Erste Kommunen wollen die Gebühren zum Teil auf die Patienten umlegen. Die Krankenkasse AOK Rheinland/Hamburg hält das für rechtlich unzulässig.
Streit um die KostenWer bezahlt den Rettungswagen? AOK kritisiert Kommunen

Die Stadt Essen will Kosten für den Rettungseinsatz zum Teil auf Patienten umlegen (Symbolbild).
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Wer in Essen künftig den Rettungswagen ruft, muss 267 Euro zahlen. Grund dafür ist, dass die Krankenkassen einen Teil der Kosten für Rettungseinsätze nicht mehr übernehmen wollen, die Stadt die Kosten aber nicht selbst tragen kann.
Aber geht das überhaupt? Eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg erklärt dazu: „Die Ankündigung einzelner Kommunen, einen Teil der Gebühren bei den Patientinnen und Patienten einzufordern, ist rechtlich nicht zulässig und führt verständlicherweise zu Verunsicherung.“ Dazu verweist die AOK auf Paragraph 14 Absatz 5 des Rettungsgesetz NRW.
Landtag in NRW mit Kosten für Rettungseinsätze beschäftigt
Darin steht: „Ist ein Rettungsdiensteinsatz notwendig geworden, ohne dass ein Transport durchgeführt wurde, kann der Träger rettungsdienstlicher Aufgaben von der Verursacherin beziehungsweise dem Verursacher nur dann Kostenersatz verlangen, wenn der Einsatz auf missbräuchlichem Verhalten der Verursacherin oder des Verursachers beruht.“
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Das NRW-Gesundheitsministerium äußert sich besorgt: „Insbesondere wird befürchtet, dass Hilfesuchende in Sorge über eventuelle Kostenfolgen zukünftig bei Notfällen nicht den Rettungsdienst rufen“, heißt es von der Pressestelle des Ministeriums.
Der Konflikt zwischen Kommunen und Krankenkassen beschäftigt auch den Landtag in NRW am Mittwoch. In einem Eilantrag fordert die SPD-Fraktion Gespräche mit Krankenkassen und Kommunen, um übergangsweise Kosten für Fehlfahrten zu übernehmen und Eigenanteile für Patientinnen und Patienten zu verhindern.
Worum geht es?
Städte und Landkreise organisieren als Träger den Rettungsdienst. Dafür stellen sie eine Gebührenordnung auf, in der sie auch die Kosten für den Einsatz eines Rettungswagens definieren. Diese Kosten übernimmt die Krankenkasse für die Versicherten.
Eine Kostenabwälzung durch die Kommunen auf die Versicherten ist aus Sicht der Krankenkassen nicht vorgesehen und auch nicht sachgerecht.
Allerdings gibt es auch eine hohe Anzahl von Fehlfahrten, also Rettungseinsätze, bei denen am Ende kein Patient ins Krankenhaus kommt. Bis zu 25 Prozent würden diese nach Angaben der Kommunen ausmachen. Die Krankenkassen argumentieren, dass sie rechtlich gesehen nur Kosten übernehmen können, mit denen ihre Versicherten versorgt werden. Kosten für die Fehlfahrten müssten demnach die Kommunen selbst bezahlen.
Jedoch steht im Rettungsgesetz NRW ebenfalls, das Kommunen auch Fehleinsätze in die Gebührensatzungen als ansatzfähige Kosten aufnehmen können.
Wie händeln das die Kommunen?
Viele Kommunen haben einen angespannten Haushalt. Erste Städte und Kreise in NRW wollen die Kosten auf die Patienten umlegen. Im Rhein-Sieg-Kreis bekommen Menschen nach einem Rettungseinsatz einen Gebührenbescheid und müssen zwischen 200 und 300 Euro bezahlen.
Das Problem: Es gibt keine einheitlichen Regelungen. Selbst im Rhein-Sieg-Kreis gibt es Städte, die ihren Rettungsdienst kommunal organisieren und die sich mit den Krankenkassen geeinigt haben. Wer beispielsweise in Hennef oder Siegburg in den Rettungswagen steigt, muss nicht selbst dazuzahlen. Andere Kreise im Umland stehen noch vor einer Entscheidung. Im Kreis Euskirchen muss die Gebührensatzung für den Rettungsdienst erneuert werden, wie die Geschäftsführerin des Kreises Julia Baron berichtet. Nicht ausgeschlossen sei, dass künftig bestimmte Einsätze des Rettungsdienstes in Rechnung gestellt werden. „Ich persönlich finde das skandalös“, sagt Baron: „Es kann nicht der Weg sein, dass die Kreise die Kosten an die Patienten geben müssen.“ Sie hoffe auf entsprechende gesetzliche Regelungen bei Bund und Land, damit es nicht dazu komme.
Wie ist die Lage in Köln?
Die Stadt Köln will dafür sorgen, dass die Fahrt mit dem Rettungswagen auch in Zukunft nicht mehr kostet als bislang. Gesetzlich Versicherte müssen dann weiterhin einen Anteil von zehn Euro übernehmen. Privat Versicherte erhalten zumeist eine volle Erstattung. Den weit überwiegenden Teil bezahlen somit die Krankenkassen und Berufsgenossenschaften. Mit ihnen verhandelt die Stadt Köln derzeit über eine neue Gebührensatzung. Sollte das erfolgreich sein, werden die Krankenkassen die Gebühren laut der Stadt Köln in voller Höhe übernehmen. Die neue Gebührensatzung sieht höhere Gebühren als bislang vor. Der Einsatz eines Rettungswagens soll in Zukunft 863 Euro statt bislang 609 Euro kosten – eine Steigerung von rund 42 Prozent. Für ein Notarzteinsatzfahrzeug entstehen pro Einsatz Kosten von 728 Euro pro Einsatz statt bislang 590 Euro (ein Plus von 23,4 Prozent).
Was sagen die Krankenkassen?
Die Krankenkassen sehen die Kommunen als Träger des Rettungsdienstes in der Verantwortung, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der gesetzlichen Krankenkassen und Krankenkassenverbände. „Eine Kostenabwälzung durch die Kommunen auf die Versicherten ist aus Sicht der Krankenkassen nicht vorgesehen und auch nicht sachgerecht.“ Einen Ersatz könne man von Einzelpersonen nur dann verlangen, wenn sie vorsätzlich missbräuchlich den Krankenwagen rufen.
Außerdem sprechen sich die Kassen in ihrer gemeinsamen Stellungnahme für „deutlich effizientere und schlankere Strukturen“ aus, mit denen sich Kosten sparen ließen. „Es geht dabei nicht allein um die Reduktion von Leitstellen, sondern um die digitale Vernetzung der Leitstellen des Rettungsdienstes und des ärztlichen Bereitschaftsdienstes.“
Was sagen die Kritiker?
„Sowohl die Kommunen als auch die Landesregierung und der Bund lassen Patientinnen und Patienten mit den offenen Fragen im Rettungsdienst und Krankentransport im Stich“, sagt die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Die Zusatzgebühren belasteten Hilfesuchende stark, obwohl die Daseinsvorsorge gesetzlich bei Städten, Gemeinden und Kreisen liege. Die Landesregierung zeige nicht ausreichend Initiative. „Der Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann muss jetzt seine oft zitierte sozialpolitische Stimme erheben, damit die Menschen in Nordrhein-Westfalen keine Angst haben, den Rettungsdienst zu rufen.“
Die Kostenfrage darf nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden. Den Konflikt muss man grundsätzlich angehen.
Johannes Nießen, Kommissarischer Leiter des Bundesinstitutes für Öffentliche Gesundheit, erklärt: „Die Kostenfrage darf nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden. Den Konflikt muss man grundsätzlich angehen.“ Er habe Verständnis dafür, dass man gegensteuert, wenn Missbrauch offensichtlich ist und Menschen den Krankenwagen rufen, auch wenn es nicht nötig ist. „An so einer Stelle unterstütze ich die Position der Krankenkasse.“
Trotzdem müsse unbedingt sichergestellt sein, dass ein Patient die Hilfe bekommt, die er braucht. „Es gibt die Gefahr, dass Menschen nachlässig mit ihrer Gesundheit umgehen, wenn sie die finanziellen Folgen der Behandlung tragen müssen.“ Dazu sei es ungerecht, dass unterschiedliche Lösungen und Einigungen dafür sorgen, dass Patienten in einer Stadt für den Rettungswagen zahlen müssen und in der anderen nicht. „Das ist keine gute Lösung. Hier sollte eine Standardisierung auf Bundesebene erfolgen, so schwer das auch ist.“
Was muss sich beim Rettungsdienst tun?
Die Kosten im Rettungsdienst explodieren wie in allen Bereichen des Gesundheitssystems, sagt Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. „Die Krankenkassen sind zunehmend nicht mehr bereit für alle Kosten aufzukommen, insbesondere Fehleinsätze. Wir geben im Moment etwa zehn Milliarden Euro für den Rettungsdienst aus mit Steigerungen von zehn Prozent pro Jahr.“
Eines der Probleme seien Fälle, in denen der Rettungsdienst gar nicht hätte kommen müssen. „Wir bräuchten weniger Rettungspersonal, wenn all diese Bagatellen wegfallen würden.“ Dazu plädiert er für eine Umstellung der Finanzierung, um nicht den Transport, sondern die medizinische Leistung zu honorieren. „Dann kann man den ein oder anderen Patienten auch daheim behandeln, ohne ihn ins Krankenhaus zu fahren.“ In Niedersachsen behandle der Telearzt 80 Prozent der Fälle telefonisch über die Wahl der Nummer „116117“.
Braucht es mehr Aufklärung?
„Das Dilemma liegt oft daran, dass der Patient nicht einschätzen kann, wie schwerwiegend seine Erkrankung ist“, meint Johannes Nießen vom Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit. „Wir wissen, dass sich nur 25 Prozent der Bevölkerung im Gesundheitswesen gut zurechtfinden.“ Da das Gesundheitssystem komplex ist, gelinge es vielen Menschen nicht, den richtigen Zugang zu finden. „Wir müssen mehr über Gesundheitsthemen aufklären, damit jeder Mensch kompetent mit seinem Körper und dessen Gesundheit umgehen kann.“
Auch Christian Karagiannidis sprach sich für eine bundesweit einheitliche Aufklärungskampagne aus, die vermittelt, wann die 112 und wann die 116117 die richtige Anlaufstelle ist. „Viele Bürgerinnen und Bürger handeln nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Unsicherheit. Diese Fehlsteuerung ließe sich mit klarer Kommunikation deutlich reduzieren und würde sowohl den Rettungsdienst als auch die Notaufnahmen spürbar entlasten.“
