Nach dem Flugzeugabsturz wurde Haltern am See überflutet von Anfragen und Beileidsbekundungen aus allen Kontinenten. Wie sich der frühere Bürgermeister Bodo Klimpel an die Zeit nach dem Absturz erinnert: Ein Protokoll.
Germanwings-AbsturzFrüherer Bürgermeister:„Ich habe Haltern am See damals nicht wiedererkannt“

Der Bürgermeister der Stadt, Bodo Klimpel steht am ersten Jahrestag in Haltern am See bei einer Gedenkminute auf dem Platz vor der St. Sixtus Kirche.
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„Ich war mit unserem Büchereileiter in der Mittagspause, als mein Büro mehrfach anrief. Die ersten Anrufe drückte ich weg. Meine Güte, dachte ich, die wissen doch, wo ich bin. Als sie es aber immer wieder versuchten, ging ich doch ran. Es ist etwas Schreckliches passiert, sagten meine Kolleginnen. Das Flugzeug, das gesucht wird – es kann sein, dass unsere Schülerinnen und Schüler darin saßen.
Gewissheit bekamen wir erst, als die Ministerpräsidentin anrief. Ich stand gerade mit dem Schulleiter im Gymnasium und gab das Handy an ihn weiter, nachdem sie mich informiert hatte. Es war ein surrealer Moment, in dem man sich nur erschrocken anguckt. Dann gingen wir hoch zum Lernzentrum, wo wir den Eltern sagen mussten, dass ihre Kinder tot sind. Eine Mutter fing direkt an zu weinen, als wir den Raum betraten. Sie muss an unseren Gesichtern gesehen haben, dass wir keine guten Neuigkeiten hatten.
Anfragen und Beileid von allen Kontinenten
Es gibt nichts Schlimmeres, als das eigene Kind zu überleben. Trost spenden kann man in so einer Situation nicht. Deshalb habe ich nur überlegt: Wie kriegen wir es hin, die Schule so gut wie möglich abzuschirmen? Das Rathaus ist nur 500 Meter von der Schule entfernt, also haben wir eine Anlaufstelle für die Presse im Ratssaal eingerichtet. Viele Reporter verhielten sich damals fair gegenüber den Einwohnern und Angehörigen, ein paar andere waren sehr übergriffig.
In den nächsten Tagen und Wochen wurden wir überflutet mit Presseanfragen und Beileidsbekundungen. Ich kann Ihnen keinen Kontinent nennen, von dem wir keine Nachricht bekommen haben. Auch die Hilfsbereitschaft aus den Nachbarstädten war sehr groß.
Haltern am See habe ich damals nicht wiedererkannt. Die Straßen waren wie leergefegt. Man traf sich erst abends um sieben Uhr für die Andacht in der Sixtuskirche, anschließend ging ein Tross zum Gymnasium, um Kerzen anzuzünden. Es gab niemanden, der nicht erschrocken war, niemanden, der nicht mittrauerte. Als ich dann hörte, dass es kein Unfall war, sondern Mord, stand ich kurz vor dem Verzweifeln. Mein Gott, dachte ich, wenn er sich das Leben nehmen will, muss er doch nicht all die anderen Menschen mit in den Tod ziehen. Es hat mich unfassbar wütend gemacht.

Bodo Klimpel war zur Zeit des Absturzes Bürgermeister der Stadt Haltern am See. Heute ist er Landrat des Kreises Recklinghausen.
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Der Tag, an dem die Eltern die Särge ihrer Kinder am Düsseldorfer Flughafen abholten, blieb mir besonders in Erinnerung. Als wir über die abgesperrte Autobahn nach Haltern fuhren, waren die Brücken voller Menschen. Der Konvoi fuhr auch durch Haltern und an einer Straßenecke stand eine Frau, die ihre beiden Töchter im Arm hielt. Alle drei weinten bitterlich. Es ist ein Bild, das ich nicht mehr aus dem Kopf kriege.
Es dauerte lange, bis in Haltern wieder Normalität einkehrte. Viele Einwohner aus den umliegenden Ortschaften schienen Haltern zu meiden. Anscheinend dachten sie: Die armen Haltener trauern doch – da kannst du nicht hinfahren und einkaufen gehen. Deshalb ging ich pressewirksam mit dem damaligen Landrat in einem Restaurant essen, das den Eltern eines der Opfer gehörte. Ich wollte zeigen: Ihr könnt nach Haltern kommen, ihr könnt in diesem Restaurant essen gehen – gerade jetzt.
Heute erinnern zwei Gedenkstätten an die 18 Toten, eine am Gymnasium und eine auf dem Kommunalfriedhof. Der Absturz ist Teil der jüngeren Geschichte von Haltern am See, dazu bekennen wir uns, damit leben wir. Und das ist auch richtig so.“
Zur Person:
Bodo Klimpel (62) wuchs in Kaarst auf und wurde 2004 zum Bürgermeister von Haltern am See gewählt. Dieses Amt hatte er 16 Jahre inne. Seit 2020 ist er Landrat des Kreises Recklinghausen.