Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Bewegung im AlltagWas Spazierengehen mit Fitness zu tun hat

Lesezeit 5 Minuten
Spaziergänger nutzen das Frühlingswetter für einen Sonntagsspaziergang im Botanischen Garten, wo Krokusse blühen.

Nochmal tausend Schritte mehr: Bewegung, auch nur gehen, senkt das Krankheitsrisiko.

Ein Spaziergang gehört für viele Menschen zur Sonntagsroutine. Wie umfassend gut er tun kann, erklärt ein Experte von der Sporthochschule in Köln.

Wer das Handy oder das Fitnessarmband nutzt, um täglich Schritte zu zählen, hat oft eine magische Zahl vor Augen: 10.000. Dass sie wohl auf die Marketingstrategie eines japanischen Schrittzählers zurückgeht, ist nebensächlich. Wahrscheinlich hat sie einfach sehr viele Menschen dazu gebracht, immerhin eine solche Strecke zu Fuß zurückzulegen. „Ein Spaziergang hilft dabei, den Kopf freizubekommen“, sagt Jens Kleinert, Professor am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln. Kann man Spazierengehen als Sport zählen? Wie wirkt es  sich aus und was ist nun mit den 10.000 Schritten? Antworten auf die wichtigsten Fragen dazu.

Welche Vorteile bringt Spazierengehen der Gesundheit?

Langes Sitzen wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus. Es führe unter anderem zu einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Trotzdem verbringen viele Menschen den Großteil ihres Tages sitzend. Um den negativen Folgen entgegenzuwirken, müssten sie sich mehr bewegen. Dazu ist nicht zwingend intensives Training nötig. Die WHO empfiehlt Erwachsenen, sich in der Woche 150 Minuten moderat sportlich zu betätigen. Auch ein Spaziergang kann helfen.

„Spazieren zu gehen ist für die meisten immer und überall möglich. Damit anzufangen ist dementsprechend einfach. Wenn wir spazieren gehen, können wir variieren, wie sehr wir unseren Körper belasten“, erläutert Kleinert. Im Gegensatz zu anderen Sportarten helfe das insbesondere dabei, die Knie, den Rücken oder die Hüfte zu schonen.

Der Nachtteil sei jedoch, dass der Körper weniger stark trainiert werde als beispielsweise beim moderaten Joggen. „Ich empfehle, jungen, aber auch ältere Menschen, das Spazierengehen durch Krafttraining zu ergänzen, um die Muskeln zu stärken“, sagt der Professor. 

10.000 Schritte pro Tag sind eine Marke geworden. Wie viele Schritte braucht es für den positiven Effekt denn wirklich?

Je nach Studie ändert sich die empfohlene Schrittzahl. Laut Angaben der Medizinischen Universität Graz und der Harvard University liegen die Werte meist zwischen 4000 und 8000 Schritten. Eine Studie über den Zusammenhang zwischen Schrittanzahl und Mortalität, die 2023 im European Journal of Preventive Cardiology veröffentlicht wurde, kommt zu einem recht genauen Ergebnis. Mit jeden zusätzlichen 1000 Schritten, die Menschen täglich gehen, sinkt demnach das Risiko an Krankheiten zu sterben um 15 Prozent. Selbst 500 Schritte mehr machen einen Unterschied: Sie reduzieren die Gefahr, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, um sieben Prozent.

„Letztendlich sollte sich die Anzahl der Schritte daran orientieren, was ich mit dem Gehen erreichen will“, sagt Kleinert. Wer körperliche Erfolge sehen möchte, solle sich täglich mindestens 20 bis 30 Minuten moderat bewegen. „Um die Stimmung zu steigern oder sich abzulenken, können, je nach individuellem Bedarf, auch schon drei bis fünf Minuten, reichen.“

Wie wirkt sich ein Spaziergang auf die mentale Gesundheit aus?

Bewegung kann Menschen, die unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen leiden, helfen. „Deshalb ist Bewegungstherapie als Praxis, um psychisch kranke Menschen zu behandeln, fest etabliert. Dabei wird die Wirksamkeit eines Spaziergangs jedoch oft unterschätzt“, sagt Kleinert.

Jens Kleinert von der Deutschen Sporthochschule in Köln.

Einen Spaziergang empfiehlt Jens Kleinert für das körperliche und seelische Wohlbefinden.

Er betont vor allem auch den sozialen Faktor: „Spazierengehen ist ein Vehikel des sozialen Anschlusses. Es befriedigt unser Grundbedürfnis nach Geselligkeit.“ Wer sich für eine Aktivität verabrede, fühle sich außerdem eher dazu verpflichtet, an ihr teilzunehmen. Das motiviere manche Menschen, die sich regelmäßig antriebslos oder müde fühlten. „Ein Spaziergang hilft schließlich nur, wenn ich ihn auch mache“, so Kleinert.

Wie kann ein Spaziergang insbesondere älteren Menschen helfen?

Sich intensiv sportlich zu betätigen, ist für viele ältere Menschen oft nicht mehr ohne Weiteres möglich. Da der körperliche Aufwand für einen Spaziergang verhältnismäßig gering ist, können sie besonders davon profitieren. In zweierlei Hinsicht: physisch und seelisch. Zum einen verringert regelmäßiges Gehen laut einer Studie, die 2023 im Journal Geroscience veröffentlicht wurde, das Risiko für altersbedingte Krankheiten, etwa kardiovaskuläre Erkrankungen, kognitive Beeinträchtigungen und Demenz. Dafür müssten die Menschen 30 Minuten täglich an fünf Tagen die Woche zügig gehen. Außerdem verbessere das Gehen das psychische Wohlbefinden, den Schlaf und die Lebenserwartung.

Die soziale Komponente wiegt bei älteren Menschen doppelt, denn sie sind nach Angaben des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend neben jüngeren Menschen am häufigsten von Einsamkeit betroffen. Insbesondere Personen über 80 Jahre sind stärker von sozialer Isolation bedroht, schreibt das Ministerium. Um dem entgegenzuwirken, sei jeder noch so kleine Impuls wichtig.

Hängen Spazierengehen und unser Stresslevel zusammen?

Zeit im Freien zu verbringen, reduziert Stress. Die Universität Hamburg hat diesen Zusammenhang genauer untersucht. Demnach beruhigt es Menschen, sich draußen aufzuhalten. Der Körper baue Stresshormone ab, wenn wir uns im Grünen bewegen. Ein Spaziergang könne außerdem dazu führen, dass sich Menschen wacher, berichtet Kleinert. „Dabei geht es um das Gefühl der Vitalität. Besonders ein Spaziergang in der Natur führt dazu, dass wir uns lebendiger fühlen“, sagt er.

Macht es für unser Stressempfinden einen Unterschied, ob wir in der Natur oder in der Stadt spazieren gehen?

Unsere Gehirnstruktur profitiert nach Untersuchungen der Max-Planck-Gesellschaft davon, dass wir uns draußen aufhalten - unabhängig davon, ob wir uns in der Stadt oder im Grünen befinden. „Solche Auswirkungen auf die Gehirnstruktur sind schwer nachzuweisen und die Ergebnisse haben nicht zwingend etwas damit zu tun, wie wir etwas tatsächlich erleben“, sagt Kleinert. „Für einen Spaziergang im Grünen spricht, dass bei vielen Menschen das Naturerleben die Stimmung besonders aufhellt.“

Um Stress zu reduzieren sei wichtig, dass die Menschen sich von ihren Problemen ablenkten und andere Eindrücke sammelten. „Im Fokus sollten immer die eigenen Bedürfnisse stehen. Wenn mir nach einem kurzen Gang um den Block ist, um durchzuatmen, kann das ausreichen“, erklärt der Professor.

Menschen gehen durch die Kölner Einkaufsmeile auf der Schildergasse.

Auch ein Spaziergang durch die Stadt kann Stress reduzieren.

Laufbänder und sogenannte Walking Pads, die sich im Homeoffice seit einigen Jahren größerer Beliebtheit erfreuen, sieht Kleinert skeptisch, zumindest als Alternative zum Spaziergang. „Wenn ich in meinem Büro auf der Stelle gehe und nebenbei arbeite, bewege ich mich zwar, aber es gibt kaum einen Erholungseffekt.“ Menschen müssten sich räumlich von der belastenden Situation trennen, um den Stress effektiv zu reduzieren.

Was können Städte und Kommunen tun, um das Spazierengehen zu fördern?

Laut Kleinert sind zwei Maßnahmen besonders wichtig: Zum einen sollten Städte die Verkehrsbelästigung senken und zum anderen Grünflächen erhalten und anbringen. „Das ist auch aus klimaschutztechnischen Gründen wichtig“, sagt er. Behörden sollten Parks als Kompromiss zwischen Natur und Stadt ausbauen und für weniger Verkehr sorgen. „Wenn sich die Politik darum stärker bemühen würde, wäre dem Klima geholfen. Und das Spazierengehen würde auch im städtischen Umfeld mehr Freude machen.“