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Wie tickt der neue Papst Leo XIV.?„Der am wenigsten narzisstische Auftritt der Kirchengeschichte“

Lesezeit 7 Minuten
Papst Franziskus (links) im Jahr 2017 mit seinem heutigen Nachfolger Leo XIV. Robert Francis Prevost war damals Bischof im peruanischne Bistum Chiclayo.

Papst Franziskus (links) im Jahr 2017 mit seinem heutigen Nachfolger Leo XIV. Robert Francis Prevost war damals Bischof im peruanischne Bistum Chiclayo.

Unser Autor hatte Gelegenheit, den neuen Papst in seiner Zeit als Kurienkardinal kennenlernen. 

In den USA, der Heimat von Papst Leo XIV., ist es üblich, 100 Tage nach der Amtseinführung eines Präsidenten eine erste Bilanz zu ziehen – persönlich und politisch. Beim ersten US-Papst der Geschichte reichten 100 Sekunden, um einen Eindruck zu gewinnen, was für ein Mensch da gerade den Stuhl Petri bestiegen hat.

Das gewählte geistliche Oberhaupt von 1,4 Milliarden Katholiken tat am Donnerstagabend, was vor ihm noch kein Papst getan hatte: Er las seine erste Ansprache auf dem Mittelbalkon des Petersdoms vom Blatt ab. Er wollte in diesem emotionalen Moment auf keinen Fall einen Fehler machen. Und wer ihn beobachtete und genau zuhörte, konnte bemerken: Der neue Pontifex war bei der Premiere mächtig aufgeregt. Die Stimme flatterte leicht. Auf Italienisch, das er als weltläufiger Mann der Kurie eigentlich gut beherrscht, verhaspelte er sich einmal.

„Der am wenigsten narzisstische Auftritt der Kirchengeschichte“

Doch diese leichten Schwächen in der B-Note ließen ihn, der jetzt nach traditioneller Vorstellung Stellvertreter Jesu Christi auf Erden ist, menschlich wirken, sympathisch. In seinem kurzen Diskurs verwendete Robert Francis Prevost neunmal das Wort „Frieden“, verlor aber kein einziges Wort über sich selbst. Sein Vorgänger Franziskus hatte sich bei gleicher Gelegenheit 2013 noch als „Papst vom Ende der Welt“ vorgestellt, der Vorvorgänger Benedikt XVI. bezeichnete sich 2005 als „demütigen Arbeiter im Weinberg des Herrn“. Die einzige persönliche Note Leos XIV. waren seine auf Spanisch formulierten Grüße an die Menschen in seiner zweiten Heimat Peru und dort speziell im Bistum Chiclayo, wo er von 2015 bis 2023 als Bischof gewirkt hatte. Der erste Auftritt des neuen Pontifex, schrieb der „Corriere della Sera“ mit feiner Ironie, sei „der am wenigsten narzisstische der Kirchengeschichte“ gewesen.

Am Tag nach seiner Wahl nutzte der neue Papst die traditionelle Messe mit den Kardinälen dann doch für eine erste öffentliche Skizze seines Amtsverständnisses – mit Worten, aber auch mit kleinen Zeichen, die oft mindestens so vielsagend sind. Zum Gottesdienst in der Sixtinischen Kapelle kam Leo ohne die roten Pontifikalschuhe, die in früheren Zeiten zur Papstgarderobe gehörten. Das päpstliche Schuhwerk ist ein Thema, spätestens seit in der Amtszeit Benedikts XVI. (fälschlich) die Rede ging, das päpstliche Modell stamme aus dem Hause Prada. Franziskus wiederum wurde als Papst immer nur in schwarzen Straßenschuhen gesehen – für Papst-Mystifizierer das Indiz für eine „Häresie der Formlosigkeit“ im Zentrum der Weltkirche.

Der neu gewählte Papst Leo XIV. (M), der US-Amerikaner Robert Prevost, erscheint nach dem Konklave auf dem Balkon des Petersdoms im Vatikan. +++ dpa-Bildfunk +++

Der neu gewählte Papst Leo XIV., der US-Amerikaner Robert Prevost, erscheint nach dem Konklave auf dem Balkon des Petersdoms im Vatikan.

Hier schien Leo nun das Signal zu senden: keine roten Schuhe, also keine Restauration! Aber, bitte, auch keine vorschnellen Schlüsse: Denn am Tag seiner Wahl präsentierte er sich „Urbi et Orbi“, der Stadt und Erdkreis, auf dem Balkon des Petersdoms mit Insignien wie der Papststola oder der scharlachroten Seiden-Mozzetta (Schulterkragen) über weißem Chorhemd und Papstsoutane sowie einem goldenen Kreuz – dem gleichen Ornat wie Benedikt XVI. (2005) und Johannes Paul II. (1978). Auf das meiste davon hatte Franziskus 2013 verzichtet. Ob seine berühmt gewordene Erklärung „Der Karneval ist vorbei“ tatsächlich so gefallen ist wie kolportiert, gilt als offene Frage.

Papst Leo sprach am Freitag zu Beginn seiner Predigt erstmals seit seiner Wahl einige Worte auf Englisch. „Ihr habt mich berufen, dieses Kreuz zu tragen und diese Sendung zu erfüllen“, sagte er. In einem auch von früheren Päpsten gewählten Demutsgestus nannte er sich einen „treuen Verwalter“, der sich kleinmache und Christus in den Vordergrund seiner Arbeit stelle. Letztlich solle die Kirche „zu einer rettenden Arche werden“, die durch die Wogen der Geschichte steuert, „zu einem Leuchtturm, der die Nächte der Welt erhellt“. Nicht mit Prunk und Prachtbauten, sondern durch die Heiligkeit der Mitglieder. Auch auf Franziskus' Erbe verwies Leo, zitierte ihn aber nur einmal indirekt.

Warnung vor Glaubensverlust

In den Vordergrund seiner Ausführungen rückte er die „dramatischen Begleiterscheinungen“ eines Mangels an Glauben. Der Sinn des Lebens gehe verloren, die Barmherzigkeit werde vergessen und die Würde des Menschen „in den dramatischsten Formen verletzt“. Die Lage für Christen beschrieb er als herausfordernd. Gläubige würden mitunter „verspottet, bekämpft, verachtet oder bestenfalls geduldet und bemitleidet“. Herausfordernd ist die Lage aber auch für die Kirche. Franziskus verglich sie vor seinem Tod in einer Meditation zum Karfreitag mit einem „zerrissenen Gewand“.

Tatsächlich ist die Kirche nach dem populären, aber auch polarisierenden Papst aus zwischen Traditionalisten und Reformern tief gespalten. Dass sich die 133 Kardinäle im Konklave nach nur einem Tag und vier Wahlgängen auf den moderaten Prevost einigten, ist ein klares Zeichen dafür, wie stark der Wunsch nach Ausgleich und Normalität in der Sixtinischen Kapelle war. Auf diesen Wunsch hat Leo XIV. auch direkt reagiert: „Wir müssen gemeinsam danach suchen, wie wir eine Kirche sein können, die Brücken baut, die den Dialog sucht, die immer offen ist für alle, die unsere Nächstenliebe, unsere Gegenwart, unseren Dialog und unsere Liebe brauchen“, sagte er nach seiner Wahl.

„Ein feinfühliger, milder Mensch“

Für die Rolle des Brückenbauers sei er mit seiner Herkunft, seinem Werdegang und aufgrund seines Charakters gut gerüstet, sagen Personen, die ihn näher kennen. Der italienische Kurienkardinal Gianfranco Ravasi, der aus Altersgründen nicht mehr am Konklave teilnehmen konnte, erinnert daran, dass Prevost zwar 1955 in Chicago geboren wurde, aber 20 Jahre als Missionar und später auch als Bischof in Peru verbracht hat. „Er repräsentiert beide Amerikas, den Norden und den Süden“, betont Ravasi und lobt die „Ernsthaftigkeit“ des neuen Papstes. In einer Welt, in der viel herumgeschrien werde, sei er „ein feinfühliger, milder Mensch“.

Schon aus seiner Schulzeit vertraut mit der geistlichen Tradition des Augustinerordens, trat Prevost 1977 dieser weltweit tätigen Gemeinschaft bei. Im Orden hatte er verschiedene Leitungsämter inne und lehrte überdies als Professor für Kirchenrecht. Von 2001 bis 2013 stand Prevost als Generalprior mit Sitz in Rom an der Spitze des Augustinerordens. In seinen Jahren als Missionar in Peru kam es auch zu einer folgenreichen Bekanntschaft mit dem damaligen Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio.

Wie Robert Prevosts Stern stieg

Der spätere Papst Franziskus beeinflusste Prevosts steilen Aufstieg in der Kirchenhierarchie entscheidend. 2014 ernannte er ihn zum Weihbischof und bestellte ihn als Verwalter des Bistums Chiclayo in Peru. 2015 übernahm Prevost dort das Bischofsamt. Schon wenige Jahre später berief ihn der Papst als Mitglied zweier Vatikanbehörden. 2023 holte er ihn dann endgültig nach Rom und machte ihn zum Präfekten des Dikasteriums (Ministerium) für die Bischöfe. „Dank dieser Erfahrung hat Leo XIV. einen umfassenden, internationalen Blickwinkel“, betont Ravasi. Noch 2023 erhob Franziskus Prevost auch zum Kardinal – die entscheidende Voraussetzung für seine spätere Wahl zum Papst. 

Man kann sich im Nachhinein fast darüber wundern, dass die Vatikan-Experten und auch die Buchmacher als Katalysatoren einer vermeintlichen Schwarmintelligenz den Namen Prevost nicht weiter oben auf dem Zettel hatten. Immerhin: Das US-Onlinemagazin „National Catholic Reporter“ (NCR) führte eine Reihe renommierter englischsprachiger Medien auf, die hinter Prevosts Namen auf einer Liste von „Papabili“ einen Haken gemacht hatten. Prevosts Stern sei in dem Maße gestiegen, in dem die Chancen des scheinbar geborenen Kandidaten, Pietro Parolin, nach einer „glanzlosen Predigt“ gesunken seien, schrieb NCR-Vatikankorrespondent Christopher White und sprach von einer „Charisma-Lücke“ der Nummer zwei im Vatikan. Prevost könnte „der Kandidat für diejenigen werden, die einen kurialen Insider suchen, der nicht Parolin heißt“, spekulierte White – mit dem richtigen Riecher, wie sich herausstellen sollte.

Kardinal Robert Francis Prevost (2..rechts), seit 8.5.25 Papst Leo XIV. spricht mit einer Runde von Journalistinnen und Journalisten, unter ihnen KStA-Chefkorrespondent Joachim Frank (rechts). Das Foto entstand im Januar 2024 im Rahmen einer Romreise der Gesellschaft Katholischer Publizistinnen und Publizisten Deutschlands (GKP).

Kardinal Robert Francis Prevost (2..rechts), seit 8.5.25 Papst Leo XIV. spricht mit einer Runde von Journalistinnen und Journalisten, unter ihnen KStA-Chefkorrespondent Joachim Frank (rechts). Das Foto entstand im Januar 2024 im Rahmen einer Romreise der Gesellschaft Katholischer Publizistinnen und Publizisten Deutschlands (GKP).

Tatsächlich ist Prevost trotz seiner zurückhaltenden Art ein Mann mit Ausstrahlung. Er versteht es zuzuhören, wirkt zugewandt und einfühlsam. Zugleich ist er schlagfertig und beweist im Dialog, was man im Englischen „sense of humour“ nennt: Sinn für Humor. Auf den Doppelpass als Bürger der USA und Perus angesprochen, pflegte der Kardinal im Scherz auf die Namensähnlichkeit seiner Geburtsstadt und seiner Wirkungsstätte als Bischof hinzuweisen: Zwischen Chicago und Chiclayo liegen lediglich zwei Buchstaben.

Als Chef der Behörde, die für die Bischofsernennungen zuständig ist, war Prevost einer der einflussreichsten Männer im Vatikan. Über seinen Schreibtisch gingen sämtliche Lageberichte der Bischöfe aus aller Welt. An ihm führte kein Weg vorbei, wenn Bischöfe und Kardinäle sich in Rom aufhielten. Prevost war derjenige, der sie von Amts wegen empfing und sie durch die Kurie leitete. Und er war derjenige, der die turnusmäßigen „Ad-Limina-Besuche“ der Bischofskonferenzen beim Papst zu managen hatte.

Das heißt: Prevost war für die Kardinäle im Konklave eine bekannte Größe. Ober er als Papst für sie kalkulierbar ist, bleibt abzuwarten. (mit Dominik Straub und kna)