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Vision String QuartetBeim „Start“-Festival in Leverkusen schrubben vier Streicher, bis es knallt

Lesezeit 3 Minuten
„Vision String Quartet“

Das „Vision String Quartet“ begeistert beim „Start-Festival“ mit Spiel ohne Notenblätter und einem Repertoire zwischen Klassik, Gegenwart und Grenzüberschreitung.

Das „Vision String Quartet“ spielt in Leverkusen. Kammermusik mit existenzieller Wucht.

Vier junge Männer bringen am Freitagabend starke Präsenz ins Erholungshaus. Das Prélude – Vorspiel – von Ernst Bloch beginnt – ein kurzes Stück, das mehr andeutet, als ausspricht. Bloch war ein Komponist, der sich mit spirituellen Themen beschäftigte. Die Musik klingt, als würde jemand in sich hineinhören, als würde er im Innersten eine Frage stellen, auf die es vielleicht keine Antwort gibt. Gespielt wird auswendig. Keine Notenpulte, keine Blätter zwischen Spieler und Musik. Das verändert alles. Die Kommunikation zwischen den Künstlern lebt noch mehr von der Bewegung und von Blickkontakten.

Höhepunkt: Schostakowitsch – Ein Requiem im Jetzt

Nach dem Vorspiel folgt Dmitri Schostakowitschs achtes Streichquartett. Das ist der Höhepunkt des Konzerts, jetzt wird es ernst. Er schrieb das Stück 1960 während eines Aufenthalts in Dresden, wo er mit der Zerstörung durch den Zweiten Weltkrieg konfrontiert war. Zugleich war er ein Künstler im Zwiespalt mit dem sowjetischen System – seine Musik stand unter ständiger politischer Beobachtung. Der Komponist wurde letztlich von Stalin persönlich abgekanzelt.

Dieses Quartett gilt vielen als autobiografisches Requiem: eine Art musikalischer Abschiedsbrief an sich selbst. Man hört das Klopfen an seiner Tür. Dann immer das berühmte „DSCH“-Motiv – eine Tonfolge, die seinen Namen in Noten übersetzt (D–Es–C–H) – diese wenigen Töne durchziehen das ganze Werk wie eine Signatur. Der Komponist zitiert in den einzelnen Sätzen auch frühere Werke von sich selbst. Man hört Schreie, Marschmusik, Glockenklänge – es ist, als würde ein Leben im Schnelldurchlauf vorüberziehen. Zwanzig Minuten, in denen so viel passiert. Eindrücklich. Die vier Musiker verwandeln sich in einen einzigen Klangkörper, der atmet, stockt, aufbegehrt. Keine Note ist bloß Effekt – alles hat Bedeutung.

Grieg, der Klangdichter aus dem Norden in Leverkusen

Nach der Pause dann was ganz anderes: Edvard Griegs einziges Streichquartett in g-Moll, Opus 27, ist ein ungewöhnliches Werk voller Energie, Melancholie und nordischer Farben. Seine norwegische Herkunft ist in diesem Werk allgegenwärtig – durch rhythmische Eigenheiten und volksliedhafte Melodik. Das „Vision String Quartet“ taucht tief in diesen expressiven Kosmos ein: Die Musik klingt nie folkloristisch-naiv, sondern leidenschaftlich, fast stürmisch. Die vier Stimmen verflechten sich zu einem dichten Streichgeflecht, das zwischen Aufruhr, Rückzug und unbändiger Spielfreude changiert. Der zweite Satz, überschrieben mit „Andante espressivo“, bildet das lyrische Zentrum: Es ist ein ruhiges, aber emotional aufgeladenes Stück, das in seiner Zartheit beinahe etwas Zerbrechliches hat. Warm und persönlich. Das passt zum Zukunftsdrang der Vier. Als Zugabe wird dann noch demonstriert, was passiert, wenn nicht gestrichen, sondern kräftig gezupft wird: „Samba“ vom aktuellen Album entlässt die Gäste ins Wochenende.

Das „Vision String Quartet“ zeigt, wie lebendig, mutig und gegenwartsnah Kammermusik sein kann, wenn sie sich nicht hinter Traditionen versteckt, sondern sich der Welt stellt. Die vier Musiker spielten mit offenen Sinnen, wachem Verstand und großer emotionaler Bandbreite.