Der Kreis Euskirchen reagiert auf strukturelle Probleme in der Notfallversorgung. Der neue Rettungsdienstbedarfsplan sieht ein Plus von 40 Prozent vor.
PlanungNeue Wachen und 50 zusätzliche Stellen für Rettungsdienst im Kreis Euskirchen

Ob nach Unfällen oder bei medizinischen Notfällen: Die Einsatzzahlen des Rettungsdienstes steigen kontinuierlich.
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Zu deutlichen Veränderungen wird es in den kommenden Jahren im Rettungsdienst kommen, wenn der Rettungsdienstbedarfsplan von Kostenträgern und Politik so abgesegnet wird, wie sich das Landrat Markus Ramers, Geschäftsbereichsleiterin Julia Baron und Martin Fehrmann, Leiter der Abteilung Gefahrenabwehr beim Kreis, vorstellen.
Hier wird es nicht um Schließungen oder Sparmaßnahmen gehen, sondern um ein deutliches Plus: mehr Rettungswachen, mehr Fahrzeuge, mehr Personal. Einen Ressourcenmehrbedarf von 40 Prozent hatte Baron bereits im vergangenen Jahr angekündigt. Nun konkretisierten sie, Ramers und Fehrmann, was das bedeutet: Zwei zusätzliche und zahlreiche neue Rettungswachen, neun zusätzliche Fahrzeuge, 50 zusätzliche Stellen.
Die Zahl der Einsätze im Kreis Euskirchen steigt und steigt
Die Kosten für den Rettungsdienst steigen bundesweit deutlich. Daher geht im Kreishaus niemand davon aus, dass das Euskirchener „Mehr von allem“ irgendwen bei der Bezirksregierung schocken dürfte.
Die gestiegenen Kosten gehen auch mit den deutlich höheren Einsatzzahlen einher: Zehn Prozent mehr sind es etwa im Vergleich zu 2017. 2023 (die Zahlen für 2024 liegen noch nicht vor) registrierte der Kreis 19.167 Einsätze in der Notfallrettung, 7872 für die Notärzte und 7873 Krankentransporte.
Wir werden die Notfallversorgung verbessern und in die Fläche bringen.
Konkrete Zahlen, wie sich die Schließung der Notaufnahme in Schleiden auf den Rettungsdienst ausgewirkt hat, liegen zwar noch nicht vor. Aber die Beobachtungen sind eindeutig: Die Zeiten, in denen Rettungswagen durch die weiteren Wege gebunden sind, sind deutlich länger. Zudem komme es, so Fehrmann, in den Notaufnahmen der Kliniken zuweilen zu „Staus“, so dass der Rettungsdienst warten muss, bis er seinen Patienten abgeben kann.
Dir Hilfsfristen werden im Kreis Euskirchen zu selten eingehalten
Wenn der Rettungsdienst gerufen wird, muss es schnell gehen. Binnen acht Minuten in der Stadt Euskirchen und zwölf Minuten in den anderen, ländlich geprägten Kommunen mit ihren langen Fahrtwegen und der geringeren Einsatzdichte müssen die Retter vor Ort sein. In 90 Prozent der Fälle jedenfalls. Davon ist der Kreis Euskirchen derzeit weit entfernt. In gerade einmal 63 bis 65 Prozent der Fälle schafft der Rettungsdienst dieses Zeitfenster. Am Ende eines Bedarfsplans sei das recht häufig der Fall, so Fehrmann. Doch er sagt auch klipp und klar: „Wir haben ein strukturelles Problem im Südkreis im Bereich der Grenzen.“
Daher ist die Marschrichtung für Ramers klar: „Wir werden die Notfallversorgung verbessern und in die Fläche bringen.“ Ja, das sei eine Kraftanstrengung. Doch auch durch neue Konzepte, so Ramers, werde die Notfallversorgung „moderner, schneller und besser“.
Diese neuen Standorte der Rettungswachen werden geplant
Pfeile auf eine Karte des Kreises zu werfen war nicht der Weg, die Standorte für Rettungswachen zu ermitteln. Stattdessen haben die sich aus komplexen Berechnungen ergeben, in die zahlreiche Aspekte wie Einsatzzahlen und Bevölkerungsentwicklung, aber auch der Bau von Seniorenheimen oder die Entwicklung von Gewerbegebieten Eingang gefunden haben.
Neue Wachen wird es in der Gemeinde Kall und der Stadt Bad Münstereifel geben. In Kall ist zwar seit einiger Zeit der zweite Mechernicher Rettungswagen stationiert, ein eigener Wachstandort ist es aber bislang nicht. Bad Münstereifel wird eine zweite Wache im Höhengebiet, vermutlich im Bereich Scheuerheck, erhalten.
Die bisherige Wache in Bad Münstereifel, von der Flut zerstört und aktuell in Containern beheimatet, erhält einen neuen Standort weiter nördlich in Richtung Iversheim. Die bisherige Wache Tondorf wird nach Blankenheim umziehen, die Marmagener in die Gemeinde Dahlem – voraussichtlich in den Bereich Schmidtheim. Die Wache Weilerswist, aktuell in Großvernich angesiedelt, wird in Richtung der Grenze zu Zülpich verschoben. Möglicherweise wird sie mit dem geplanten Feuerwehrgerätehaus kombiniert. In Euskirchen bleibt die Wache am Kreishaus bestehen, die zweite wird vom Schwalbenberg in Richtung Südstadt/Roitzheim umziehen.

Die geplanten Neuerungen im Rettungsdienst stellten Markus Ramers (v.l.), Julia Baron und Martin Fehrmann vor.
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Unverändert bleiben die Standorte Mechernich, Rescheid und Zülpich sowie zunächst Schleiden. Die dortige Wache ist am Brandschutzzentrum angesiedelt. Der Standort dürfte jedoch nicht in Stein gemeißelt sein, da der Kreis an einem Konzept für ein neues Gefahrenabwehrzentrum arbeitet. Aktuell werden dazu laut Baron noch Gutachten erstellt. Daher werde man sich zu einem potenziellen Standort noch nicht äußern.
Auch sind für die neuen Rettungswachen noch keine exakten Standorte festgelegt. Genauso wenig steht fest, ob neugebaut oder ein bestehendes Objekt gemietet wird. Da Neubauprojekte nicht von jetzt auf gleich zu realisieren sind, sind in diesem Fall laut Baron Interimslösungen mit Containern denkbar.
Neun zusätzliche Fahrzeuge sollen angeschafft werden
Elf Rettungswagen (RTW), sieben Krankentransportwagen (KTW) und vier Notarzteinsatzfahrzeuge (NEF) sind aktuell im Kreis im Einsatz. Ein zusätzlicher Rettungswagen kommt hinzu, dazu wird aller Voraussicht nach ein neues Mitglied in die Kürzel-Familie aufgenommen: Der ATW, ein Akuttransportwagen, von dem acht in Dienst gestellt werden sollen.
Ins neue Rettungsdienstgesetz des Landes, das aktuell im Entwurf vorliegt, wird dieses Fahrzeug wohl Eingang halten. An dessen Entwicklung hat der Kreis maßgeblichen Anteil: Unter dem Namen N-KTW (Notfall-Krankentransportwagen) ist dieses Konzept bereits im Rahmen eines Pilotprojekts im Einsatz.
Die Ausstattung des ATW wird zwischen der eines RTW und eines KTW liegen. Eingesetzt wird das Fahrzeug in erster Linie im Tagdienst und im „Graubereich“. Damit gemeint sind Notfälle, die nicht so zeitkritisch sind, dass sie ein Fall für den RTW sind. Fehrmann: „Eine Studie der Feuerwehr Köln hat ergeben, dass rund 60 Prozent der Rettungswagen-Einsätze etwas für den ATW wären, weil sie zeitnah innerhalb von 20 Minuten zu behandeln sind.“ Auch die Besetzung kann von der des RTW abweichen: Auf dem ATW können auch zwei Rettungssanitäter Dienst tun, während auf dem RTW Notfallsanitäter verlangt sind.
Im Rettungsdienst sollen 50 neue Stellen geschaffen werden
150 Einsatzkräfte (Vollzeitstellen) zählt der Rettungsdienst im Kreis aktuell. Beschäftigt sind die beim Kreis selbst sowie den Rettungsdienstpartnern DRK und Malteser. Sie sollen 50 neue Kollegen erhalten. Und das in Zeiten des Fachkräftemangels? Die Verantwortlichen wissen, dass gerade bei Notfallsanitätern – der höchsten nicht-ärztlichen Ausbildungsstufe im Rettungswesen – erheblicher Mangel besteht. Bei den Rettungssanitätern sei die Lage nicht so dramatisch – was für das ATW-Konzept spricht.
Dennoch, so Julia Baron: „Wir werden eine Ausbildungsoffensive bei den Notfallsanitätern starten.“ Aktuell sind sieben beim Kreis in der Ausbildung. Weitere sowie Rettungssanitäter will man künftig selbst und gemeinsam mit den Partnern ausbilden.
Der Zeitplan und die Kosten sind noch unklar
Wenn der Rettungsdienstplan beschlossen ist, geht es an die Umsetzung. Die wird Jahre in Anspruch nehmen. Wie viele, weiß keiner.
So sollen etwa die Fahrzeuge so schnell wie möglich ausgeschrieben werden. Doch nach deren Abschluss rollen sie nicht binnen weniger Wochen durch den Kreis – 24 Monate Lieferzeit müssen derzeit eingeplant werden.
Angesichts der Dimensionen ist klar, dass es sich insgesamt um ein kräftiges Millionenprojekt handelt. Über konkrete Zahlen mögen Ramers, Baron und Fehrmann nicht spekulieren. Wie unseriös das wäre, macht Fehrmann am Beispiel der Beschaffungskosten deutlich: Rund 300.000 Euro haben die jüngst beschafften RTW gekostet, etwa 200.000 Euro die KTW.
In diesem Markt sind nicht unerhebliche Preisschwankungen üblich – und in welchem Preissegment der ATW liegen wird, ist noch gar nicht klar. Ganz erhebliche Preisunterschiede sind im Immobilienbereich zu erwarten. Und was davon am Ende aus der Kreis-Schatulle gezahlt werden muss, ist ebenso offen – das hängt vom Ergebnis der Verhandlungen mit den Kostenträgern ab.
Das Verfahren
Alle fünf Jahre ist ein Bedarfsplan für den Rettungsdienst zu erstellen. 2012 war das der Fall, 2017 auch. Die neue Ausgabe ist nun seit drei Jahren überfällig. Das hat Gründe: Corona-Pandemie und die Flut haben in der Gefahrenabwehr zum einen so viele Ressourcen beansprucht, dass dieses komplexe Projekt geschoben werden musste. Zum anderen hat dies auch Erkenntnisse gebracht, die in das Werk eingearbeitet werden.
Fast fertig war der Plan, als im vergangenen Jahr die Nachricht von der Schließung der Notaufnahme im Schleidener Krankenhaus erneut alles veränderte. Also wurde das Paket wieder aufgeschnürt, um deren Auswirkungen, gerade im Südkreis, einzubeziehen.
Einsehbar ist der Entwurf des Rettungsdienstbedarfsplans derzeit noch nicht. Im nichtöffentlichen Teil des Kreis-Sozialausschusses wurde er den Politikern bereits vorgestellt.
Die Verhandlungen mit den Kostenträgern stehen in den kommenden Wochen an. In erster Linie sind das die Krankenkassen, aber auch etwa die Berufsgenossenschaften zählen dazu. Im Kreishaus geht man nicht davon aus, dass die bis zum Kreisausschuss und -tag im Juli abgeschlossen sind. Daher wird es zu dem Thema voraussichtlich Sondersitzungen geben.