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Gefährliches „Gutachten“ im Auftrag der AfDIst die CDU/CSU verfassungsfeindlich?

Lesezeit 4 Minuten
Friedrich Merz (CDU) legt am 6. Mai 2025 im Bundestag seinen Amtseid als Bundeskanzler ab.

Friedrich Merz (CDU) legt am 6. Mai 2025 im Bundestag seinen Amtseid als Bundeskanzler ab. 

Die AfD hat von einer bekannten Kölner Kanzlei ein Gutachten zur Verfassungstreue von CDU und CSU erstellen lassen. Unser Kolumnist Markus Ogorek, Professor für Öffentliches Recht an der Universität zu Köln, bewertet das Papier.

Ein sogenanntes Gutachten aus der Feder einer bekannten Kölner Anwaltskanzlei lässt aufmerken. In Auftrag gegeben hat es die AfD-Führung mit dem erklärten Ziel, anhand der für vom Bundesamt für Verfassungsschutz angelegten Maßstäbe zu prüfen, ob die Unionsparteien CDU und CSU als „gesichert extremistisch“ einzustufen sind.

Das rund 50-seitige Papier ist in Aussehen und Tonfall auffällig stark dem echten Gutachten des Inlandsnachrichtendienstes zur Hochstufung der AfD mit seinen mehr als 1100 Seiten nachempfunden. Die Kanzlei, die die AfD seit Jahren vertritt, erweckt mit dem vorgelegten Dokument den Eindruck, es gehe um eine neutrale und rechtlich fundierte Analyse. Dem ist jedoch nicht so.

Die Maßstäbe des Verfassungsschutzes werden als „willkürlich“ diskreditiert.
Professor Markus Ogorek

Bereits im Vorwort lassen die Verfasser erkennen, was von der wissenschaftlichen Seriosität des Papiers zu halten ist. Die Maßstäbe des Verfassungsschutzes werden nicht nur hinterfragt, sondern als „willkürlich“ diskreditiert. Alle juristisch Versierten wissen, wie schwer ein solcher Vorwurf gegenüber staatlichen Stellen wiegt. Dies gilt umso mehr, als mit Blick auf die AfD wenig für eine eklatant rechtswidrige Behandlung spricht. Schließlich hatten die obersten Verwaltungsrichter des Landes NRW vor einem Jahr die „Verdachtsfall“-Einstufung der neurechten Partei durch den Verfassungsschutz bestätigt, die sich an ganz ähnlichen Maßstäben orientiert wie die Kennzeichnung als „gesichert extremistisch“.

Da überrascht es kaum, dass die besagte Kanzlei die Verwaltungsgerichtsbarkeit gleich noch mit ins Visier nimmt und ihr eine „merkwürdige“ Spruchpraxis unter „nahezu vollständiger Ausblendung der Meinungsäußerungsfreiheit“ vorhält. In der Sache kommt das „Gutachten“ zu dem erwartbaren Schluss, dass die Unionsparteien – wie die AfD – eigentlich ebenfalls als Verfassungsfeinde gelten müssten. Dieses Ergebnis sei freilich nur deshalb „folgerichtig“, weil die Logik des Inlandsnachrichtendienstes allgemein „abwegig“ sei. In der Realität, betonen die Anwälte, gehörten dagegen weder CDU/CSU noch ihre eigene Stamm-Mandantin unter Beobachtung gestellt. Konstruierte Gleichsetzung

Konstruierte Gleichsetzung mit der AfD
Professor Markus Ogorek

Dass CDU und CSU sich der Beseitigung zentraler Verfassungsprinzipien wie Menschenwürde, Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit verschrieben haben sollten, ist indessen nicht nur lebensfremd, sondern wird in dem Elaborat auch keineswegs nachvollziehbar dargelegt. Die konstruierte Gleichsetzung mit der AfD beruht nicht auf absurden Maßstäben des Verfassungsschutzes, sondern auf den Schwächen des „Gutachtens“. So bemüht es als Beleg für die vorgebliche Verfassungsfeindlichkeit der Union das CDU-Grundsatzprogramm mit seiner Forderung nach einer „Leitkultur“, weil der Inlandsnachrichtendienst diese Position bei der AfD beanstandet hatte.

Wer genauer hinschaut, dem wird jedoch unschwer bewusst: Hier verwenden zwei Parteien denselben Begriff gerade nicht gleich. Die Unionsforderung, Zuwanderer sollten Sprache und Geschichte Deutschlands kennen und sich möglichst umfassend an die gesellschaftlichen Werte anpassen, mag integrationspolitisch streitbar sein; verfassungsfeindlich ist sie nicht. Anders bei der AfD: Ihr wirft der Verfassungsschutz vor, unter dem Deckmantel der „Leitkultur“ zwischen „Passdeutschen“ und „echten Deutschen“ zu unterscheiden und damit die Menschenwürde anzugreifen. Im AfD-Sound geht es von der „Leitkultur“ tatsächlich schnell zur „soziokulturellen Kernschmelze“.

Das „Gutachten“ sät Zweifel an der Rechtstreue unserer Behörden und an der Integrität der Justiz.
Professor Markus Ogorek

Der eigentliche Zweck des Elaborats liegt auf der Hand: die Fundierung und Fortsetzung einer seitens der AfD seit langem verfolgten Verharmlosungsstrategie. Müsste der Verfassungsschutz „eigentlich“ überall Alarm schlagen, würden seine Warnungen wertlos. Und wenn selbst die Kanzlerpartei ein Fall für den Verfassungsschutz wäre, erschiene ein selektives Vorgehen gegen die AfD unzweifelhaft politisch motiviert. Genau das ist der gefährlichste Aspekt. Das „Gutachten“ sät Zweifel an der Rechtstreue unserer Behörden und mittelbar sogar an der Integrität der Justiz. Dass die beabsichtigte Strategie allerdings nicht aufzugehen scheint, legt ein Beitrag im Magazin „Cicero“ nahe, dessen Autor mit dem Verfassungsschutz selbst auf Kriegsfuß steht.

Anders als üblich versuchte der Verfasser sich nicht im argumentativen Befürworten von AfD-Positionen. Stattdessen tat er das „Gutachten“ der Kölner Anwälte als offenkundige „Satire“ ab. Wer weiß, wie teuer solche Ausarbeitungen üblicherweise sind, wird kaum davon ausgehen, dass die AfD trotz mittlerweile üppiger Finanzreserven viele Tausend Euro für ein als Scherz gemeintes Papier zahlen sollte.

Am Ende könnte sich die vermeintlich wissenschaftliche Untersuchung weniger politisch für die AfD gelohnt haben als vielmehr finanziell für die auf mediale Inszenierung spezialisierte Kölner Kanzlei.