Wer unter chronischen Schmerzen leidet, ist oft verzweifelt. Eine Elektrode im Spinalkanal kann Abhilfe schaffen.
Operation an der Uniklinik KölnWie eine extralange Elektrode chronische Schmerzen lindern kann

Katharina Zeitler ist Funktionsoberärztin an der Uniklinik Köln. Sie setzt einer Patientin, die an chronischen Schmerzen leidet, eine Elektrode in den Spinalkanal.
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Die Elektrode windet sich wie eine Rundstricknadel in der sterilen Verpackung. Gleich wird Katharina Zeitler sie in den Spinalkanal der Patientin einführen. Sie soll dafür sorgen, dass Schmerzimpulse nicht mehr zum Gehirn weitergeleitet werden können. Möglich machen das die komplexen Wirkmechanismen dieser 16-Kontakt-Elektrode. Sie baut ein Stimulationsfeld auf, das wie eine Blockade für chronische Schmerzen funktioniert. Diese Schmerzen strahlen mitunter quälend bis in die Beine der Patientin.
„Wo spüren Sie das Kribbeln?“, fragt die Ärztin. „Links, am Knie entlang, bis in die Füße“, antwortet die Patientin ein wenig verschlafen und hebt den Kopf. „Ist das da, wo sie es brauchen? Da, wo es wehtut?“ Ein Nicken. „Versuchen Sie noch ein bisschen zu schlafen. Wir stellen jetzt alles richtig ein.“
Innovative Operation an der Uniklinik Köln
Diese epidurale Rückenmarkstimulation hilft seit vielen Jahren Patientinnen und Patienten, die unter quälenden chronischen Schmerzen leiden. Deutschlandweit sind nach Schätzungen knapp zehn Millionen Menschen betroffen. Etwa 3000 Menschen davon konnte durch eine Elektrode schon das Leben erleichtert werden, sagt Christoph Wanko, Sprecher der Uniklinik Köln.
Erstmals europaweit wird hier an der Uniklinik Köln nun eine technisch optimierte, extralange 16-Kontakt-Elektrode verbaut, die ein großes Stimulationsfeld erzeugen kann und durch die kurzen Abstände zwischen den Kontakten eine präzisere Abdeckung der Schmerzareale erlaubt. So werde eine optimale Wirkung erzeugt, erklärt Funktionsoberärztin Zeitler: „Die Hardware ist deutlich verbessert, wir sind mit dieser Behandlungsmethode in der Lage, die Therapie ganz gezielt auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten anzupassen und so eine größere Schmerzlinderung herbeizuführen.“
Patienten müssen während der Operation ansprechbar sein
Um der Präzision der Stimulation Genüge zu tun, ist es bei bestimmten Stimulationsformen notwendig, dass die Patienten während der Operation für die Testphase wach gemacht werden können. Denn hier im Operationssaal kommt es zur Kommunikation zwischen Patienten und Operateur. Die Rückmeldung des Patienten ist von großer Bedeutung. Erst wenn er ein Kribbeln in den betroffenen Schmerzregionen spürt und anzeigt, weiß Zeitler, dass die Elektrode optimal liegt.
In einer etwa einwöchigen Testphase wird die Elektrode im Körper noch über ein Verlängerungskabel nach außen geführt und von dort über einen externen Neurostimulator gesteuert. Liegt die Schmerzlinderung bei mindestens 50 Prozent, wird der permanente Neurostimulator implantiert. Platziert wird er im Unterhautfettgewebe am Gesäß oder seltener im Bauchbereich. „Die wiederaufladbaren Neurostimulatoren sind langlebig und halten über zehn Jahre“, so Zeitler, im Alltag kämen die meisten Patienten mit der Handhabung des Systems gut zurecht und könnten sich nach der Einheilungsphase auch sportlich betätigen und körperlich belasten.

Die neuartige Elektrode ist sehr lang und verfügt über 16 Kontaktpunkte. So kann sie mehrere Wirbel auf einmal erreichen.
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Es gibt unterschiedliche Stimulationsformen und Programmierungsmöglichkeiten, die eine größtmögliche Personalisierung der Therapie erlauben. Ambulant kann sie bei Bedarf nachjustiert und optimiert werden.
Das Ziel der Operation ist die Schmerzlinderung, langfristig soll sie auch die Gabe von Schmerzmedikation und deren Nebenwirkungen reduzieren. Schließlich besteht eine Schwierigkeit von Schmerzpatienten darin, durch eine immer höhere Dosierung von schmerzstillenden Pharmazeutika auch immer stärkere Nebenwirkungen zu entwickeln. Im schlimmsten Fall kommen Organe zu Schaden. Die Beeinträchtigung reicht noch weiter. „Wenn wir Patienten mit hochdosierten Opioiden behandeln, dann bedeutet das in vielen Fällen neben der Belastung durch die chronischen Schmerzen deshalb auch, dass sie am Arbeits- und Sozialleben nur sehr eingeschränkt oder kaum noch teilnehmen können“, sagt Zeitler.
Aus dem Feldweg wird eine Schmerzautobahn
Als chronisch bezeichnet man einen Schmerz dann, wenn er seine eigentliche Funktion als Warnsignal des Körpers verloren und sich in eine eigene Krankheit verwandelt hat. Was die Neuronen im Rückenmark zunächst als akuten Schmerz beispielsweise nach einer Verletzung an das Gehirn weiterleiten, verselbständigt sich in der Chronifizierung. Denn je länger ein Schmerz andauert, umso schneller und leichter funktioniert die Weiterleitung des Signals im Rückenmark. Was einst ein Feldweg war, wird zur Schmerzautobahn ausgebaut, selbst kleine Auslöser kommen dann schnell und mit großer Wucht als Qual im Gehirn an.

Geeignet ist die Operation für Patienten, die unter chronischen Schmerzen beispielsweise nach einer Chemotherapie, aber auch nach Verletzungen oder in Folge einer Diabetes leiden.
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Patientinnen und Patienten, die für eine epidurale Rückenmarkstimulation infrage kämen, litten etwa an chronischen Rücken- und Beinschmerzen bei Wirbelsäulenerkrankungen. Oder sie sind von regionalen Schmerzsyndromen betroffen, zum Beispiel nach Bagatellverletzungen an Händen oder Füßen. Auch ehemalige Krebspatienten mit chemotherapiebedingten „brennenden Missempfindungen in den Extremitäten“ können profitieren; Ebenso Diabetespatienten mit einer diabetischen Polyneuropathie sowie Patienten mit einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit.
Manchmal bleiben Schmerzen auch dann bestehen, wenn der Auslöser wie ein Bandscheibenvorfall, eine Verengung der Herzkranzgefäße oder Beinschlagadern oder bestimmter Virusinfektionen lange abgeheilt oder behoben ist.
Auch hinter der Frau, die heute im Operationssaal auf dem Bauch liegt und während der OP ein Kribbeln an den betroffenen Schmerzarealen in den Beinen zurückmeldet, liegt ein jahrelanges Martyrium. Sie galt als austherapiert. Ihr Rücken ist noch nicht wieder zugenäht, da fließen deshalb schon Freudentränen. „Danke, danke“, stammelt sie. „Jetzt warten Sie erstmal, bis wir alles richtig eingestellt haben“, sagt Zeitler und greift nach dem Nahtmaterial. In ein paar Tagen aber wird sie das Lob annehmen. Ihre Patientin berichtet über eine Schmerzlinderung von mehr als 50 Prozent. Auch das Laufen sei ihr wieder ohne Qualen möglich.