GdP-Chef Jochen Kopelke fordert im RND-Interview mehr finanzielle Mittel, politische Unterstützung und effektive Präventionsmaßnahmen für die Polizei.
GdP-Chef Kopelke„Für Populismus wird man gewählt, mit Prävention erzielt man Veränderungen”

Der GdP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke.
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Die Gewerkschaft der Polizei organisiert über 200.000 Mitglieder. Im RND-Interview spricht GdP-Chef Jochen Kopelke über Lichtblicke im Koalitionsvertrag, den Widerspruch zwischen Prävention und Populismus und die Vorbereitung der Polizei auf mögliche Kriegsgefahren.
Herr Kopelke, wie zuversichtlich stimmt Sie der Koalitionsvertrag von Union und SPD für die nächsten vier Jahre?
Die große Einigkeit bei den Themen der Polizei und der inneren Sicherheit stimmt mich sehr positiv. Das macht Mut und Hoffnung auf das, was die neue Bundesregierung für die innere Sicherheit tun kann. Wir finden auch viele GdP-Positionen im Koalitionsvertrag wieder. Das sind allerdings alles keine neuen Themen. Wir warten schon seit Jahren auf ein neues Bundespolizeigesetz, auf ein neues BKA-Gesetz. Trotzdem ist es gut, zu lesen, dass das endlich umgesetzt werden soll.
Was vermissen Sie im Koalitionsvertrag zur inneren Sicherheit?
Mich irritiert, dass sich die lobenswerte Einigkeit nicht in Personalzahlen und Finanzierungszusagen niederschlägt. Von den 10.000 mehr Bundespolizisten, die die CSU im Wahlkampf angekündigt hat, ist nichts mehr zu hören. Es gibt auch keine konkreten Aussagen dazu, wie man die Stärkung der inneren Sicherheit finanziert. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass eine neue Bundesregierung hinter die „Sicherheitsmilliarde“ der Ampel zurückfallen möchte. Deshalb habe ich hier Hoffnung. Die Erfahrungen mit der Ampelkoalition haben uns jedoch das Vertrauen genommen, dass wichtige Vorhaben nicht doch wieder an Finanzierung und fehlender Priorisierung scheitern.
Lassen sich die bekannten Probleme einfach mit mehr Geld lösen? 10.000 zusätzliche Bundespolizisten wachsen nicht auf Bäumen – auch wenn die nötigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden.
Es braucht mehrere Schritte. Es wäre schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit wichtig gewesen, die von der CSU im Wahlkampf geforderten 10.000 neuen Bundespolizisten auch im Koalitionsvertrag festzuhalten. Wichtig ist außerdem, dass versprochenes Geld wirklich bereitgestellt wird, damit mehr Polizisten eingestellt und bezahlt werden können. Aber damit ist es nicht getan. Es geht auch darum, wie man mehr Menschen für die Polizei begeistern kann. Das Bundesverfassungsgericht hat schon vor mehreren Jahren festgestellt, dass bestimmte Besoldungen, unter anderem von Polizisten, rechtswidrig sind. Sie müssten also angehoben werden. Bislang hat sich da aber noch keine Regierung an Recht und Gesetz gehalten. Ein Bekenntnis dazu vermisse ich im Koalitionsvertrag ebenfalls.
Nicht alles, was in Koalitionsverträgen steht, wird auch zeitnah umgesetzt. Was sollte die neue Bundesregierung aus Sicht der Polizei als allererstes ändern?
Als allererstes brauchen wir die angekündigte Speicherung von IP-Adressen und neue Befugnisse, die uns in die Lage versetzen, Straftaten besser und schneller zu verhindern, Straftäter zu ermitteln und vor Gericht zu bringen. Die Entwürfe für entsprechende Gesetze liegen sicherlich schon fertig in den Schubladen und könnten deshalb schnell eingebracht werden. Wichtig ist außerdem die Verbesserung der Ausrüstung der Polizei – damit wir zum Beispiel an den Grenzen nicht mehr mit Stift und Papier arbeiten, sondern Probleme effektiver mit hochmoderner Technik lösen.
Neben der IP-Adressenspeicherung geht es auch um Befugnisse zur Überwachung und zur Auswertung sensibler Daten durch KI. Sollten Datenschutz und Bürgerrechte angesichts der aktuellen Sicherheitslage ein Stück in den Hintergrund treten?
Wir brauchen Datenschutz und die Menschen müssen auch ein Gefühl der Sicherheit vor dem Staat haben. Was uns in den Polizeibehörden aber irritiert, ist dass wir beim Datenschutz immer noch eine Schippe drauflegen. Wir sind mit den Daten in der Polizei strenger als wir es müssten. Gerade was die Terrorabwehr angeht, ist es an der Zeit, die Debatte realistisch, nicht ideologisch zu führen. Nach einem Anschlag kann man heute niemandem mehr erklären, dass eine Behörde Informationen hatte, sie aber aus Datenschutzgründen nicht mit einer benachbarten Behörde teilen durfte. Wir haben eine Polizei, der die Menschen vertrauen und außerdem eine gut funktionierende Gewaltenteilung. Ich bin deshalb völlig unbesorgt und verstehe diese ideologische Abwehrhaltung nicht. Es ist gut zu lesen, dass die neue Koalition den Datenschutz anpassen und endlich Opferschutz über Täterschutz stellen will.
Die Gewaltkriminalität in Deutschland hat zuletzt zugenommen. Wie kann die Polizei das in den Griff bekommen?
Wir sind alle in einer gewalttätigeren Realität angekommen. Die Sicherheitsbehörden müssen dem entgegentreten. Man muss der Gesellschaft aber auch wieder beibringen, dass Gewalt kein Mittel ist, das zum Ziel führt. Dafür braucht es eine Bildungsoffensive, eine Sozialisierungsoffensive und einen Fokus auf die Jugend. Bei der Polizei müssen wir auf das setzen, was wir schon einmal hatten: Jugendeinsatzdienste und spezielle Jugendkommissariate. Die ganzen Präventionsansätze zur Verbesserung im Bereich der Jugendkriminalität sind bekannt und erforscht. Es ist belegt, dass sie wirken. Trotzdem wurden sie wegen Personalmangels, und weil sich Prioritäten verschoben haben, wieder abgebaut. Wenn man solche Konzepte wieder auf den Weg bringt und ausfinanziert, werden wir relativ rasch eine Veränderung der Jugendkriminalität und dadurch auch der Gesamtkriminalität sehen.
Wenn es so einfach ist, warum wird es nicht längst getan?
Bei den Akteuren in der Exekutive, die das umsetzen würden, ist die Bereitschaft da. Aber es braucht den politischen Willen. Und dieser politische Wille darf dann auch nicht wegen zu viel Verwaltung und Bürokratie, oder wegen zu wenig Geld und unbesetzten Stellen verpuffen.
Gehört zu der Erklärung nicht auch, dass sich Präventionskonzepte in der Öffentlichkeit gerade schlechter verkaufen lassen als eine harte Linie in Migrationsfragen?
Absolut. Es ist weder „en vogue“, noch politisch erfolgreich, mit Prävention hausieren zu gehen. Aber im Gegensatz zu Populismus sind Präventionsmaßnahmen effektiv und wirksam. Für das eine wird man gewählt, mit dem anderen erzielt man eine echte Veränderung in der Gesellschaft.
Auch die Bedrohungen für die äußere Sicherheit steigen. Militärs und Nachrichtendienstler warnen, Russland könnte spätestens bis 2029 in der Lage sein, ein europäisches Nato-Land anzugreifen. Was bedeuten solche Szenarien für die Polizei?
Wir stellen auch bei den Sicherheitsbehörden fest, dass der hybride Krieg längst angekommen ist. Wir sehen Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur. Wir sehen die Entwicklung auf der Ostsee, die auch die Bundespolizei See betrifft. Und wir sehen, wie erste Polizeien in Europa Schiffe der russischen Schattenflotte lahmlegen und konfiszieren. Worin wir bislang nicht gut sind, ist das Sanktionieren. Bis heute ist nicht geklärt, wer dafür zuständig ist, russische Oligarchen-Jachten in deutschen Häfen stillzulegen. Die Polizei muss sich jetzt damit auseinandersetzen, welche Aufgabe und Rolle sie im Verteidigungsfall hat. Denn wenn dieser Fall eintritt, ist es für solche Gedanken zu spät. Viele verschiedene Akteure wirken an der Zeitenwende und am Schutz der Bevölkerung mit. Deshalb muss klar sein, wer wofür zuständig ist und wer welchen Auftrag erhält. Im Moment ist das nicht ordentlich geregelt. Es muss zügig geordnet und strukturiert werden, wer in welchem Krisen- und Spannungsfall was zu tun hat. Im Moment haben wir eine Situation, in der niemand wirklich zuständig ist und Drohnen ungehindert über Bundeswehrstandorte und Umspannwerke fliegen können.
Was käme im Spannungs- oder Verteidigungsfall auf die Polizei zu?
Unser gesetzlicher Auftrag ist die Gefahrenabwehr und die Kriminalitätsbekämpfung. Das gilt auch im Spannungs- oder Verteidigungsfall. Es wäre weiterhin unser Auftrag, Menschen zu beschützen und nicht, selbst Kriegsakteur zu sein. Es muss jedoch geklärt werden, wer für den Schutz der kritischen Infrastruktur zuständig ist, ob die Bundeswehr sich selbst schützt, oder ob die Polizei dabei eine Aufgabe übernimmt und für die Absicherung von Truppenverlegungen zuständig ist. Außerdem stellt sich im Zweifelsfall die Frage, wie es mit Flüchtlingen weitergeht, die aus dem Osten Europas nach Westen wollen.
Wie bereitet sich die Polizei auf so einen Fall vor?
Es wurden innerhalb der Polizei Rollen definiert und festgelegt, wer im direkten Austausch mit dem Territorialen Führungskommando und den Landeskommandos der Bundeswehr steht. Es gibt auch entsprechende Fortbildungen für Entscheidungsträger und Spezialeinheiten und Vernetzungstreffen an der Hochschule der Polizei. Was wir aber noch nicht haben, ist eine breite Diskussion um ein verändertes Mindset und eine veränderte Ausrichtung der Aus- und Fortbildung. So wie die Bundeswehr vor zwei Jahren eine Führungs- und Mindset-Strategie auf den Weg gebracht hat, muss sich auch die deutsche Polizei in der Ausbildung auf dieses Szenario vorbereiten. Das bedeutet auch, dass wir einen enormen Bedarf an zusätzlichem Geld und Ausbildern haben. Wir brauchen außerdem Großübungen mit der Bundeswehr und einen Ausbau der Hochschule der Polizei als wertvollste Ausbildungsstätte für Führungskräfte aller Polizeibehörden in Deutschland.