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Kommentar

Die Optimistin
Sparsam glücklich sein – Die meisten tollen Erfahrungen kosten fast nichts

Ein Kommentar von
4 min
Bei Sonnenaufgang fährt ein junger Mann mit dem Fahrrad auf einem Weg.

In den Sonnenaufgang radeln: Nur eine von vielen Möglichkeiten auf kostenfreies Glück.

Das Geld wird knapper, die fetten Jahre sind vorbei, hört man allenthalben. Aber das bedeutet nicht zwingend ein Ende des Glücks.

Das Wasser ist kalt, aber die Sonne hat einen ganzen Topf voll Gold hineingeschüttet. Es gluckert fröhlich, wenn ich mit dem Kopf untertauche und Luftblasen hineinblase. Später am Ufer des Fühlinger Sees werde ich mich von den letzten sommerlichen Sonnenstrahlen aufwärmen lassen und ganz bestimmt lächeln. Natur, Bewegung, Kältereiz. Glücklicher kann mich kaum was machen. Naja, vielleicht Kinderlachen. Vielleicht auch eine Stunde Zeit und ein Buch und ein Bett.

Es ist vielleicht keine gute Nachricht für den Kapitalismus, wohl aber eine folgsame Rückmeldung an Bundeskanzler Friedrich Merz, der jüngst monierte, Deutschland lebe über seine Verhältnisse. Dinge, die uns wirklich glücklich machen, sind meist sehr preisgünstig oder gar unentgeltlich zu haben.

Glück ist individuell

Die Liste ist sehr individuell, lässt sich aber scheinbar endlos fortsetzen. Ein Spaziergang unter gelbem Ahorn. Ein frisch geputztes Badezimmer. Auf dem Nachhauseweg an einem geöffneten Fenster vorbeilaufen, hinter dem jemand eine Klaviersonate übt. Ein Abend auf der Parkbank mit einer Schachtel Kekse, einer Flasche Cola und zwei Freundinnen. Ein Achtjähriger, der nach dem Fußballtraining die Treppe hochstapft, den Blick hebt und nach nichts weiter verlangt als einem prallen Ball und der Erlaubnis vor dem Haus nochmal kicken gehen zu dürfen.

Sonne im Herbst im Kölner Grüngürtel.

Sonne im Herbst im Kölner Grüngürtel.

Ein selbstgebackener Käsekuchen, der ohne Riss in der Oberfläche gelungen ist. Knutschen am Fluss. Der Tatort der schon seit drei Wochen den Spannungsbogen hochhält, weil man jeden Abend nach fünf Minuten erschöpft eingeschlafen ist. Ein Korb voller selbst gepflückter Heidelbeeren. Ein ganzer Tag in der Bibliothek und der Lieblingsautor ist nicht verliehen.

„Es stimmt, Glück kostet nichts“, sagen spanische Wissenschaftler

Seit vielen Jahren versuchen Forscherinnen und Forscher zu ergründen, ob Geld die Voraussetzung für ein glückliches Leben ist. Ob mehr Geld glücklicher macht. Ob das Fehlen monetärer Möglichkeiten ein Leben im Glück verhindert. „Es stimmt, Glück kostet nichts“, sagen spanische Wissenschaftler der Universität Barcelona. Zu dieser Erkenntnis gelangten sie nach einer Befragung von Menschen aus verschiedenen indigenen und lokalen Gemeinschaften. Nur zwei Drittel von ihnen hatten überhaupt ein Einkommen. Trotzdem waren sie durchschnittlich sehr zufrieden.

Nun darf man nicht außer Acht lassen, dass alles auch eine Frage der Verhältnismäßigkeit ist. Wahrscheinlich ist man glücklicher, wenn alle sich über die selbst gepflückten Heidelbeeren freuen und man nicht dem Nachbarn dabei zuhören muss, wie er von seinem Urlaub im Chalet mit eigenem Koch erzählt, während man selbst vor seinem Töpfchen Beeren sitzt. In einer von großen Vermögensunterschieden geprägten Gesellschaft kann einem die Zufriedenheit dann schon mal abhandenkommen.

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen, geboren 1978, ist Chefreporterin Story/NRW. Nach der Geburt ihres ersten Kindes begann sie 2005 als Feste Freie beim Kölner Stadt-Anzeiger. Später war sie Online-Redakteurin und leitet...

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Dennoch liefern die spanischen Forscher Hinweise darauf, dass Glück ohne Geld möglich ist. Vielleicht kann man die Sache sogar umdrehen und sagen: Wenn existenzielle Notlagen ausgeschlossen sind, ist Geld vielleicht nur dann nötig, um aufgestautes Unglück zu kompensieren. Kapitalistischer Konsum wäre also nichts weiter als eine Ersatzbefriedigung für eine verpasste tiefe Zufriedenheit, die sehr kostengünstig zu haben wäre.

Und am Ende steht man da mit seinen 30 Hosen und zwei Autos und der tollen Schrankwand und versucht sich angestrengt zu erinnern, in welchen Momenten man eigentlich so am glücklichsten ist. Wenn ich meine Kinder frage, dann sagen die: Ferien und die ganze Familie hat Zeit füreinander. Oder: Spaghetti mit Tomatensoße. Oder: Es steht ewig unentschieden und in der letzten Minute gelingt einem der Treffer.

Fitness und Filmabend müssen nicht teuer sein

Ich will mich nicht freimachen von vermeintlich glücklich machenden Shoppingtouren. Und Enttäuschung, wenn mein Geld für manche Besitzwünsche nicht ausreicht. Aber dann gibt es doch auch immer diese Momente, in denen mir bewusst wird, wie kostengünstig oder gar kostenfrei manche tollen Erlebnisse tatsächlich zu haben sind. Faust II von Johann Wolfgang von Goethe kostet in der Reclam-Ausgabe gerade mal fünf Euro.

Wer es liest, bekommt dafür die Gedanken eines wirklich klugen Mannes, der immerhin sechs Jahre über diesen 220 Seiten brütete. Wer sich ein Lehrwerk in der Bibliothek ausleiht, kann quasi umsonst Italienisch lernen. Mit einer Tüte Chips und einer großen Flasche Limonade lässt sich der Kinoabend sehr kostengünstig auf dem Sofa zu Hause nachspielen. Um sich fit zu halten, braucht es kein teures Fitnessstudio. Es reicht, wenn man mit Liegestützen und Kniebeugen aufsteht und vor dem Schlafengehen durch den Wald rennt.

Apropos Wald. Die Natur ist natürlich wahrscheinlich die begabteste kostenfreie Glücksbotin. Das bewies zuletzt auch eine Studie aus Wien. Zeit im Freien senkt demnach das Stressniveau, verbessert die Immunfunktion sowie die Denkfertigkeit. Außerdem führe es zu besserem Schlaf und gesteigerter Lebenszufriedenheit.

Für besondere Naturschauspiele müssen Sie übrigens auch nicht teuer verreisen. Ein Wechsel der üblichen Tageszeit birgt oft überraschendes Glück. Bei Sonnenaufgang einen kleinen Gipfel erklimmen, zum Beispiel. Wenn Sie es ausprobieren, werden Sie um 7:22 Uhr morgen früh sehr glücklich sein. Gänzlich gratis.