Mit der Eskalation im Nahen Osten steht beim G7-Gipfel ein weiteres unlösbares Thema auf der Agenda. Es könnte noch mehr Überraschungen geben.
Treffen der IndustrienationenWie Trump bereits vor Beginn des G7-Gipfels für Konfliktpotenzial sorgt

US-Präsident Donald Trump trifft am Sonntag (15. Juni) beim G7-Gipfel in Kananaskis ein.
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Wenn ein Statement des Kanzlers für 14.30 Uhr angekündigt ist, muss man damit rechnen, dass Friedrich Merz um halb drei schon alles gesagt hat. Überpünktlich ist der 69-Jährige begleitet von seiner Frau Charlotte zum G7-Gipfel nach Kanada aufgebrochen. Auf dem Flug: Turbulenzen. Die Weltlage ebenso zu beschreiben, wäre fahrlässig untertrieben.
Als wäre dieser Gipfel nicht schon kompliziert genug mit diesem amerikanischen Präsidenten, seinen Zollstreitigkeiten, seiner Abneigung gegen Klimaschutz, seiner wankelmütigen Haltung gegenüber der Ukraine und seiner Demontage der amerikanischen Demokratie, greift drei Tage vorher Israel die iranischen Atomanlagen an. Dies stellt die sieben großen Industrienationen vor eine weitere Herausforderung: Anders als bei den Amerikanern und den Deutschen gab es schon vor dem Angriff in der EU das Bestreben nach mehr Sanktionen gegen Israel wegen des inhumanen Vorgehens des israelischen Militärs in Gaza.
G7 ist der erste internationale Gipfel für Merz
Die beiden Kriegsthemen, Ukraine und Israel sollten am späten Montagabend auf den Tisch kommen – zu mitteleuropäischer Zeit sind das die frühen Morgenstunden des Dienstags. Der Zeitunterschied beträgt acht Stunden.
Für Merz ist es der erste internationale Gipfel als Bundeskanzler. Eine gute Gelegenheit, seine weltweite Vernetzung zu erweitern: Geplant hat er bilaterale Treffen mit allen Gipfelteilnehmern. Zur G7 gehören die USA, Kanada, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Japan. Eingeladen sind zudem Staats- und Regierungschefs unter anderem aus Brasilien, Mexiko, Australien und Vertreter der EU.
Wie reagiert Trump auf Macrons Grönland-Stopp?
Trotz eines klaren Zeitplans der kanadischen Gastgeber war aber unklar, ob sich durch die Eskalation im Nahen Osten und auch durch die Unberechenbarkeit des amerikanischen Präsidenten nicht doch eine andere Dynamik während des G7–Treffens ergeben wird.
Wie wird Trump darauf reagieren, dass der französische Präsident demonstrativ in Grönland einen Stopp eingelegt hat, um seine Solidarität mit einem unabhängigen Grönland zum Ausdruck zu bringen – das Trump doch so sehr begehrt? Und wie würden die Kanadier mit einem US-Präsidenten umgehen, der sich ihr unabhängiges Land einverleiben möchte? Also, reichlich Konfliktstoffe neben der ohnehin international so angespannten Lage.
Die Kulisse für das Treffen der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrienationen ist eigentlich dafür gemacht, Dinge neu zu denken und Lösungen für Konflikte zu finden. Das Konferenzhotel Pomeroy Kananaskis Mountain Lodge liegt malerisch in den Ausläufern der Rocky Mountains. Die nächstgrößere Stadt Calgary ist eine Autostunde entfernt und dient Touristen aus aller Welt als Startpunkt für Reisen in die großen Naturschutzgebiete und Wildparks der Provinz Alberta.
Am Dienstag wird der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu dem Treffen erwartet. Ziel der sechs anderen ist es, Trump im Spiel zu halten, wenn es um die militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine geht. Er soll auch dafür gewonnen werden, durch Sanktionen mehr Druck auf Russlands Machthaber Wladimir Putin auszuüben. Die EU-Kommission bereitet derzeit ein 18. Sanktionspaket vor. Wirklich Schlagkraft kann es aber nur entfalten, wenn auch der US-Senat seine Initiative für weitere Sanktionen umsetzt. Dafür wiederum wäre ein Signal von Trump notwendig.
G7: Niemand rechnet mit einer gemeinsamen Erklärung
Ein Zeichen der „Stärke und Geschlossenheit“ gegenüber Russland durch die G7 ist aus Sicht von Bundeskanzler Merz auch als Grundlage für den Nato-Gipfel Ende Juni wichtig. Offen ist, ob das, was mit Trump besprochen werden kann, auch Gültigkeit behält. Mit Sorge erinnert man sich an 2018, als Trump in seiner ersten Amtszeit sich nach früher Abreise vom Gipfel via sozialem Nachrichtendienst Twitter (heute X) von den gefassten Beschlüssen distanzierte.
Wegen dieser Erfahrungen rechnet niemand mit gemeinsamen Erklärungen zur Ukraine und zu Nahost.
Statt eines umfassenden gemeinsamen Abschlusspapiers, wie dies bei früheren G7-Treffen üblich war, hat die kanadische Präsidentschaft sieben Themen vorbereitet, zu denen es Kommuniqués geben soll - unter anderem zu seltenen Rohstoffen, Künstlicher Intelligenz und Waldbränden (Klimaschutz). Ob sie zustande kommen, galt am ersten Gipfeltag noch als offen.
Die Europäer möchten mit Trump auch in eigener Sache sprechen: Bis zum 9. Juli läuft die Frist für die von Trump angedrohten Strafzölle gegen die EU. Kananaskis gilt als gute Gelegenheit, einen Schritt für eine gemeinsame Lösung voranzukommen. Die Europäer werden argumentieren, dass es angesichts der dramatischen Weltlage nicht hilfreich ist, wenn sich die G7 auch noch wirtschaftlich gegenseitig das Leben schwer machen.
Bei diesem Thema hat die Chefin der EU-Kommission Ursula von Leyen den Hut auf, die auch am Gipfel teilnimmt. Ob es eine Verständigung zu den europäischen Exportüberschüssen und einem angemessenen Zoll geben wird, auch das gehört zu den spannenden Fragen bis Dienstagabend.