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Interview

Correctiv-Journalist
„Erstaunlich, dass Frau Baum Martin Sellners völkischen Hintergrund ignoriert“

Lesezeit 6 Minuten
Blick auf ein Gästehaus in Potsdam:

Das Treffen im Gästehaus in Potsdam wurde vom Medienhaus Correctiv öffentlich gemacht.

„Correctiv“-Mitarbeiter Marcus Bensmann spricht im Interview über das Potsdamer Geheimtreffen und die Rolle von Simone Baum aus Engelskirchen.

Das Recherche-Netzwerk „Correctiv“, für das auch Marcus Bensmann arbeitet, berichtete Anfang 2024 über ein Geheimtreffen von Rechtsextremisten in Potsdam. Mit dabei war auch die Engelskirchenerin Simone Baum, die im Interview mit dieser Zeitung von einer „Hexenjagd“ gegen sie im Nachgang zu dem Treffen sprach. Andreas Arnold sprach mit Marcus Bensmann über das Treffen und darüber, wie er die Äußerungen von Simone Baum einordnet.

Herr Bensmann, in einem Gespräch über das Treffen von Potsdam und dessen Folgen hat die Engelskirchenerin Simone Baum als Teilnehmerin unter anderem gesagt, dass es im Zusammenhang mit dem Begriff der „Remigration“, anders als vielfach behauptet nicht um Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft gegangen sei, sondern um „integrationsunwillige Ausländer“. Was dachten Sie, als Sie das gelesen haben?

Auch über ein Jahr nach dem Treffen ist es erstaunlich, dass Frau Baum den völkischen Hintergrund von Martin Sellners Ethnopluralismus und dessen „Remigrations“-Konzept, das sehr wohl auch deutsche Staatsbürger umfasst, offenbar ignoriert. Drei Gerichte haben derartige politische Zielsetzungen als verfassungswidrig eingestuft. Das Recherche-Netzwerk „Correctiv“, für das ich arbeite, hat seither mehrfach auf den völkischen Hintergrund und die einschlägigen Gerichtsurteile hingewiesen, zuletzt hier. Es mag sein, dass Frau Baum den völkischen Hintergrund von Sellners Ausführungen zunächst nicht erkannte, aber warum noch heute? Bemerkenswert ist auch, dass sie offenbar kein Problem darin sieht, an einem Treffen teilgenommen zu haben, zu dem der rechtsextreme Netzwerker Gernot Mörig eingeladen hatte, bei dem ein Rechtsextremer wie Sellner einen „Masterplan“ vorstellte und ein bekennender Rassist wie Eric Ahrens einen Vortrag hielt.

Marcus Bensmann

Marcus Bensmann arbeitet für das Recherchenetzwerk „Correctiv.“

Sie hätten ein Jahr nach dem Potsdamer Geheimtreffen etwas anderes erwartet?

Unsere Recherche hat die Teilnehmer der Veranstaltung wohl mit den Fingern in der völkischen Keksdose erwischt, die Krümel noch auf dem Hemd. Seither tun sie aber so, als wäre nichts geschehen, und das alles sei nur ein harmloses Stelldichein gewesen. Das ist bedauerlich.

Können Sie sagen, wie Simone Baum nach Potsdam eingeladen wurde und welche Rolle sie dort spielte? Im Interview ist sie die Antwort darauf schuldig geblieben.

Uns liegen zwei Einladungen zu dem Treffen vor, erstellt auf dem Briefpapier des Düsseldorfer Forums. Die erste Einladung unterschrieben haben der rechtsextreme Aktivist Gernot Mörig und der Unternehmer Christian Limmer, die zweite nur Mörig. Für die Teilnahme wurde eine Gebühr von 5000 Euro verlangt. In der zweiten Einladung kündigt Mörig den rechtsextremen Aktivisten Martin Sellner an, der „ein Gesamtkonzept im Sinne eines Masterplans“ vorstellen werde. Also das Wort „Masterplan“ stand in der Einladung.

Was musste „Correctiv“ nach der Berichterstattung per Gerichtsurteil zurücknehmen?

Der Staatsrechtler und AfD-Anwalt Ulrich Vosgerau klagte im Februar 2024 gegen uns wegen der Wiedergabe von drei Nebenaspekten, die vor allem seinen Vortrag betrafen. Er verlor die Klage zu zwei Dritteln, einen Nebensatz haben wir geändert.

Welcher Nebensatz war das?

Bei dem Nebensatz ging es um die Erfolgsaussichten von Protestschreiben wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei der Briefwahl, und inwiefern Erfolgsaussichten von der Menge der Beschwerde abhängen. Entscheidend ist jedoch: Vosgerau klagte nicht gegen unsere Darstellung, dass Sellner auf der Veranstaltung die „Remigration“ auch für „nicht assimilierte Staatsbürger“ vorgeschlagen und in diesem Zusammenhang über „Anpassungsdruck“ wie „maßgeschneiderte Gesetze“ als „Jahrzehnteprojekt“ gesprochen hat. Sondern eben nur gegen Nebenaspekte in dessen Vortrag.

Welche sind das?

Auch die neuen anhängigen Klagen Vosgeraus und Mörigs zielen nicht auf die Zitate in unserem Text, sondern lediglich auf die Einordnung des Begriffs „Remigration“, der auch Staatsbürger im Fokus hat. So verhielt es sich im Übrigen auch mit den Klagen gegen andere Medien, die über unsere Recherche berichtet hatten. Ein zentrales Thema Sellners in Potsdam war in der Tat das Thema Remigration.

Simone Baum hat bestätigt, dass der Begriff fiel. Sie ordnete ihn aber nicht ein. Was steckt nach „Correctiv“-Recherchen hinter Remigration?

Frau Baums Antwort auf Ihre Frage zur„Remigration“ ähnelt auffallend den Schriftsätzen der Anwälte, die uns verklagen. Zufall? Dabei ist es gar nicht so kompliziert. „Remigration“ ist ein Tarnbegriff der Neuen Rechten. Darin stecken die Dämonen der völkischen Ideologie. Remigration zielt auf die millionenfache Vertreibung von Menschen aus unserem Land, unter ihnen auch deutsche Staatsbürger. Vor Gericht streiten wir nun vor allem darum, welchen Namen wir diesen Dämonen geben können. Was Mörig und Sellner unter Remigration verstehen, haben sie selbst in Potsdam so gesagt, wie wir es in unserer Recherche zitiert haben.

Und das war was?

Der Einladende, Gernot Mörig, sagte, die „Remigration“ entscheide, „ob wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht“. Sellner sprach von der „Remigration“ für „nicht-assimilierte Staatsbürger“, über „Anpassungsdruck“ wie „maßgeschneiderte Gesetze“ als „Jahrzehnteprojekt“. Dies geschieht, um die „ethnische Wahl“ so zu verhindern. Diesen neuen Kampfbegriff der völkischen Ideologie beschreibt Sellner so: „Nicht nur, dass die Fremden hier leben. Sie wählen auch hier.“

Was bedeutet das?

Sellner geht es nicht nur um Einzelfälle, sondern pauschal um Millionen Menschen, darunter auch Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Das wurde in Potsdam gesprochen, und bisher klagte keiner gegen diese Aussagen. Nur wenige Wochen nach dem Potsdam-Treffen erläutert er seine Thesen in einem Video der rechtsextremen Zeitschrift „Compact“. Dort nennt er die Zahl von sechs Millionen „nicht assimilierten Staatsbürgern“, für die eine Politik der „Remigration möglicherweise“ infrage käme.

Hat nach Ihrer Berichterstattung und den vielen Protesten im Land ein Umdenken stattgefunden?

Das Ziel der Recherche war nicht, Demos zu organisieren, sondern zu zeigen, was selbst ernannte Bürgerliche, Rechtsextreme und AfD-Funktionäre hinter verschlossenen Türen so bereden. Das Wort ist heute nicht mehr von der völkischen Ideologie zu trennen. Es ist der Funktionsbegriff der völkischen Ideologie, die von den dem Trugbild der „Homogenität“ ausgeht, von der – so schreibt es der Kronjurist der Nationalsozialisten, Carl Schmitt – „das Heterogene“ ausgeschieden oder vernichtet werden müsse. Hier liegt der Zivilisationsbruch. Sellners Ideologie fußt auf den Ideen von Carl Schmitt.

Die völkische Ideologie ist das Problem?

Ein Topos dieser Ideologie sind Untergangsfantasien. Deutschland stand im 20. Jahrhundert jedoch nur einmal vor dem Untergang, nämlich als völkische Politiker die Macht ergriffen. Und daher liegt die AfD-Vorsitzende Alice Weidel auch falsch. Adolf Hitler war kein Kommunist, sondern ein völkischer Ideologe. Nach unserer Recherche sollte niemand mehr sagen können, er habe es nicht gewusst.

Simone Baum berichtet, dass sie nach Potsdam bedroht wurde. Was ist mit Ihnen?

Fühlen Sie sich sicher? Die völkische Ideologie, die wir in der Recherche aufgezeigt haben, ist eine Gefahr für die liberale Demokratie, in der wir leben dürfen. Bis heute stemmt sich ein breites Spektrum von den rechtsextremen Rändern bis leider tief in das sogenannte gesittete Bürgertum mit viel Wut gegen die Erkenntnisse der Recherche, gegen „Correctiv“ und seine Mitarbeitenden. Da bleiben Bedrohungen nicht aus. Derer sind wir uns bewusst, und wir stellen uns ihnen.