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Interview Reiner Hilken„Ich habe den DFB-Pokal mit Callis Auto aus Leverkusen zurück zum DFB gefahren“

Lesezeit 4 Minuten
Reiner Hilken im Jugendzentrum Bunker.

Reiner Hilken im Jugendzentrum Bunker

Ein Interview mit Reiner Hilken, dem Leiter des Jugendzentrums Bunker in Wiesdorf, der mit 66 Jahren in den Ruhestand geht.

36 Jahre leitete Reiner Hilken das Jugendzentrum Bunker in Wiesdorf. Mit 66 Jahren geht er jetzt in den Ruhestand. Im Gespräch mit dem „Leverkusener Anzeiger“ blickt er zurück.

Reiner Hilken, du wirst am Donnerstag als Chef im Jugendzentrum Bunker in Wiesdorf nach 36 Jahren verabschiedet.

Ja. Ich bin allerdings schon länger mit dem Haus verbunden. Mein Vater Günter hat den Kriegsbunker 1969 mit vielen, vielen Leuten zum Jugendzentrum umgebaut. Mein Vater war ziemlich sozialistisch, ein 68er. Er konnte mit der Gitarre eine Wärme erzeugen und er war ein Organisationstalent, ein Schnorrer ersten Grades, wenn es darum ging, beim Bayer oder sonst wo an Sachen für den Bunker zu kommen.

Der Bunker ist ein Kriegsbau, aber er muss auch Qualitäten haben, die schicken Neubauten fehlen?

Ja. Kinder und Jugendliche haben nicht einmal nach Fenstern gefragt, anders als die Eltern. Man fühlt sich geschützt.

Hier gibt’s auch keinen Handyempfang.

Glücklicherweise! Außer mit einem dienstlichen Zugang. Das gibt uns die besondere Situation, Kinder- und Jugendarbeit ohne Beeinflussung durchs Handy zu machen.

Die Gnade des dicken Betons.

Ich sehe es so. Ich habe schon einige Handysüchtige erlebt, die mussten jede Minute auf ihr Handy gucken, wenn nicht öfter. Das bringt hier im Bunker nichts.

Frage an den erfahrenen Sozialarbeiter: Ist das Handy die heutige Geißel der Kinder?

Es ist eine der Herausforderungen: Die wegbrechenden Kompetenzen bei den Eltern, viele kochen zum Beispiel nicht. Und viele haben verlernt, Zeit mit den Kindern zu verbringen. Die Generation hängt ja oft auch selbst am Handy. Deshalb haben wir begonnen, nicht nur Freizeit mit den Kindern zu gestalten, sondern mit Eltern und Kindern gemeinsam. Warum können das die Eltern nicht selbst? Zusätzlich leiden viele Familien unter dem finanziellen Druck. Tatsächlich ist die Mediennutzung gefährlich, also das Handy, Handysucht ist gar nicht so selten.

Durch die Abschirmung des dicken Bunkerbetons hast du die Probleme nicht, würdest du empfehlen, Handys in Schulen zu verbieten?

Ja. Keine Frage, je nach Alter, unbedingt. Man muss sich mal mit den Inhalten im Netz beschäftigen, die gewaltvolle Sprache der Rapper zum Beispiel ist ein Problem, wenn das die Jugendlichen übernehmen: Sowas wie: „Ich knall’ Dich ab“ und Mädchen „Bitch“ zu nennen.

Was waren die Probleme, als du angefangen hast?

Damals hatten wir viele Albaner und Kinder aus der Türkei, die zwischen den Kulturen lebten. Hier im Bunker hatten sie die Freiheit - außerhalb dieses Raumes lebten sie überhaupt nicht gemäß unserer gesellschaftlichen Vorstellungen, sondern die „Werte“ ihrer Eltern.

Daran scheint sich wenig geändert zu haben

Wir haben immer noch ein Problem, unsere Werte zu transportieren.

Als Reaktion auf das, was den Familien heutzutage fehlt, habt ihr begonnen, für die Kinder zu kochen.

Das war vor 19 Jahren. Wir können leider nicht überall kochen, aber es gibt jetzt an 13 Orten in der Stadt täglich was zu essen für je 20 bis 25 Kinder. Die Kinder hatten Hunger, aber mindestens so wichtig ist ihnen das gemeinsame Sitzen am Tisch, haben wir gemerkt. Zu Hause ist das ja oft verloren gegangen. Das Projekt heißt „Kindermahlzeit“. Für ungefähr die gleiche Zahl Jugendlichen ist abends auch noch etwas zu essen da.

Die Musik hat hier immer eine große Rolle gespielt. Konzerte, Proberäume…

Man kann hier was lauter sein. Wir haben hier bei uns die Arbeitsgemeinschaft Rockmusik (ARO) gegründet, mit großen Rock-Open-Konzerten am Schluss im Forum. Ich spiele Schlagzeug, mein Bruder Gitarre (Bruder Günter Hilken war Currenta-Chef bis 2021 und hat als Discjockey die legendären Bunker-Diskos mit beschallt, Anm. d. Red.).

Jugendzentrum Bunker, Abschiedskonzert für Reiner Hilken. Foto: Ralf Krieger

Jugendzentrum Bunker: Reiner Hilken steht beim eigenen Abschiedskonzert am Mischpult.

Bist du eigentlich schwerhörig nach den Hunderten Konzerten, bei denen du am Mischpult gestanden hat?

Nein, meistens nicht.

Du hast auch immer viel mit Fußball zu tun gehabt.

Wir haben hier im Bunker 1994 das erste Fanprojekt gegründet. Mit Andreas Rettig und Calli. Später ist das Fanprojekt eigenständig geworden. Da gibt’s eine Geschichte, ich habe den DFB-Pokal 1994 mit Callis Auto aus Leverkusen zurück zum DFB nach Frankfurt gefahren. Das muss man sich heute mal vorstellen! Der Calli hatte schon ein Autotelefon.

Wie überleben Jugendzentren, wenn der Stadt das Geld ausgeht?

Schwierig. Aber sollen wir alles kaputtgehen lassen, nur weil jetzt zwischenzeitlich das Geld knapp ist? Das muss wohl über Kredite gehen. Zu kritisieren ist, dass Teile der Verwaltung gewachsen sind, aber nicht hier an der Ebene, wo konkret mit den Kindern gearbeitet wird.

Der Bunker steht in der Kolonie III, wie hat sich die Siedlung verändert?

Die alteingesessenen Bayer-Leute hatten irgendwann Kohle und sind nach Meckhofen gezogen, oder wie die Siedlungen am Rand heißen. Heute haben wir eine andere Einwohnerschaft, wir sind hier in Wiesdorf und haben Kinder und Jugendliche, die aus Bedarfslagen kommen.

Wie war das damals, als der damalige Bayer-Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers hier öfter im Bunker zu Gast war?

Neben dem durfte ich mal bei einer Charityveranstaltung sitzen. Er war wirklich interessiert an unserer Arbeit, konnte zuhören, er ist dann öfter in den Bunker gekommen, und hat unser Projekt Kindermahlzeit unterstützt. Er hat hier im Bunker auch mit den Kindern gegessen. Ich glaube, er hatte auch was davon.

Hat der nächste Vorstand das fortgeführt?

Nein, leider hat der abgesagt.

Du hast unendlich viele Kinder und Jugendliche kennengelernt.

Ja, man entwickelt ein Gefühl für die Kinder und ich bilde mir ein, ich sehe früh, wie schwer der Weg eines Kindes oder eines Jugendlichen mal werden wird. Natürlich versuchen wir da auch noch was zu bewegen, aber es ist manchmal schwer.

Deine Frau Daniele und du habt euch hier kennengelernt und ihr arbeitet seither zusammen.

Ja, sie hat mich auf ihre Fete eingeladen, vor 48 Jahren. Ich war damals der süße Sänger in einer Band.

Aha, aus dem Grund betätigt man sich ja letztlich als Rockmusiker.

Es gibt übrigens viele Bunker-Paare, die Beziehungen halten oft lange.

Du willst als Ehrenamtler im Trägerverein weitermachen, dem Bunker bleibt die Familie Hilken erhalten …

Ja, es ist so: Meine Schwiegertochter Marina wird neue Leiterin im Haus, das so viel mit unserer Familie zu tun hat. Und meine Mutter kocht mit 90 Jahren noch ehrenamtlich für die Kinder.

Am Donnerstagabend um 18.30 Uhr gibt es im Bunker einen offiziellen Abschied für Reiner Hilken.