Seit Donald Trump Kanada mit Zöllen und Demütigungen überzieht, bleiben die viele Besucher des Sankt-Lorenz-Stroms aus. Darunter leiden vor allem die Wähler des Präsidenten.
Tourismus zwischen Kanada und den USAOh, wie fern ist Kanada!

Straßenbild mit hybriden Fahnen in Sackets Harbor.
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Alexandria Bay. Es hilft nichts. Das Sternenbanner auf dem Oberdeck des Fährschiffs will an diesem Morgen einfach nicht stolz im Fahrtwind wehen. Arg verwittert wirkt die Fahne, bei der eine Öse ausgerissen ist, ohnehin. Doch nun klemmt auch noch das Seil an der Stange. Energisch zerrt der Kapitän der „Island Clipper“ an der Schnur, bis das schlaffe Tuch zumindest nicht mehr auf Halbmast hängt. „Besser wird es heute nicht“, entschuldigt er sich bei den Passagieren.
Mit dem Nationalstolz sollte man es derzeit nicht übertreiben am Sankt-Lorenz-Fluss ganz oben im US-Bundesstaat New York. Mehr als tausend Inseln gibt es in dem breiten Strom, der die Großen Seen mit dem Atlantik verbindet, vor allem aber die USA und Kanada trennt. Die oft winzigen Eilande gehören teils zum einen, teils zum anderen Land. Dazwischen kreuzen Boote mit US-amerikanischen oder kanadischen Flaggen. Unsichtbar im Wasser verläuft irgendwo die Grenze. Lange hat das kaum jemanden gekümmert. Doch plötzlich fühlt man sich wie an einer Frontlinie.

"Besser wird das heute nicht.! Die Island Clipper nimmt mit schlapper US-Fahne Kurs auf Boldt Castle im Sankt-Lorenz-Strom.
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Keine Viertelstunde dauert die Überfahrt nach Heart Island, wo ein deutschstämmiger Hotelmagnat Ende des 19. Jahrhunderts ein gewaltiges Schloss im Stil einer mittelalterlichen Rhein-Burg errichten ließ. Boldt Castle ist die Haupttouristenattraktion der Region - ein nordamerikanisches Neuschwanstein. Unten am Schiffsanleger gibt es ein eigenes Zollhäuschen für Besucher aus dem wenige Minuten entfernten Kanada. Drinnen im Foyer des Schlosses liegt ein dickes Gästebuch aus. Darin haben sich in dem sich internationale Reisende aus Deutschland, Indien, den Philippinen und selbst Myanmar verewigt. Einen Eintrag aus Kanada aus jüngerer Zeit sucht man vergeblich.
Donald Trump hemmt Tourismus aus Kanada
Eine repräsentative Holztreppe führt hinauf zum Gift Shop im zweiten Stock, wo kurioserweise gerade die kanadische Nationalhymne läuft. Die Radiostation des Nachbarlands spiele einfach die bessere Musik, erklärt Ashley, die junge Frau hinter der Kasse, die Senderwahl. Und außerdem: „Ich mag Kanada sehr“. Leider kämen von dort nun kaum noch Besucher. Der Umsatz des Andenkenladens ist in den ersten Sommerwochen um 30 Prozent eingebrochen. „Die Kanadier haben ihre Gründe“, sagt Ashley. Etwas leiser schiebt sie nach: „Gute Gründe“.
Der Hauptgrund sitzt 780 Kilometer südlich in Washington im Weißen Haus. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt hat Donald Trump begonnen, das nördliche Nachbarland der USA mit Strafen und Beleidigungen zu überziehen. Er beschwerte sich über die „künstliche Linie“, die Nordamerika durchschneide und behauptete, sein Land brauche „nichts von dem, was sie uns verkaufen“. Nach monatelangen Drohungen hat er für die nächste Woche hohe Einfuhrzölle von 35 Prozent angekündigt. Regelrecht eingebrannt haben sich seine wiederholten Spekulationen über eine Annektion des Nachbarlands: „Ehrlich gesagt sollte Kanada der 51. Bundesstaat sein, denn Kanada ist vollständig von den Vereinigten Staaten abhängig“, erklärte er noch im Juni.
Tourismuseinnahmen sind um 15 Prozent eingebrochen
„Das hat mir richtig wehgetan“, sagt Corey Fram. Der Mann mit kurzgeschorenem Bart und wuscheligem Haupthaar ist Chef des 1000-Islands-Tourismusverbandes im US-amerikanischen Grenzort Alexandria Bay. Seine Vorfahren stammen aus Kanada. Seit seiner Kindheit lebt er in der Grenzregion. In der Freizeit spielt er in einer Hockey-Mannschaft mit Kanadiern, am Wochenende kreuzt er regelmäßig auf seinem Boot über den Sankt-Lorenz-Strom. „Wie haben sozial und kulturell mit unseren Nachbarn auf der anderen Seite des Flusses viel mehr gemein als mit den Menschen in Albany oder New York“, sagt er.

"Das hat mir richtig wehgetan". Tourismusmanager Corey Fram hat kanadische Vorfahren.
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Frams Büro liegt direkt neben der Thousand Islands Bridge, einer 14 Kilometer langen Stahlbrücke, die seit 1937 die USA mit Kanada verbindet. Der Ausflugsverkehr von der nördlichen Seite ist seit Januar um ein Viertel eingebrochen. Zwar hofft der Tourismus-Manager, dass sich die Lage im Sommer etwas entspannt. Trotzdem erwartet er fürs Gesamtjahr einen Rückgang um mindestens 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Neben der zeitweisen Schwäche des kanadischen Dollars sieht er dafür nur einen Grund: „Praktisch jeder, mit dem ich spreche, beklagt die Rhetorik aus Washington. Die hat eine regelrechte Aversion gegen Reisen in die USA befördert.“ Die Kanadier seien gekränkt und verärgert, berichtet Fram: „Und ich verstehe das.“
Tourismus ist für die Region existentiell
Für den US-Landkreis Jefferson County, der neben der Militärbasis in Fort Drum vor allem vom Tourismus abhängt, ist das eine schwere Belastung. Mehr als 300 Millionen Dollar haben in- und ausländische Besucher im vergangenen Jahr in der Region gelassen. „Das ist für unsere Wirtschaft existentiell“, sagt Fram. Unmittelbar nach den ersten Verstimmungen hat er sein Marketing verstärkt. Doch für Werbung in den Sozialen Medien erntete er böse Kommentare. Dann lud er kanadische Reisejournalisten ein. Niemand kam - „nicht einmal die Influenzer, deren Auslagen übernommen werden“, berichtet er. In neuen Anzeigen preist der Marketing-Profi nun den binationalen Charakter der Region an. „Es ist eine echte Herausforderung“, gesteht er.
Eine Dreiviertelstunde dauert die Fahrt durch die grüne Wiesen und Weiden mit viel Wasser von Alexandria Bay im Norden nach Sackets Harbor im Westen von Jefferson County. Rund 62 Prozent der Bewohner des Landkreises haben im vergangenen November für Donald Trump gestimmt. An vielen Häusern entlang der Strecke flattert das Sternenbanner. Vor einigen weht daneben die markante rot-weiße kanadische Flagge mit dem zackigen Ahornblatt. Doch nur sehr vereinzelt sieht man Trump-Plakate.

„Wir möchten zeigen: Das sind nicht wir“, sagt Bürgermeister Alex Morgia.
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Dafür ist die Main Street in Sackets Harbor festlich mit Blumen und ganz besonderen Hybrid-Fahnen dekoriert, die in der einen Hälfte die US-Farben und in der anderen das kanadische Ahornblatt zeigen. Der hübsche Ort am Ufer des Ontariosees hat eine beziehungsreiche Geschichte. Im Jahr 1812 wurde hier ein Angriff der damals zu Großbritannien gehörenden kanadischen Marine abgewehrt. Die Zeiten haben sich verändert: Seit vielen Jahrzehnten wird im Sommer traditionell das „CanAm Festival“ mit Live Musik, Paraden, Feuerwerk und friedlichen Besuchern aus Kanada gefeiert.
Am nächsten Wochenende ist es wieder soweit - zum 53. Mal. Doch die Verantwortlichen haben ein flaues Gefühl. „Ich weiß nicht, wie es sein wird“, gesteht Bürgermeister Alex Morgia: „Wahrscheinlich werden einige Kanadier aus entfernteren Gegenden nicht kommen, auch weil sie Angst haben, an der Grenze nicht hereingelassen zu werden.“ Umso wichtiger sei die völkerverständigende Veranstaltung, argumentiert der Politiker mit Demokraten-Parteibuch: „Wir möchten zeigen: Das sind nicht wir. Wir sind nicht diese Leute!“
Ausbleibender Tourismus belastet lokale Unternehmer
Das will auch Daniel Radmanovic in seinem Coffeeshop Chrissy Beanz auf der West Main Street demonstrieren. Der Laden mit gutem Kaffee und frischem Gebäck ist so etwas wie das soziale Zentrum des Dorfes. In beiden Fenstern zur Straße hängen amerikanisch-kanadische Fahnen. „Die Kanadier sind sehr verärgert, aufgebracht und verletzt über das, was hier passiert“, hat Radmanovic dem lokalen Radiosender gesagt. Er weiß, wovon er spricht: Der Mann ist selber Kanadier.
Bleiben die Gäste aus dem Norden dauerhaft aus, würde das viele Geschäftsleute in Sackets Harbor hart treffen. Rund ein Viertel des lokalen Umsatzes stammt nach Schätzungen der örtlichen Handelskammer von kanadischen Kunden. „Die sind wichtig für uns“, sagt auch Julia Robbins Ledoux, die etwas außerhalb neben der väterlichen Milch-Farm den Erlebnishof Old McDonald's Farm betreibt. Mit insgesamt 200 Tieren zum Anfassen, einem Event-Schuppen, Riesenrutschen und einem großen Blumenfeld zum Selberpflücken ist das Ausflugsziel Jahr für Jahr gewachsen. Nun stehen Robbins Ledoux härtere Zeiten bevor, zumal auch die Einnahmen im Souvenir-Shop unter Druck geraten, seit der Lieferant der Plüschtiere die Preise wegen Trumps China-Zöllen um 16 Prozent angehoben hat.

Coffeeshop Chrissy Beanz mit Fahnen in Sackets Harbor.
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„Das Gerede vom 51. Bundesstaat ist total schräg“, ärgert sich der 42-Jährige. Gezielt hat sie ihre Aktivitäten in den Sozialen Medien angepasst. Zum kanadischen Nationalfeiertag am 1. Juli schickte sie zwei Motive heraus: „New York liebt Kanada“ und „Wir wünschen Euch einen glücklichen Kanada-Tag!“
Bürgermeister Morgia: Zollstreit ist frustrierend
Ob die Botschaft bei allen ankommt, ist fraglich. Im Visitor Center unten am Hafen hat Heike Brazie in den vergangenen Wochen jedenfalls so gut wie keine Besucher aus dem nördlichen Nachbarland zu Gesicht bekommen. „Natürlich meldet sich bei uns nicht jeder Gast“, sagt Brazie: „Aber im vergangenen Jahr hatten wir immerhin 250 Kanadier.“ Im Mai hat die diesjährige Saison begonnen. „Seither waren es zwei“, berichtet Brazie.
Ein erstes Opfer ist schon zu beklagen: Die jährliche Gedenkveranstaltung zum Krieg von 1812, bei der normalerweise ein paar hundert Laiendarsteller in historischen Kostümen die zweitägigen Kämpfe auf dem Schlachtfeld am Seeufer nachstellen, muss dieses Jahr ausfallen. Viele kanadischen Teilnehmer hatten Sorge, dass sie bei der Einreise mit ihren antiken Waffen an der Grenze Schwierigkeiten bekommen könnten. „Einige haben auch ganz offen gesagt: Im Moment steht uns nicht der Sinn danach“, berichtet Brazie.
„Ich kann keinem Kanadier einen Vorwurf machen, der im Augenblick beklommene Gefühle gegenüber den Vereinigten Staaten hegt“, sagt Bürgermeister Morgia. Doch damit abfinden will sich der 38-Jährige, der im Hauptberuf ein Hotel und ein Weingeschäft in Sackets Harbor betreibt, nicht. Deshalb hat er die geteilten amerikanisch-kanadischen Fahnen aufhängen lassen. Ohnehin gehört der pragmatische Unternehmer zu den Menschen, die in Krisen immer nach Chancen suchen. Von Schwarzmalerei hält er nichts. So hofft er, dass sein pittoreskes Dorf mit qualitativ höherwertigen Angeboten mögliche Ausfälle besser ausgleichen kann als größere Kommunen in der Region, die auf das Massengeschäft setzen.
Gleichwohl findet Morgia den Zollstreit mit dem Nachbarland extrem frustrierend: „Ich sehe nicht, was das irgendjemand bringen soll“, wettert der Demokrat: „Das Ganze dient nur dazu, dass Trump sich vor seinen Anhängern aufplustern kann, deren Leben er damit tatsächlich schwieriger macht.“ (rnd)