In langjährigen Beziehungen gerät oft das Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit aus dem Gleichgewicht.
In Sachen LiebeVertrauen und Kontrolle – Wie Paare das Gleichgewicht halten

Der eine wünscht sich mehr Freiraum, die andere mehr Sicherheit. Wie bekommen Paare das zusammen?
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Ich liebe meine Frau sehr und wir sind jetzt schon seit zehn Jahren zusammen. Ich weiß, dass sie aufgrund ihrer Biografie viel Sicherheit braucht und Transparenz fordert. Ich versuche, ihre Wünsche zu beherzigen, fühle mich aber zunehmend kontrolliert. Mir fehlt mein Freiraum, und ich will ihr nicht jeden Schritt erzählen, den ich tue und wo ich mich aufhalte. (David, 54)
Sie beschreiben eine typische Entwicklung in langjährigen Partnerschaften. Nach der ersten Phase der Verliebtheit und einem innigen Zusammensein folgen Phasen des Aushandelns und Ausprobierens, bis sich ein Arrangement für den gemeinsamen Alltag findet. Von daher: Zunächst herzlichen Glückwunsch zu Ihren zehn Jahren stabilen Zusammenseins!
Natürlich bleibt das Leben, die Liebe und Ihre individuelle Entwicklung dabei nicht stehen. Irgendwann passen die gefundenen Strukturen nicht mehr, neue müssen etabliert werden.
Häufiger Anlass für einen solchen Prozess der Anpassung und Reflexion ist das Gefühl, dass Nähe und individuelle Freiheit ins Ungleichgewicht gekommen sind. Das Bedürfnis Ihrer Frau nach Sicherheit hat vielleicht mit verletzenden Erlebnissen in früheren Beziehungen zu tun, und die von Ihnen empfundene Kontrolle ist ein Versuch, sich vor neuen Verletzungen zu schützen. Es ist also ein Verhalten für ihre Selbstregulierung, das aber nicht gegen Sie gerichtet ist. Wenn nun aber dieses Muster mit Ihrem – vielleicht stärker gewordenen – Bedürfnis nach Eigenständigkeit und Autonomie kollidiert, brauchen Sie neue Strukturen.
Zeit für einen „Boxenstopp“
Es lohnt sich, innezuhalten und genau hinzuschauen. Vielleicht eine gute Gelegenheit für einen „Boxenstopp“ mit Ihrer Partnerin! Manche Paare überdenken ihre Beziehung, bewusst ritualisiert, mindestens einmal im Jahr, indem sie für ein paar Tage ein Paarseminar besuchen. Andere setzen sich bei Bedarf zusammen und reflektieren, wenn eine oder einer von beiden eine Unzufriedenheit spürt. Dann allerdings wird es auch höchste Zeit – wie bei Ihnen jetzt!
Wie schaffen Sie es in Ihrer Beziehung, den Freiraum für Sie zu vergrößern und gleichzeitig Ihrer Frau die nötige Sicherheit zu geben? Überprüfen Sie gemeinsam Ihre Beziehungsgrundlage, das Vertrauen zueinander, und machen Sie deutlich, dass dieses Vertrauen nicht mit einer lückenlosen Berichterstattung Ihrerseits zu gewinnen ist. Vielmehr kann das Gefühl von Kontrolle innerlich zu Distanz führen – und damit zum Gegenteil dessen, was Sie beide wollen.
Austausch über die jeweiligen Bedürfnisse
Nehmen Sie sich Zeit für ein offenes Gespräch – vielleicht sogar mit professioneller Begleitung. Machen Sie darin klar, dass es nicht um Vorwürfe und Konfrontation geht, sondern um die Reflexion und den Austausch über die jeweils eigenen Bedürfnisse. Hören Sie einander zu und erzählen Sie sich, wie Sie heute Ihre Liebe zueinander spüren.
Dann können Sie sich abwechselnd folgenden Fragen widmen: Wie haben sich meine Bedürfnisse in den letzten Jahren verändert? Was spüre ich? Was will ich für mich (und nicht gegen dich)? Oft machen Veränderungen der Lebensumstände (die Kinder gehen aus dem Haus, es kommt zu einem beruflichen Wechsel oder zu körperlichen Veränderungen am Beginn der zweiten Lebenshälfte) eine bewusste Wahrnehmung der eigenen seelischen Bedürfnisse notwendig und fordern damit eine Neujustierung des eigenen Lebensstils.
Indem Sie solche Fragen beantworten, beschreiben Sie just den nächsten Entwicklungsschritt in Ihrer Beziehung. Verstärken könnten Sie diese Entwicklung durch die Formulierung eines seelischen Vertrags, den Sie jeweils mit sich selbst schließen. Solche Verträge sind umso wirkungsvoller, je eigenständiger gewählt die Worte sind. Hier trotzdem zwei Vorschläge. Einmal für Sie: „Ich achte auf meine Bedürfnisse und bleibe in Beziehung.“ Und für Ihre Frau: „Ich vertraue auf unsere Struktur und lasse los.“
Lesefragen
Unser Team von Expertinnen und Experten beantwortet Ihre Fragen in der Zeitung und online: die Psychotherapeuten Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner, die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald, Sexualberaterin Gitta Arntzen sowie der Urologe Volker Wittkamp. Ihre Zuschriften werden anonymisiert weitergegeben. Schicken Sie Ihre Frage an: in-sachen-liebe@dumont.de