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AlkoholDiese Oberberger kennen den Ausweg aus Sucht

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Drei Glühweinbecher werden angestoßen.

Ein Glühwein nach Feierabend, ein Glas Sekt unterm Christbaum: Alkoholkonsum prägt die Geselligkeit der Festtage.

Die Festtage sind eine besondere Herausforderung für Suchtkranke. Selbsthilfegruppen helfen beim Ausstieg.

Der Glühwein beim Wintergrillen, die Weihnachtsfeier in der Firma, der Sekt zu Silvester und gleich danach der Karneval –   in den nächsten Tagen und Wochen wird gefeiert, was das Zeug hält. Für die meisten gehört Alkohol ganz selbstverständlich dazu. Wer sich ausklinkt, gilt schnell als Spaßbremse. Peter Werner kennt das. Doch für ihn wäre der Ouzo nach dem Essen, das Feierabendbier fatal.

Allzu viel steht für den 58-Jährigen auf dem Spiel: Ehe und Familienleben, Gesundheit und Zufriedenheit. „Ein Leben ohne Angst, ohne ständige Lügen, ohne den Klammergriff des Alkohols“, das alles ist für ihn nicht selbstverständlich. Erst seit drei Jahren, nach fünf erfolglosen Entziehungskuren und einer Langzeitreha ist er trocken. Und ist überzeugt: „Die Gruppe gibt mir die Kraft, dass es so bleibt.“

Zwei Männer an einem Tisch.

Diskretion ist oberste Pflicht bei den Treffen, die Lothar Franzkowiak (l.) und Peter Werner in Dieringhausen leiten.

Gemeint ist die Begegnungsgruppe Dieringhausen vom „Blauen Kreuz“, die sich   jeden Montag im evangelischen Gemeindehaus trifft. Rund 20 Männer und Frauen sind es an diesem Abend. Seit einem Jahr leitet Werner die Gruppe, er möchte seine Erfahrungen weitergeben. Dass er damit ein Vorbild ist, stärkt ihn. Der Abend beginnt mit einem Lied und einem Gebet, nicht alle beteiligen sich. „Das müssen sie auch nicht“, betont Lothar Franzkowiak. „Der Orientierung am christlichen Glauben ist keine Voraussetzung, jeder kann kommen. Wichtig ist uns, in der Krankheit zu helfen.“

Der 78-Jährige weiß, wovon er spricht: 35 Jahre lang hat der Alkohol auch sein Leben bestimmt. „Ich konnte nicht nach Köln zur Arbeit fahren, ohne am Rasthof Aggertal etwas zu trinken. Und ich bin abends betrunken nach Hause gefahren“, erinnert er sich. „Ich war eine Zeitbombe.“ Seit 23 Jahren ist er trocken.

Jeder kann von sich erzählen, niemand muss. Aber früher oder später kommt doch alles auf den Tisch, oft unter Tränen.
Peter Werner über die Selbsthilfegruppe

Jeder und jede hier hat eine eigene Geschichte zu erzählen, die in die Abhängigkeit führte: Einsamkeit, schwere Lebenskrisen, aber auch schlicht die alltägliche Gewohnheit, wie bei Peter Werner: Als Kind am Glas genippt, als Azubi zum Bierholen geschickt, die Selbstverständlichkeit, mit der alle im Umfeld Alkohol tranken. „Man muss so auf die Schnauze fallen, dass es nicht mehr weiter geht“, hat er erkannt. Lange, zu lange habe er sich eingeredet: „Ich bin doch kein Alkoholiker.“

In Dieringhausen bilden sich nach der Eröffnungsrunde Kleingruppen. Da fällt es leichter, sich zu öffnen. „Jeder kann von sich erzählen, niemand muss“, beruhigt Werner. „Aber früher oder später kommt doch alles auf den Tisch, oft unter Tränen.“ Wenn es so weit ist, gebe es an diesem Abend kein anderes Thema in der Kleingruppe, „bis alles gesagt ist.“   Schuldgefühl und Scham kommen zur Sprache. „Besonders Frauen leiden darunter, wie sie sich im Rausch verhalten, wie sie Kinder vernachlässigt haben“, weiß Franzkowiak. „Männer dagegen tun sich schwer, überhaupt ihre Gefühle zu äußern.“ Was hier besprochen wird, ist absolut vertraulich, es bleibt in der Gruppe.

Begleitung ist willkommen in Dieringhausen

Partnerinnen und Partner sind mehr als willkommen: Der Weg zur Abstinenz gehe mit so einschneidenden Veränderungen einher, dass er besser gemeinsam gegangen wird, glaubt Franzkowiak. In Dieringhausen kommen immer wieder Neue dazu, auch an diesem Abend. Es sind immer häufiger jüngere und mehrfach Abhängige, die außer Alkohol verschiedene Drogen konsumieren. „Da sind wir dann als Ehrenamtliche manchmal überfordert“, stellt Werner fest.

„Niemand wird verurteilt.“ Auch nicht, wer mit Fahne zum Treffen erscheint oder auf sein Wochenendbier besteht. „Besser, er geht in die Gruppe als in die Kneipe. Bei uns besteht immerhin die Chance, dass er irgendwann auch auf die zwei, drei Bier verzichtet“, sagt Werner.

Rückfälle sind ein heißes Thema. „Ich war bereits 13 Jahre lang trocken, aber nur auf Druck von außen, aus Angst vor dem Jobverlust – aber der Schmacht war da“, erzählt Lothar Franzkowiak. Die Versuchung lauert überall, auch am Supermarktregal. Und irgendwann erlag er ihr. „Dann hab ich fünf Tage lang im Keller getrunken, ich war so tief unten, tiefer geht es nicht. Da hab ich begriffen, ich muss was für mich tun.“ Rückfälle könne aber auch helfen, merkt Peter Werner an. Bieten sie doch die Möglichkeit, die Sucht verstehen zu lernen.

Kontrolliertes Trinken funktioniere seiner Erfahrung nach nur eine gewisse Zeit. Ziel ist die freiwillige, „glückliche“ Trockenheit. Dazu gehöre, gegenüber seinem Umfeld gnadenlos offen zu sein und auf Verständnis zu hoffen, wenn man den Ouzo ablehnt, die Silvesterparty meidet und die Karnevalssitzung beizeiten verlässt. Notfalls müsse den Freundeskreis wechseln, sagt Peter Werner.

Die Belohnung ist ein neues, so viel besseres Leben. Als Peter Werner es geschafft hatte, hat er sich ein Motorrad gekauft.


Selbsthilfegruppen

Am 28. Dezember wird in allen Gottesdiensten im Evangelischen Kirchenkreis An der Agger für die Arbeit der Blaues-Kreuz -Selbsthilfegruppen gesammelt. Der Erlös dient besonders der Mitarbeiterschulung, den Themenfreizeiten für Betroffene von Suchtkrankheiten und ihre Familien sowie der Präventionsarbeit in Schulen, Jugendgruppen und im Konfirmandenunterricht. Im Evangelischen Kirchenkreis gibt es zwei Gruppen:

Begegnungsgruppe Dieringhausen, Ansprechpartner: Peter Werner, 0176/65 10 92 47, Lothar Franzkowiak, (0 22 61) 7 71 25, info@blaues-kreuz-dieringhausen.de

Blaues Kreuz in der Ev. Kirche, BKE Wiehl, Ansprechpartner: Michael Vorländer, 0152/ 29 53 27 76, blaues-kreuz-wiehl@online.de