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Literatur am DomCaroline Peters und Saša Stanišić erzählen in Altenberg von Mutterschaft und hypnotisierten Bären

Lesezeit 7 Minuten
Moderator Denis Scheck
interviewt Saša Stanišić.

Viel gelacht wurde bei Saša Stanišićs Lesung auf dem Festival.

Beim Festival stellten beide Autoren ihre aktuellen Romane vor einem Publikum unter freiem Himmel vor.

Das Festival „Literatur am Dom“ geht in die nächste Runde. Diesmal mit dabei: die Autoren Caroline Peters und Saša Stanišić. Während Peters über Konflikte der Mutterschaft schreibt, erzählt Stanišić von einem Geschäftsmodell, bei dem man für 130 Euro in die Zukunft schauen kann. Das Publikum zeigt sich begeistert. Kein Wunder, verstehen die beiden es doch, ihre Geschichte auch auf der Bühne zum Leben zu erwecken.

„Willkommen, ihr Leseratten, zu unserem Literaturfestival im malerischen Dhünntal“, begrüßte Sema Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein die zahlreichen Gäste im ildyllischen Kräutergarten des Altenberger Küchenhofs. Die Lesung von Caroline Peters, die ihren Roman „Ein anderes Leben“ vorstellte, war restlos ausverkauft. Kurz darauf schlug die Vorsitzende des Fördervereins „Literatur am Dom“ vor, eine Sammlung exklusiver „Literatur am Dom“-Fächer zu starten, die jedes Jahr in einer neuen Farbe erscheinen würden und lud Stephan Santelmann (CDU), den Landrat des Rheinisch-Bergischen Kreises, auf die Bühne ein.

Es war ein mutiger Schritt, das Festival vor vier Jahren ins Leben zu rufen
Stephan Santelmann, Landrat des Rheinisch-Bergischen Kreises (CDU)

„Es war ein mutiger Schritt, das Festival vor vier Jahren ins Leben zu rufen“, bemerkte er begeistert und schlug vor, das entstandene Projekt weiter zu entwickeln und zu pflegen. Die engagierten Mitglieder des Vereins haben eindrucksvoll gezeigt, wie das funktioniert. Mit den beiden Kuratoren Karin Graf und Denis Scheck holten sie bedeutende Autoren der Gegenwart zum Altenberger Dom. Einhellig bescheinigen diese dem Festival seinen besonderen Charme und seine familiäre Atmosphäre – und das alles auf höchstem Niveau.

In ihrem bewegenden Roman „Ein anderes Leben“ beleuchtet Caroline Peters die komplexen Beziehungen innerhalb einer Familie. Im Zentrum der Geschichte steht die Mutter Hanna, eine Figur, die gleichermaßen Stärke und Zerbrechlichkeit verkörpert. Der Roman zeichnet ein vielschichtiges Bild einer Frau, die versucht, ihre eigenen Träume mit den Erwartungen an ihre Rolle als Mutter und Ehefrau in Einklang zu bringen. Peters erzählt mit großer Tiefe, Humor und beeindruckender Kraft.

Hanna räumt den Schrank des Grauens aus

Zurzeit spielt sie wieder im Ensemble des Wiener Burgtheaters, und wenn sie liest, wird man sofort in ihre Geschichte hineingezogen. Sie ist präsent und versteht es, den Text vor den Ohren des Publikums lebendig werden zu lassen. Die Figuren werden im Kopf real, man wird süchtig und wünscht sich, dass die Lesung niemals endet. So entsteht eine nahezu greifbare Szene, als Hanna mit ihren Töchtern den „Schrank des Grauens“ – den Flurschrank – ausräumt und die unzähligen Schals, Mützen und Handschuhe auf den Boden wirft. Die Töchter stopfen alles in die hintere Ecke des Einbauschranks und stapeln davor fein säuberlich die Handschuhe. Jetzt ist doch alles aufgeräumt.

Caroline Peters spricht in ein Mikrofon, vor ihr liegt ihr Buch, eine Brille und eine Wasserflasche.

Mit ausschwenkenden Bewegungen hauchte Caroline Peters ihren Figuren Leben ein.

In einer anderen Szene möchte Hanna sich außerhalb des Haushalts verwirklichen. Also verteilt sie die Mittagessen. Von da an gab es an zwei Tagen immer Pasta, an einem Tag Rührei, und der Vater „kochte“ im Wienerwald. Man ging gemeinsam dorthin, und die Kinder konnten von ihrem Taschengeld Essen kaufen. Auf die Nachfrage von Denis Scheck erzählt Peters: Die Geschichten sind von der eigenen Familie inspiriert, aber nicht unbedingt wahr. So erzählte Hanna immer, sie sei Schützenkönigin gewesen. Dabei war sie jedoch niemals Mitglied in einem Schützenverein. Und an den Schießbuden auf dem Jahrmarkt habe sie darauf bestanden, nicht zu schießen, schließlich wolle sie die Familie nicht düpieren.

Um den weißen Elefanten im Wohnzimmer drücken sich viele Familien irgendwie drumherum, ohne die eigentlichen Konflikte zu lösen
Caroline Peters, Autorin

Der Spagat zwischen Selbstverwirklichung und Mutterschaft: Hannas innerer Konflikt, ihre künstlerischen Ambitionen zu verfolgen, während sie sich um ihre Familie kümmert, ist ein zentrales Thema. Dabei erforscht die Autorin die oft schwierige und missverstandene Beziehung zwischen Hanna und ihrer Tochter, die geprägt ist von unausgesprochenen Wünschen und Projektionen.

Schließlich hinterfragt sie die gesellschaftlichen Ideale von Familie und Glück und zeigt, wie die Fassade eines scheinbar perfekten Lebens bröckeln kann, wenn die individuellen Bedürfnisse ignoriert werden. Sie benennt ihre Idee auf der Lesung: „Um den weißen Elefanten im Wohnzimmer drücken sich viele Familien irgendwie drumherum, ohne die eigentlichen Konflikte zu lösen.“

Ich war so ein richtiger Anti-Teenager: Die Wohnung meiner Eltern war voller Bücher, in meinen ersten fünf Wohnungen stand kein einziges
Caroline Peters, Autorin

„Ich war so ein richtiger Anti-Teenager: Die Wohnung meiner Eltern war voller Bücher, in meinen ersten fünf Wohnungen stand kein einziges“, erzählt Peters. In der Pandemie hörte ihr schauspielerisches Leben plötzlich auf. Da habe sie die Idee bekommen, auch für andere zu schreiben, nicht nur wie bisher für sich selbst. Denn im Gegensatz zur Schauspielerei, die sie für sich als Handwerk bezeichnet, ist Schreiben in manchen Aspekten für Peters therapeutisch.

Caroline Peters liest auf einer Bühne vor Publikum aus ihrem Roman.

Ausverkauft war die Lesung von Caroline Peters.

Gab es eigentlich Probleme, als du den Titel deines neuen Buches dem Verlag vorgeschlagen hast: „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne?“ fragte Moderator Denis Scheck Saša Stanišić. Der lachte kurz auf und meinte: „Nein, im Gegenteil. Nachdem ich gesagt hatte, bei einem solchen Titel kaufen alle das Buch, war der Verlag sofort einverstanden. “

130 Euro kostet ein Blick in die Zukunft

Stanišić ist ein Ausnahmetalent, das uns mit seinem neuen Roman zeigt, dass das Leben aus unzähligen Möglichkeiten, verpassten Chancen und wunderbaren Zufällen besteht. Dabei erzählt er nicht linear, sondern bietet ein funkelndes Mosaik aus Geschichten, die sich kunstvoll miteinander verweben. Im Zentrum steht die Idee eines „Proberaums für das Le ben“: Was wäre, wenn man zehn Minuten aus der eigenen Zukunft erleben könnte, um dann zu entscheiden, welchen Weg man einschlägt? Dieser spielerische Gedanke ist der rote Faden, der die unterschiedlichsten Figuren und Schicksale miteinander verbindet.

Im Roman entsteht die Idee an einem heißen Tag in einem Weinberg in Heidelberg. Fatih, Piero, Nico und Saša, vier Jungs um die 16, hängen ab. Da erklärt Fatih seine neue Geschäftsidee: Ein Proberaum für dein zukünftiges Leben. „Du bezahlst 130 Euro und bekommst zehn Minuten Zukunft“, erklärt er. „Wenn du die Zukunft magst, kannst du für 130.000 Euro einchecken. “ Blöd ist nur, erkennen die vier, wenn du kein Geld hast, um die Zukunft Wirklichkeit werden zu lassen.

Giesel hypnotisiert einen Bären – mit einer Zahnbürste

Eine ziemlich abgedrehte Idee, aber sehr attraktiv. Stanišićs Charaktere sind unscheinbar und doch so menschlich. Sie kämpfen mit Selbstzweifeln, verpassten Gelegenheiten, der Angst vor dem Scheitern und der Sehnsucht nach Glück. Der Autor stellt ihr Scheitern nicht aus, sondern begegnet ihnen mit liebevoller Ironie und großer Zärtlichkeit. Er verknüpft das Ernste mit dem Komischen, das Philosophische mit dem Alltäglichen und kreiert so eine Erzählwelt, die trotz aller Widrigkeiten optimistisch stimmt.

Sema Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein, Vorsitzende des Fördervereins „Literatur am Dom“, und Hubertus Prinz zu Sayn-Wittgenstein lächeln in die Kamera.

Vor Ort war natürlich auch Sema Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein, Vorsitzende des Fördervereins „Literatur am Dom“, mit ihrem Mann Hubertus Prinz zu Sayn-Wittgenstein.

Dabei spielt er mit dem Grotesken. Er stellt sich bei seiner Lesung auf die Bühne und präsentiert den Text lebendig. So nimmt er sein Publikum mit, zur Geschichte der Protagonistin Giesel. Einmal überlegt diese, dass es in Japan Menschen gibt, die man mieten kann, um sich zu treffen. Die Idee verwirft sie. Dafür Japanisch lernen? Dann lernt sie endlich einen Witwer kennen und trifft sich mit ihm. Doch bevor man Weiteres erfährt, bekommt sie ein Angebot von ihrer Schwägerin, nach Schweden zu kommen. Sie packt ihre Sachen, steigt ins Flugzeug. Das stürzt ab, sie überlebt, trifft auf einen Bären, den sie mit ihrer elektrischen Zahnbürste hypnotisiert und der ihr einen Apfel dann aus der Hand frisst. Abgedreht, aber sehr erfrischend.

Stanišić ist ein begnadeter Performer

Stanišić wurde 1978 in Višegrad, Bosnien, geboren. Er floh mit seinen Eltern vor dem Bosnienkrieg. Sie fanden in Heidelberg eine neue Heimat. Dieser Werdegang als Kriegsflüchtling prägte seine Identität und sein Schreiben maßgeblich. Man könnte seinen Weg als eine Art literarischen Bogen beschreiben: Vom Jungen, der in einer fremden Sprache seine ersten Gedichte schreibt und diese mit seinem Lehrer bearbeitet, hin zum gefeierten Schriftsteller, der für seine Werke mit den wichtigsten Preisen der deutschen Literatur ausgezeichnet wird, darunter der Deutsche Buchpreis für seinen Roman „Herkunft“. Seinem Lehrer, dem Herrn Nikisch, ist er bis heute dankbar, weil er sich gekümmert hat.

Doch Stanišićs Wirkung beschränkt sich nicht nur auf die gedruckte Seite. Wer ihn in Altenberg live erlebt hat, weiß, dass er ein begnadeter Performer ist. Seine Lesungen sind keine bloßen Vorträge, sondern wahre Live-Performances, die das Publikum fesseln. Mit seiner humorvollen Art, seinem schnellen Witz und seiner Fähigkeit, die Geschichten mit Leben zu füllen, verwandelt er Literatur in ein echtes Event. Zum Schluss hatte er fast ein schlechtes Gewissen, dass er die Zeit so überzogen hat. Doch Sema Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein, die Vorsitzende des ausrichtenden Vereins „Literatur am Dom“, und der sichtlich amüsierte Moderator Denis Scheck winkten ab. Bei Saša Stanišić bleibt man gerne länger.