momentaufnahme stimmt das. Doch die Zeit vergeht – und damit können die Dinge sich ändern, gerade auch im Familienrecht.
Schlussendlich erklärte sich das OLG Hamburg dann für nicht mehr zuständig. Warum denn das?
Im Familienrecht ist immer das Gericht des Ortes zuständig, wo die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Das kann also wechseln. Nun sind im Fall Block die Kinder schon mehrere Jahre bei ihrem Vater in Dänemark. Sie gehen dort zur Schule, sind integriert. Also hat das deutsche Gericht gesagt: Für Fragen des Sorgerechts sind jetzt die dänischen Gerichte zuständig. Es spielt von nun an keine Rolle mehr, dass die Kinder ganz am Anfang unter Verstoß gegen das Sorgerecht der Mutter in Dänemark geblieben waren.

Christina Block mit ihrem Verteidiger Otmar Kury (r.) sowie ihrem Lebensgefährten, dem TV-Moderator und Sportjournalisten Gerhard Delling
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Wenn ich mich noch einmal in Christina Block hineinversetze: Gerade das muss sie doch als Schlag der Justiz in die Magengrube empfunden haben. Da hat sie nun jahrelang gekämpft, und am Ende sagt das Gericht, „jetzt ist zu viel Zeit vergangen“. Sie musste die nach Deutschland entführten Kindern nach einem Eilbeschluss des OLG Hamburg Anfang Januar 2024 ja auch sofort wieder nach Dänemark zurückgehen lassen.
Zunächst einmal ist es sinnvoll, dass die Zuständigkeit der Gerichte wechseln kann. Diese Regel hat das Ziel, Belastungen für Kinder durch ein Gerichtsverfahren möglichst gering zu halten. Wenn das zuständige Gericht in der Nähe ist, können die Kinder ohne aufwendige Anreise angehört werden. Das Gericht vor Ort kann auch leichter ermitteln, was zum Besten der Kinder ist, indem es zum Beispiel Lehrkräfte, Mitschüler, Freundinnen, Bekannte aus der Nachbarschaft befragt. Christina Block hat sich im konkreten Fall nicht damit abgefunden, dass die deutsche Justiz nicht mehr zuständig sein sollte, und hat Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Das Ganze ist also sogar beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gelandet?
Ja, aber ohne Erfolg für Frau Block. Karlsruhe hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Situation ist familienrechtlich erstmal geklärt.
Warum nicht?
Das ist juristisch wieder etwas kompliziert. Vereinfacht hat Karlsruhe gesagt: Blocks Grundrechte als Mutter seien durch die deutschen Gerichte nicht verletzt worden. Die Verfahren vor den deutschen Gerichten seien nach verfassungsrechtlichen Maßstäben korrekt verlaufen. Zum Teil hatte Christina Block ihre Rügen auch nicht ausreichend begründet. Familienrechtlich ist die aktuelle Situation damit abschließend geklärt: Stephan Hensel hat rechtmäßig das alleinige Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder.
Hat es eigentlich überhaupt mal eine Rolle gespielt, was die Kinder wollen?
Vor den Familiengerichten auf jeden Fall. Der Kindeswille ist hier sogar ein zentrales Kriterium – und zwar umso stärker, je älter die Kinder sind. Im Fall Block wurden die Kinder in den dänischen Verfahren mehrfach angehört. Laut den Gerichtsakten haben sie sich für einen Verbleib beim Vater ausgesprochen. Das war mitentscheidend dafür, dass Dänemark die Rückführung abgelehnt hat.
Es geht um Kinder mit all ihren Gefühlen und Bedürfnissen, um verletzliche Menschen, die nicht hin und her geschoben werden dürfen, je nach Stimmungslage der Eltern.
Auch wenn der Mutter das nicht gefiel und sie einen anderslautenden Rechtstitel hatte, von einem deutschen Gericht.
Ja – und so schwer ihr das auch gefallen sein mag: Das musste sie akzeptieren. Es kann jedenfalls nicht angehen, Gerichtsentscheidungen eigenmächtig durchzusetzen. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Das ist nun mal ein zentrales Prinzip im Rechtsstaat. Es dient dazu, Fairness, Verhältnismäßigkeit und Rechtsschutz sicherzustellen. Nur der Staat ist berechtigt, Zwang auszuüben, um Recht durchzusetzen. Würden Privatpersonen dies eigenmächtig tun, entstünde die Gefahr, dass sich einfach immer die Stärkeren durchsetzen. Selbsthilfe ist nur in ganz engen Grenzen erlaubt.
Zum Beispiel, wenn ich einen Dieb auf frischer Tat ertappe und ihn so lange festhalte, bis die Polizei kommt.
Und genau da kommen wir an einen entscheidenden Punkt: Es geht im Fall Block nicht um Fahrraddiebstahl oder um ein paar geklaute Schmuckstücke. Es geht um Kinder mit all ihren Gefühlen und Bedürfnissen, verletzliche Menschen, die nicht hin und her geschoben werden dürfen, je nach Stimmungslage der Eltern. Kinder haben eben ein rechtlich geschütztes Interesse an Stabilität und sicheren Verhältnissen. Ein Elternteil, der sich darüber hinwegsetzt, riskiert nicht nur juristische Konsequenzen, sondern auch das emotionale Gleichgewicht der Kinder. Eltern meinen oft, sie handelten zum Wohl ihrer Kinder und blenden damit die möglichen seelischen Schäden für die Kinder aus.
Die Kinder sind schon jetzt die großen Verlierer in diesem ganzen Drama.
Was wäre eigentlich gewesen, wenn Blocks Kinder ihr bei einem Angebot, freiwillig mit nach Deutschland zurückzukehren, gefolgt wären? Sie hat berichtet, dass sie einmal den Versuch unternommen, die Kinder aber am fraglichen Tag in Dänemark nicht angetroffen habe.
Bei einer einvernehmlichen Vereinbarung aller Familienmitglieder hat der Staat grundsätzlich nichts zu melden. Da Stephan Hensel im konkreten Fall mit einer freiwilligen Rückkehr der Kinder nicht einverstanden gewesen sein dürfte, hätte er wegen eines Verstoßes gegen sein alleiniges Sorgerecht klagen können. Da hätten dann wieder Gerichte entscheiden müssen.
Mal persönlich gefragt, auf welcher der beiden Seiten stehen Sie in diesem Fall, der von Christina Block oder der von Stephan Henseler?
Ich stehe auf der dritten Seite: der Seite der Kinder. Die sind schon jetzt die großen Verlierer in diesem ganzen Drama. Die Kinder sind nicht verantwortlich für die Entscheidungen der Erwachsenen, aber sie tragen einen ganz großen Teil der emotionalen Last, geraten zwischen die Fronten, kommen in Loyalitätskonflikte und haben wenig echte Einflussmöglichkeiten. Für die Kinder muss das die Hölle sein, und das tut mir aus tiefstem Herzen leid. Auch deshalb kann ich nur hoffen, dass nach einem Abschluss des Strafprozesses in Hamburg endlich der Deckel draufkommt.
Was nicht gesagt ist – das Ganze könnte ja auch noch in die nächsten Instanzen gehen.
Das stimmt. Aber Hoffnung haben darf man ja trotzdem. Es zeigt sich an diesem Fall aber auch exemplarisch, wie wichtig es ist, dass der Staat und seine Institutionen zum Schutz der Kinder da sind, wenn bei den Eltern vor lauter Eigeninteresse der Blick für die Kinder verloren geht.

Blick in den Sitzungssaal im Hamburger Strafjustizgebäude. Ganz rechts sitzt Stephan Hensel, Ex-Mann von Christina Block (3.v.l) und Vater der in der Silvesternacht 2023/24 entführten Kinder.
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Waren denn nicht gerade die Gerichtssäle Schauplatz des Kampfes der Eltern um ihre Kinder?
Die Eltern mögen sie so gesehen haben. Aber Familiengerichte tun in Trennungs- und Sorgerechtsstreitigkeiten sehr viel mehr, als ein paar Paragrafen anzuwenden und der einen Partei das vormals gemeinsame Fahrrad zuzusprechen oder zu entscheiden, wer den teuren Schrank behalten darf. Es geht, wie gesagt, um Menschen und im Mittelpunkt stehen immer die Kinder und deren Interessen. Die Gerichte bemühen sich, die emotionalen Konflikte runterzukochen und eine sachliche Lösung zu fördern. Das ist wichtig, gerade in solchen grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten.
Grenzüberschreitend – im geografischen oder im psychologischen Sinn?
Ich denke, hier trifft beides zu.
Sie sagten ja, familienrechtlich sei der Fall Block abgeschlossen. Es ist also für das Sorgerecht der Eltern und den rechtmäßigen Aufenthaltsort der Kinder unerheblich, wie der Hamburger Prozess um die Kindesentführung ausgeht?
Ja. Strafrecht und Familienrecht sind auch hier getrennte Angelegenheiten. Beim Freispruch eines Elternteils durch ein Strafgericht kann ein Familiengericht trotzdem zum Ergebnis kommen, dass dieser Elternteil nicht sorgegeeignet ist. Und umgekehrt führt eine strafrechtliche Verurteilung nicht automatisch zum Entzug des Sorgerechts. Praktisch betrachtet, hat eine Verurteilung natürlich Folgen. Wenn ein Elternteil ins Gefängnis muss, können die Kinder in dieser Zeit logischerweise nicht bei ihm bleiben. Aber auch während der Haft gibt es zum Beispiel Umgangsrechte mit den Kindern – immer unter der Voraussetzung, dass es ihnen nicht schadet.
Zur Person

Professorin Henrike von Scheliha
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Henrike von Scheliha, geboren 1992, ist Juniorprofessorin für Bürgerliches Recht an der Bucerius Law School in Hamburg und war zuvor Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht. Sie hat in Köln und Paris studiert und rechtsvergleichend im Abstammungsrecht promoviert. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Familienrecht, Erbrecht und internationales Recht. (jf)