Jeanette Overhoff und Marco Schmelzer bieten in Happach viele Lebensmittel aus der nahen Region an. Der Milchpreis ist derweil im Sinkflug.
PreisdruckLandwirtepaar aus Waldbröl trotzt Discounterketten mit eigener Milchtankstelle

Jeanette Overhoff und ihr Ehemann Marco Schmelzer führen in der Waldbröler Ortschaft Happach eine Milchtankstelle. In der urigen Fachwerkhütte sind aber auch viele andere Lebensmittel aus der Region zu haben.
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Diesmal ist Matthias Weise nicht vorbeigefahren. Eben hat er angehalten, jetzt möchte der Winterborner endlich wissen, was es da gibt in dem kleinen Fachwerkhaus am großen Kuhstall: Dort, am Rand des Waldbröler Weilers Happach, hat das Landwirtepaar Jeanette Overhoff und Marco Schmelzer eine urige Milchtankstelle eingerichtet. Die gibt es zwar schon seit 2018, aber erst ist neulich diese – ausgestattet mit flammneuer Technik – in die schmucke, rundum erneuerte Fachwerkhütte eingezogen, zuvor war sie in Containern untergebracht. Käse, Eier, Marmelade, Wurst, gefrorene Fleischwaren und Eis sind an den Automaten zudem zu haben.
Neukunde Weise ist begeistert, behutsam packt der 44-Jährige gerade Eier in einen Karton: „Ich möchte Regionales kaufen – und wenn ich damit örtliche Landwirte unterstütze, umso besser.“ Das hört Jeanette Overhoff gern. „Denn unser Ziel ist es, so viele Lebensmittel aus der Region wie möglich direkt zu vermarkten und nicht über den Handel.“

Matthias Weise aus Nümbrecht-Winterborn ist Neukunde. Für den ersten Einkauf in Happach hat er sich Eier ausgesucht.
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Das ist nicht nur ein Geschäftsmodell, sondern längst auch eine Überlebensstrategie in der Landwirtschaft: Zurzeit drücken Discounterketten massiv auf die Einkaufspreise von Molkereiprodukten, um mit Verkaufspreisen „wie zuletzt vor zehn Jahren“ zu werben – so viel kostet ein Pfund Butter seit Beginn dieses Monats 99 Cent. „Warenpreise wie 2015, aber zu den Produktionskosten von 2025, das kann nicht funktionieren“, sagt Overhoff (40). „Im November haben wir für einen Liter Milch nur noch 42 Cent erhalten, das ist fernab von kostendeckend.“
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Molkereien setzen den Milchpreis fest, den die Erzeugerinnen und Erzeuger am Ende bekommen
Die Summe, die an Landwirte ausgezahlt wird, bestimmen allein die Molkereien. „Darauf haben wir keinen Einfluss – nie wissen wir, was im nächsten Monat für unsere Milch bekommen“, schildert die Happacherin. 140 Milchkühe leben auf dem Hof, den sie mit Ehemann Marco Schmelzer (45) führt. Täglich gemolken werden etwa 120 Tiere.
Wie dramatisch die Lage inzwischen ist, betont unterdessen Franz Bellinghausen, Vorsitzender der Kreisbauernschaft in Oberberg und selbst Milcherzeuger in der Engelskirchener Ortschaft Haus Ley: „Es rollt eine Welle von Schließungen an, immer mehr landwirtschaftliche Betriebe werden aufgegeben.“ Das führe dann zu einem Rückgang der Milchmengen. „Und der sorgt wiederum dafür, dass die Preise im Geschäft schließlich wieder steigen.“ Er beziffert den Erzeugerpreis für einen Liter Milch auf derzeit 45 bis 42 Cent – „Tendenz weiter fallend“.

140 Milchkühe leben auf dem Hof von Jeanette Overhoff und Marco Schmelzer. Etwa 120 dieser Tiere werden täglich gemolken.
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Für Kundin Julia Kieweg ist der Einkauf in der Happacher Milchtankstelle auch ein Schwelgen in Erinnerungen an die Kindheit: „Solche Verkaufsstellen gab es damals in meinem Heimatort Kierspe“, erzählt die 33-Jährige, die mit ihrer Familie heute in Nümbrecht-Breunfeld lebt und zum Einkauf Söhnchen Emil (ein Jahr alt) und Opa Hubert mitgebracht hat. Mit großen Augen und viel Freunde steuert Emil auf die jungen, neugierigen Kälbchen zu, die gegenüber der Milchhütte stehen. Auch das ist Teil des Konzepts von Overhoff und Schmelzer: „Wir wollen Kindern zeigen, was Landwirtschaft wirklich ist“, erklärt Jeanette Overhoff. „Und auch, wie viel Arbeit dieser Beruf bedeutet.“
Waren im Sortiment stammen allesamt aus der näheren Nachbarschaft der Marktstadt Waldbröl
Das Sortiment in den Automaten stammt aus der Nachbarschaft der Marktstadt – Wurst und Fleisch etwa bringt der Metzger Gregor Rosenbaum aus Reichshof-Denklingen, die Milch im „Happacher Hoffkäs“ liefern die eigenen Tiere, hergestellt wird der Käse zurzeit von einer mobilen Käserei. Vom Hof Schneider in Morsbach-Alzen kommen die Eier, vom Eiscafé Thomas in Windeck-Schladern das Eis, von der Manufaktur Kirschliesl in Ruppichteroth-Oberlückerath die Marmeladen und Fruchtaufstriche. Und die Horbacher Mühle in Neunkirchen-Seelscheid stellt Mehle und Backmischungen her, die ebenfalls in Happach zu haben sind.
Die Milch indes ist auf vier Grad gekühlte Rohmilch, sie ist weder pasteurisiert noch homogenisiert und muss vor dem Verzehr abgekocht werden, auch sollte sie möglichst kühl und in einer sauberen Flasche transportiert werden – Pfandglas steht bereit. „Ab und an sollte man die Milch aus dem Kühlschrank nehmen und kräftig schütteln“, rät Jeanette Overhoff.
Gewählt wird die Ware entweder aus offenen Regalen oder per Fingerklick auf einem Bildschirm, bezahlen kann man mit Bargeld oder gängiger Karte. Geöffnet ist der Laden tagsüber und das an jedem Wochentag. Kundin Nicole Becker weiß nicht nur das zu schätzen: „So können Berufstätige auch mal sonntags vorbeikommen“, freut sich die 43-jährige Nümbrechterin. Sie hat die Arme voll mit gerade Gekauftem. „Mir ist es sehr wichtig, dass unsere Lebensmittel aus der Region kommen.“
Blick in die Historie und weitere Adressen im Oberbergischen Kreis
Milchtankstellen und Milchautomaten gibt es in Deutschland bereits seit den späten 1970er Jahren. Seit den 2010er Jahren aber nimmt ihre Zahlen kräftig zu. Denn immer wieder sinkt der Preis, den die Höfe für ihre Ware erhalten, dramatisch. 2015 etwa – auf dieses Jahr bezieht sich die aktuelle Butterkampagne des Discounters Lidl – gibt es nur noch 29 Cent, im Jahr danach erreicht der Preis mit rund 20 Cent sogar ein Rekordtief.
Betriebe, die Milch erzeugen, müssen beim Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt des Oberbergischen Kreises gemeldet sein. Dort wird auch eine Liste über die Milchtankstellen im Kreisgebiet geführt. Der zufolge sind an diesen Adressen in Oberberg solche Läden zu finden:
- Engelskirchen-Feckelsberg, Engelskirchener Straße 54-66, Landwirt Bruno Wiese
- Gummersbach-Hardt-Hanfgarten, Auf den Bruchswiesen 12, Mertenhof (Familie Merten)
- Lindlar-Altenlinde, Altenlinde 58, Altenlinderstall (Familie Spicher)
- Radevormwald, III. Uelfe 1, Hofladen Uelfetal (Familie Brüser-Pieper)
- Wipperfürth-Herweg, Herweg 1, Biohof Familie Kürten
- Wipperfürth-Ohl, Sauerlandstraße 12, Toffis Milchbar
- Wipperfürth-Vordermühle, Vordermühle 4, Vordermühlenhof (Familie Schuster)

