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Auktion von Holocaust-Dokumenten„Im schlimmsten Fall gelangen sie in die Hände von Neonazis“

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Ehemaliges Konzentrationslager Auschwitz. foto.imago/newspix

Ehemaliges Konzentrationslager Auschwitz

Eine geplante Auktion von Holocaust-Dokumenten in Neuss sorgte für einen Eklat. Für Henning Borggräfe vom Kölner NS-Dok ist klar: „Solche Dokumente gehören nicht in Auktionshäuser, sondern in Gedenkstätten und Archive.“

Nach der abgesagten Auktion von Holocaust-Dokumenten in Neuss bleiben einige Fragen weiterhin offen. Ein Auktionshaus wollte am vergangenen Montag Briefe von Holocaust-Opfern, Täterdokumente, Judensterne und antisemitische Propagandaplakate versteigern. Nach einer Welle an Kritik wurde die Auktion abgesagt. Was nun mit den Dokumenten geschieht, ist unklar. 

Henning Borggräfe, Leiter des NS-Dokumentationszentrums in Köln, schließt sich der Kritik einiger Gedenkstätten an der ursprünglich geplanten Versteigerung an. „Solche Dokumente gehören nicht in Auktionshäuser, sondern in Gedenkstätten und Archive“, sagt Borggräfe. Dort melden sich auch Familienangehörige von Verfolgten bei ihrer Recherche. Durch den Verkauf an private Sammler würden die Dokumente für die Öffentlichkeit und Familien unzugänglich gemacht. „Bei einer Auktion kann man zudem nicht steuern, wer ein Dokument kauft“, mahnt er. „Im schlimmsten Fall gelangt es in die Hände von Neonazis, die sich einen originalen Judenstern in die Wohnung hängen wollen.“

Judenstern „mit Gebrauchsspuren“, Startpreis 350 Euro

Das Neusser Auktionshaus hatte die Versteigerung unter dem Titel „Das System des Terrors Volume II 1933-1945“ angekündigt. Sie löste international Empörung aus. Das Auschwitz-Komitee forderte die Absage und sprach von einem „zynischen und schamlosen Unterfangen“, das Überlebende „empört und fassungslos“ zurücklasse. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski forderte die Rückgabe von Artefakten an die Gedenkstätte Auschwitz: Die Erinnerungen an die Opfer des Holocausts „dürfen nicht Gegenstand kommerziellen Handels sein“. Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) sagte gegenüber Journalisten, er sei sich mit seinem polnischen Amtskollegen „völlig einig, dass ein solcher Versuch, ein Geschäft mit dem Verbrechen der Schoah zu machen, abscheulich ist und unterbunden werden muss“.

Das Bild zeigt Häftlingsbaracken des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Foto: imago/Mario Kühn

Häftlingsbaracken des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau

Medienberichten zufolge sollten 632 Objekte unter den Hammer. Darunter: Der Brief eines polnischen Auschwitz-Häftlings (Startpreis 180 Euro), Dokumente über Zwangssterilisationen, eine Gestapokarteikarte mit Informationen zur Hinrichtung eines jüdischen Ghetto-Bewohners und ein Judenstern aus dem KZ Buchenwald mit „Gebrauchsspuren“ (Startpreis 350 Euro). Mittlerweile sind die Dokumente von der Webseite verschwunden. 

Das Auktionshaus räumt in einer Pressemitteilung eine „falsche Entscheidung“ bei der Einlieferungsanfrage ein. Sollten Gefühle von Hinterbliebenen und Betroffenen des NS-Terrors verletzt worden sein, bedauere man das sehr. Ein Teil der Dokumente stamme aus einer privaten Forschungssammlung, ein weiterer Teil von Nachkommen der Opfer. Trotz der Absage halte man den Verkauf solcher Artikel „nicht für unlauter“. Eine Nachfrage, ob es bereits eine Versteigerung „Volume I“ von Holocaust-Dokumenten gab, ließ das Auktionshaus unbeantwortet. Auch zum Verbleib der Dokumente aus der abgesagten Auktion äußerte es sich nicht.

NS-Dokumentationszentrum sichtet Material aus Privatbesitz

Henning Borggräfe empfiehlt, die Stücke nun von einer Expertin oder einem Experten sichten zu lassen. In Archiven und Gedenkstätten gilt das Provenienzprinzip: Dokumente werden meist dort aufbewahrt, wo sie entstanden sind, um Nachforschungen zu erleichtern. Das würde bedeuten: Briefe aus Auschwitz gehen zurück nach Polen, der Stern aus Buchenwald nach Thüringen. Sollten bereits in einer „Volume I“-Auktion Holocaust-Dokumente versteigert worden sein, so Borggräfe, wäre es „im Sinne der Redlichkeit“, den Gedenkstätten zumindest die digitalen Kopien zur Verfügung zu stellen. „Solche Dokumente haben für Angehörige einen hoch emotionalen Wert“, sagt er. „Manche finden auf Häftlingsdokumenten die letzte Unterschrift eines Familienmitglieds.“

Die Menge an Holocaust-Dokumenten, die in Neuss versteigert werden sollten, sei außergewöhnlich groß, so Borggräfe. An sich seien Versteigerung jedoch keine Seltenheit. „Es gehört fast zum Tagesgeschäft von Museen und Gedenkstätten, gängige Auktionsplattformen im Blick zu behalten, um im Zweifel schneller zu sein als ein privater Käufer.“ So habe das NS-Dok im letzten Jahr für einen kleinen Betrag Fotos aus Belgien gekauft, die ein Kriegsgefangenen-Lager in Deutz zeigten. 

Wie viel historisches Material noch in privaten Kellern liegt, ist schwer zu sagen. Ein Großteil der Akten in Konzentrationslagern wurden von den Deutschen 1945 zerstört, von dem erhaltenen Material lagert die „überwiegende Mehrheit“ in Gedenkstätten und Archiven, so Borggräfe.

Private Briefe aus Konzentrationslagern an Angehörige und Mitteilungen über Todesfälle seine dagegen „zum allergrößten Teil“ im Privatbesitz. Wer sich unsicher ist, ob die Dokumente und Fotos im eigenen Keller für die Forschung relevant sind, könne sich an das NS-Dokumentationszentrum wenden. „Wir freuen uns, wenn man Kontakt mit uns aufnimmt und ein Archivar das Material sichten kann, bevor es weggeworfen wird oder in falsche Hände gerät“, sagt Borggräfe.