Leverkusen hatte junge Leute aus der polnischen und der finnischen Partnerstadt eingeladen, um auch über Jugendbeteiligung und Politik in Europa zu diskutieren.
JugendstadtratSchüler aus Leverkusen, Oulu und Ratibor kämpfen für Europas Zukunft

„Fight the roots“ - bekämpfe die Wurzeln, steht auf dem Plakat zum Thema Rechtsextremismus. Am Mikrofon Michael Florek aus Ratibor
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Wenn diese jungen Menschen, die sich am frühen Donnerstagmorgen im Leverkusener Ratssaal versammelt haben, ein Querschnitt durch die Gesellschaft sind, dann muss man sich um die Zukunft der Europäischen Union keine Sorgen machen. Zehn Jugendliche aus Leverkusen und jeweils fünf aus der polnischen Partnerstadt Ratibor und der finnischen Partnerstadt Oulu haben sich drei Tage lang zum „Jugendstadtrat International“ getroffen. Gemeinsam haben sie Leverkusen erkundet und sich in Workshops Gedanken zu drei großen Themen gemacht.

Zukunftsängste der Schüler: Schlechte Bildung, Druck in der Schule und künstliche Intelligenz übernimmt alle Jobs.
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Im ersten ging es um die Art der Jugendbeteiligung in den Städten, hier wurden schnell Unterschiede deutlich: In Ratibor und Oulu gibt es gewählte Jugendparlamente, die regelmäßig tagen, in Leverkusen ist der Jugendstadtrat bislang ein jährliches Einzelevent. „Aber das wichtigste ist, dass unsere Stimme wahrgenommen wird“, sagt ein Leverkusener Junge bei der Vorstellung der Ergebnisse. „Gehört zu werden, ist schon schwer genug.“ Das allerdings schaffen die Jugendlichen im Ratssaal hervorragend: Mit überzeugenden Botschaften, hervorragend auf Englisch vorgetragen. Einzig Oberbürgermeister Uwe Richrath ließ sich bei seiner Begrüßung übersetzen.
Das Wichtigste ist, dass unsere Stimme wahrgenommen wird. Gehört zu werden ist schon schwer genug
Sehr deutlich hört man auch Michael Florek aus Ratibor. Am Mikrofon gibt er bei der Vorstellung seiner Projektgruppe ein flammendes Statement zum Themenkomplex „Rechtsruck in Europa“ ab: „Wir können die rechten Parteien in Europa bekämpfen, aber sie werden immer wieder kommen, wenn wir nicht die Wurzeln bekämpfen, die sie stark machen“, ruft der 16-Jährige den anwesenden Politikern im Ratssaal und den zugeschalteten in Polen und Finnland zu.

Neue Freundschaften: Eliel Hintsala (l) und Lempi Forsblom (r) aus Finnland, die mit Pawel Kaptur und Witold Piasecki aus Polen.
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„Die Menschen haben Angst vor den Folgen der Immigration, vor Arbeitslosigkeit, dazu kommt mangelnde Bildung. Die Situation kann nicht warten.“ Lauter Applaus schließt seine Rede ab. In seiner polnischen Heimat ist er als linker Aktivist tätig, sagt Florek im Anschluss. „Wir haben in Ratibor eine deutsche Minderheit, ich habe gesehen, wie sie in den acht Jahren Rechtsregierung diskriminiert wurden. Es ist die Aufgabe der Politiker, für uns Jugendliche eine bessere Zukunft zu schaffen.“
Wir können die rechten Parteien in Europa bekämpfen, aber sie werden immer wieder kommen, wenn wir nicht die Wurzeln bekämpfen, die sie stark machen
Der dritte Komplex „Zukunft in Europa“ sei derjenige gewesen, um den sich die Teilnehmenden die meisten Gedanken gemacht haben, erklären sie. Naheliegend ist die Forderung nach Zusammenhalt im Kampf gegen die Klimakrise und für ein friedliches Zusammenleben in der EU. Aber auch andere Schwerpunkte werden genannt: Bessere internationale Verknüpfungen im Zugverkehr, die Bewahrung des kulturellen Erbes der einzelnen Länder. „Wir müssen wir selbst bleiben“, sagt ein Teilnehmer aus Finnland. „Aber wir müssen zusammenhalten, um die Konsequenzen der Klimakrise einzudämmen, das wird nicht einfach.“

Der Zeitstrahl der Geschichte des Europarats geht über die gesamte Länge der Ratsbank.
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Es wäre zu erwarten gewesen, dass sich nach der Debatte alle Jugendlichen wieder in ihre Reisegruppen aufteilen. Das Gegenteil ist der Fall. Viele diskutieren angeregt mit den anwesenden Politikern oder in gemischten Gruppen untereinander. Wie Eliel Hintsala und Lempi Forsblom aus Finnland, die mit Witold Piasecki und Pawel Kaptur aus Polen zusammenstehen. „Über die verpasste Schulzeit machen wir uns später Gedanken, es war so eine einzigartige Möglichkeit, hierherzukommen und sich mit Jugendlichen aus anderen Ländern auszutauschen. Es hat meine Perspektiven erweitert“, sagt die Finnin Forsblom.
Über die verpasste Schulzeit machen wir uns später Gedanken, es war so eine einzigartige Möglichkeit, hierherzukommen und sich mit Jugendlichen aus anderen Ländern auszutauschen
„Wir haben gesehen, was uns unterscheidet, aber auch sehr viele Gemeinsamkeiten gefunden.“ Und am Ende ist klar: „Die weltweite Situation betrifft uns alle, wir müssen zusammenhalten für ein starkes Europa gegen Trump, Putin und China“, ergänzt Piasecki. „Es hat sich hier sehr familiär angefühlt, ich habe wundervolle Menschen kennengelernt.“ Diese Freundschaften sollen weiter bestehen – natürlich haben die Jugendlichen sich direkt über soziale Medien verknüpft und wollen im Kontakt bleiben: für internationalen Austausch und die Rechte der Jugendbeteiligung.
Und vielleicht treffen sie sich alle im kommenden Jahr in Oulu wieder. Dann ist die finnische Partnerstadt Kulturhauptstadt Europas. „Aus der demokratischen Perspektive ist es sehr wichtig, dass Jugendliche in Politik involviert sind“, sagt Bürgermeister Ari Alatossava in einer Videobotschaft. „Danke, dass ihr Euch die Zeit dafür genommen habt. Ich lade Euch alle ein, 2026 nach Oulu zu kommen.“
Jugendstadtrat international
Seit 2022 findet einmal in Jahr in Leverkusen der Jugendstadtrat statt. An drei Projekttagen beschäftigen sich die Jugendlichen mit politischen Themen, diskutieren diese analog zur großen Politik in Parteigremien, Fachausschüssen bis zur abschließenden Ratssitzung. Anträge, die hier eine Mehrheit bekommen, werden in die Gremien des Leverkusener Stadtrates weitergeleitet.
In diesem Jahr hat die Stadtverwaltung sich entschlossen, den Jugendstadtrat wegen der Kommunalwahl im September nicht wie üblich im Oktober stattfinden zu lassen, sondern das Sonderformat „Jugendstadtrat International“ vor Ostern veranstaltet. Auch im kommenden Jahr soll der Jugendstadtrat wieder im Frühling stattfinden, dann aber wieder im gewohnten Format.