Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Interview

Politwissenschaftler
„Absolut einzigartig, dass ein Kanzler im ersten Wahlgang durchfällt“

Lesezeit 3 Minuten
Kein einfacher Tag für den neu gewählten Bundeskanzler Friedrich Merz

Kein einfacher Tag für den neu gewählten Bundeskanzler Friedrich Merz

Der Politologe Thomas Poguntke bewertet den verpatzten Wahlgang und was Friedrich Merz jetzt tun muss.

Für Friedrich Merz gab es am Dienstagmorgen eine böse Überraschung. Wie beschädigt ist der neue Bundeskanzler durch den missglückten Wahlgang?

Er ist auf jeden Fall kurz- und mittelfristig beschädigt, wobei das nicht nur für ihn gilt, sondern auch für Vizekanzler Lars Klingbeil. Im Ausland wird man Merz zunächst mit einer gewissen Zurückhaltung begegnen, weil man nicht so richtig einschätzen kann, wie stabil diese Regierung sein wird.

Hat es Vergleichbares in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben?

Es ist absolut einzigartig, dass ein Kanzler im ersten Wahlgang durchfällt – auch wenn es durchaus üblich ist, dass Kanzlerkandidaten nicht alle Stimmen ihres Lagers auf sich vereinen. Es gibt häufig Politiker, die in solchen Wahlen ihr Mütchen kühlen wollen, weil sie mit dem Ergebnis der Koalitionsverhandlungen nicht einverstanden sind. Auch Angela Merkel hat bei ihrer ersten Wahl erheblich weniger Stimmen bekommen als sie hätte bekommen müssen.

Merz hat ein Popularitätsproblem. Liegt der vermasselte erste Wahlgang nun an ihm oder am Koalitionsvertrag?

Beides. Definitiv auch an ihm. Wir haben einen sehr polarisierten Wahlkampf gesehen, da wird es sicher einige geben in der SPD, die sich mit ihm schwertun. Dann seine Kehrtwende direkt nach den Bundestagswahlen, Stichwort Schuldenbremse. Es ist aber auch plausibel anzunehmen, dass sowohl Merz als auch Klingbeil einen gewissen Preis dafür bezahlen, dass sie bei der Auswahl der Ministerriege von den üblichen Proporzregeln ganz erheblich abgewichen sind.

Abstimmende, die sich mit der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken solidarisieren etwa?

Die Namen Esken und Heil drängen sich auf. Die Jusos haben sich sehr skeptisch geäußert, aber auch in der CDU die Sozialausschüsse oder auch der Landeshauptverband Niedersachsen. Da gibt es also viele Verdächtige auf allen Seiten.

Ein Denkzettel also?

Definitiv wollten da einige ein Signal setzen.

Friedrich Merz fordert gerne Geschlossenheit. Ist er damit jetzt dramatisch gescheitert?

Ja, das ist ein wirklicher Fehlstart für die Regierung, die jetzt geschwächt an den Start geht. Aber es ist jetzt auch keine grandiose Staatskrise, man sollte das nicht überbewerten. Es hängt jetzt sehr viel daran, dass die Regierung schlagkräftig und effizient das umsetzt, was sie versprochen hat und einigermaßen geräuschlos regiert. Es sind aber viele Bruchlinien im Koalitionsvertrag, viele Dinge noch ungeklärt.

Man sah die feixenden AfD-Abgeordneten im Bundestag. Gibt diese Schlappe den Populisten Aufwind?

Wenn die Regierungsbildung am Ende wirklich gescheitert wäre, eindeutig Ja. Aber auch so war es ein schlechtes Bild, das abgegeben wurde. Jeder, der mit Nein gestimmt hat, sollte sich selbst nochmal überprüfen, ob das im Hinblick auf die mittel- und langfristige Position seiner Partei schlau und verantwortungsvoll war.

Nochmal zur Kabinettliste: Wie bewerten Sie die?

Die neue Liste weicht zum Teil erheblich von dem ab, was man so in der deutschen Parteiendemokratie gewohnt ist, nämlich dass die entsprechenden wichtigen Personen und Verbände  bedacht werden. Man hat etliche Quereinsteiger mit reingenommen und auch jüngere Leute, die noch nicht über große Netzwerke in der Partei verfügen. Manch langgedienter Politiker wird sich gedacht haben: Eigentlich wäre ich jetzt an der Reihe gewesen.

Können diese Entscheidungen über Parteienproporz hinweg nicht das positive Signal senden, es mal anders machen zu wollen?

Er muss in seine Fraktion reinhorchen und schauen, ob er alle wirklich ausreichend mitgenommen hat. Das gilt aber auch für Lars Klingbeil. Ich bleibe dabei: Die Wahrscheinlichkeiten, was die Neinsager angeht, sind da ziemlich gleich verteilt.

Angela Merkel und andere Prominenten saßen im Bundestag, die CDU hatte ihre Wahlparty schon geplant. Wird es am Ende nun doch noch eine dicke Party geben?

Es wird definitiv nicht dieselbe Party werden.

Thomas Poguntke

Thomas Poguntke


Zur Person

Thomas Poguntke, geb. 1959, ist Politikwissenschaftler und seit 2011 Co-Direktor des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung an der Uni Düsseldorf. (sbs)