Der Frisörsalon von Claudia Müller wurde bei der Flut 2021 verwüstet. NRW-Umweltminister Oliver Krischer bezeichnet den Hochwasserschutz als „Generationenaufgabe“, die etwa 20 Milliarden Euro kosten wird.
Hochwasser in NRWEine Angst, die immer bleibt

In Erftstadt-Blessem verwüstete die Flut 2021 ganze Ortsteile.
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Woran denkt sie als erstes, wenn es um die Flut-Katastrophe im Sommer vor vier Jahren geht? „An die positiven Sachen“, sagt Claudia Müller spontan. Vor allem die Hilfsbereitschaft der Menschen, die habe sie zutiefst beeindruckt, ergänzt die Frisörmeisterin aus Leverkusen. „Freunde, die beim Wasserschippen geholfen haben. Kundinnen, die Kuchen für die Aufräumarbeiter gebacken haben. Fremde, die vorbeigekommen sind, um mit anzupacken. Oder eine andere Frisörin, in deren Salon ich bereits vereinbarte Termine abarbeiten durfte.“
All das rühre sie heute noch, sagt Müller und lacht befreit. Am 14. und 15. Juli fielen in Leverkusen in nur 24 Stunden 100 bis 150 Liter Regen pro Quadratmeter. Wie an der Ahr und andernorts in NRW war ein Jahrhunderthochwasser die Folge. In Leverkusen mutierten Wupper, Dhünn und sogar der kleine Wiembach zu reißenden Flüssen.
Nach der Flut konnte Claudia Müller ihren Frisörsalon wieder öffnen
Der Salon von Claudia Müller wurde geflutet. Durch die bis zur Decke vollgelaufene Tiefgarage sog sich der Estrich des Erdgeschosses mit Wasser voll, der Räume musste grundsaniert werden, Einrichtung, Heizung, Elektrik, alles neu. „Ich war damals 55, andere Kollegen in meinem Alter haben gesagt: Das tue ich mir nicht mehr an, den Wiederaufbau und das finanzielle Risiko“, erzählt sie. Aber sie beschäftigte 13 Mitarbeitende und zwei Auszubildende. „Für die hatte ich doch eine Verantwortung.“
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Also legte sie am nächsten Morgen los, bewaffnet mit Wischmopp und Putzeimer. Einmal feucht durchwischen reichte natürlich nicht. Etwa 124.000 Euro kostete die Sanierung. Knapp 70.000 davon kamen vom NRW-Wiederaufbaufonds, der mit Landes- und Bundesgeld finanziert wurde. Am 1. November 2021, keine vier Monate nach dem Hochwasser, konnte Claudia Müller ihren Salon wieder eröffnen.

Bereits im vergangenen Jahr bekam Frisörin Claudia Müller (l) Besuch von der Landesregierung: Heimatministerin Ina Scharrenbach (Mitte) machte ihre Aufwartung.
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Sie habe „großen Respekt vor dem Mut und der Entschlossenheit, mit denen sich so viele Menschen trotz allem nicht haben unterkriegen lassen“, sagte Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne), Stellvertretende Ministerpräsidentin, am Donnerstag bei einem Besuch in Leverkusen: „Es ist bewegend zu sehen, wie inmitten des Leids auch neue Stärke, Solidarität und Gemeinschaft entstanden sind.“
403 Millionen Euro für geschädigte NRW-Unternehmen
Um betroffene Unternehmen zu unterstützen, hat das Land wenige Wochen nach der Flutkatastrophe die Aufbauhilfe 2021 gestartet. Bislang wurden landesweit 1.544 Anträge mit einem Volumen von insgesamt rund 403 Millionen Euro bewilligt. Allein im Regierungsbezirk Köln wurden rund 250 Millionen Euro für von der Flut betroffene Firmen genehmigt.
Auch in den Hochwasserschutz wurden immense Summen investiert. Insgesamt seien es 390 Millionen Euro, sagte NRW-Umweltminister Oliver Krischer vor der Landespresskonferenz in Düsseldorf. Etwa 500 Einzelmaßnahmen seien damit finanziert worden. Ein Drittel davon sei für Bauarbeiten etwa für Deichsanierungen, Rückhaltebecken oder mobile Schutzwände ausgegeben worden. Ein weiteres Drittel für Starkregenrisiko- und Hochwasserschutzkonzepte der Kommunen und das letzte Drittel unter anderem für Planungsverfahren, in denen zukünftig mögliche Starkregen- und Hochwasserereignisse berücksichtigt worden seien.
Überflutungsbecken im Kölner Norden
Eines der laufenden Großprojekte betrifft das Naturschutz- und Naherholungsgebiet Worringer Bruch im Kölner Norden. Die knapp 700 Hektar umfassende Fläche, ein weiter Teil des gesamten Bruch-Gebiets, soll sich in ein riesiges Notbecken verwandeln, das bis zu 30 Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen kann. „Mit dem künstlichen Überflutungsraum auf einer Fläche von fast 1000 Fußballfeldern kann der Rheinpegel im Notfall um bis zu 17 Zentimeter gesenkt werden“, so Krischer.
Das klingt erstmal wenig. „Im Ernstfalls aber kann dies der Unterschied zwischen Leben und Tod sein“, betonte der Minister. Hochwasser mache nicht an kommunalen Grenzen halt, deshalb brauche es „Konzepte, die aus einem Guss für ganze Regionen“ gelten. An der Lippe bei Haltern und Marl beispielsweise würden derzeit bestehende Deiche auf einer Länge von 5,6 Kilometern durch neue, zurückverlegte Schutzwälle ersetzt. Dadurch entstehe eine zusätzliche Auenfläche von rund 60 Hektar.
Auch kleinere Flüsse sind gefährlich
„Der Klimawandel lässt uns keine Zeit, wir müssen jetzt handeln“, so Krischer. Die Flut 2021 habe auch gezeigt, wie gefährlich kleinere Flüsse werden können, „die vorher nicht im Fokus standen“. Um möglichst früh warnen zu können, werde das landesweite Pegelnetz bis Ende des Jahres von 84 auf 122 Messstellen ausgebaut. In einer Hochwasserzentrale in Duisburg als „Herzstück des neuen Informations- und Warnsystems“ sollen alle Daten zusammenlaufen, um anschließende bei Gefahr so schnell wie möglich die örtlich verantwortlichen Behörden und Organisationen zu instruieren.
„Aber wir sind noch lange nicht am Ziel“, betonte der Minister. Hochwasserschutz in Zeiten der Klimakrise sei „eine Generationenaufgabe“. Etwa 20 Milliarden Euro werde es kosten, um alle notwendigen Maßnahmen umzusetzen.
Die Flutkatastrophe im Juli 2021 hatte vor allem in den Regionen an der Erft, Ahr und Rur sowie in Teilen des Bergischen Landes schwere Schäden verursacht. In NRW kamen 49 Menschen ums Leben, Tausende verloren ihr Zuhause. Die Gesamtschäden werden auf mindestens zwölf Milliarden Euro geschätzt.
Der Pegelstand der Dhünn schnellte von 30 Zentimetern auf 3,45 Meter hoch
Claudia Müller wurde am Nachmittag des 14. Juli 2021 von der Feuerwehr aufgefordert, ihren Frisörsalon im Leverkusener Stadtteil Schlebusch zu verlassen. Die Dhünn war von 30 Zentimetern auf 3,45 Meter angewachsen. Die Wassermassen stauten sich bereits bedrohlich in der naheliegenden Fußgängerzone.
„Nach Hause zu gehen und nicht zu wissen, was man am nächsten Tag vorfinden wird, ist das schlimmste Gefühl überhaupt“, erinnert sich Müller. Zum Schutz vor dem Fluss wurde ein neuer Deich gebaut. Trotzdem fühle sie sich nicht mehr sicher. Sobald es etwas stärker regne, kehre die Angst zurück. Und wenn in den Nachrichten Hochwasser-Bilder zu sehen seien, fühle sie sofort eine „gewisse Beklommenheit“, ergänzt Müller leise: „Vom Herzen her und in der Magengrube, und ich glaube, das wird auch immer bleiben.“