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Studie mit VR-BrillenSchnellwarnsystem – So starten Augen und andere Sinne das Immunsystem

2 min
Eine Darstellung illustriert, wie eine Versuchsperson durch eine Virtual Reality-Brille Avatare sieht, die teils sichtbare Anzeichen von Infektionen zeigen.

Das Immunsystem des Menschen reagiert nach einer Studie bereits auf den Anblick einer möglichen Infektionsquelle, selbst in virtueller Realität.

Augen an Immunsystem: Die Reaktionen des Körpers auf eine vermeintlich ansteckende Person sind viel komplexer als bekannt.

Das Experiment klingt zunächst ziemlich bizarr – und realitätsfremd. Knapp 250 freiwillige Versuchspersonen bekommen eine VR-Brille aufgesetzt (eine Art Videobrille), auf der sie viele unterschiedliche Personen sehen, die auf sie zukommen. Einige der Gesichter zeigen aber einen Hautausschlag, ein mögliches Zeichen einer Infektion. Andere wirken gesund. Jetzt wird es merkwürdig: Ein Teil der Probanden bekommen einen kleinen Gegenstand an die Wange geklebt, der vibrieren kann. Gleichzeitig bekommen sie einen Knopf in die Hand. Sobald sie eine Vibration an der Wange spüren, sollen sie den Knopf drücken. Gleichzeitig sehen sie die Gesichter von Menschen auf der Videobrille – „gesunde“ und solche mit Hautausschlag.

Magnus Heier

Magnus Heier

ist Autor und Neurologe und schreibt die wöchentliche Medizinkolumne „Aus der Praxis“. ...

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Die These der Forscher: Möglicherweise kranke Gesichter sollten vom Gehirn als potenzielle Gefahr wahrgenommen werden. Und die einfachste Art, ein „beunruhigtes“ Gehirn von einem entspanntem zu unterscheiden, dürfte seine Reaktionsschnelligkeit sein. Kurz: Nach dem Anblick von vermeintlich kranken Menschen dürfte der Proband, die Probandin schneller auf das Vibrieren reagieren.

Und genau das, so die Forscher, sei auch passiert: Die Reaktionszeit war kürzer. In einem zweiten Schritt wurde bei einem anderen Teil der Probanden die Reaktion des Gehirns direkt beobachtet. Und tatsächlich waren Teile des Gehirns beim Anblick der „kranken“ Gesichter in einer Art Alarmzustand. Eine zweite Art der Bestätigung, dass das Gehirn auf mögliche Bedrohungen reagiert. Nichts könnte weniger überraschen! Nichts scheint langweiliger – zunächst!

Immunsystem kann allein durch den Anblick einer potenziell bedrohlichen Situation aktiviert werden

Interessant wird es erst in einem dritten Schritt der Forscher: Sie nahmen Blutproben von einem weiteren Teil der Probanden, einem Teil, der ausschließlich Gesichter mit Hautveränderungen gesehen hatte und keine gesunden. Und sie suchten dort nach Reaktionen des Immunsystems. Und tatsächlich fanden sie diese in Form einer sogenannten „ILC-Aktivierung“, eine Aktivierung lymphatischer Zellen. Damit konnten die Forscherinnen und Forscher nachweisen, dass eine Aktivierung des Immunsystems allein durch den Anblick einer potenziell bedrohlichen Situation stattfinden kann.

Was zunächst irritiert, erscheint trotzdem logisch: Durch die Vorwarnung kann das Immunsystem schneller reagieren, wenn es tatsächlich zu einer Bedrohung kommt. Dass es auch „falsch positive“ Reaktionen gibt, also Alarm ohne wirkliche Bedrohung, ist dabei zu verschmerzen. Vermutlich gibt es viele solcher Schnellwarnsysteme: über den Geruch, über die Ohren, über andere Sinnesorgane. Und dann wird über das Gehirn eine Warnung an das Immunsystem verschickt. Und das reagiert ohne Verzögerung. Es ist naheliegend, diese Mechanismen auch in Vorbeugung und Therapie von Krankheiten zu nutzen. Als eine besonders sanfte Behandlung. Noch ist es nicht so weit – aber die Beobachtungen der Studie (erschienen in „Nature Neuroscience“) sind vielversprechend.