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„Wie ein Vogel, ohne Motor, ohne Hilfsmittel“Gleitschirmflieger über das Fliegen im Siegtal

Lesezeit 4 Minuten
Eine Person fliegt mit einem Gleitschirm über das Siegtal.

Unter den Gleitschirmen liegt das Siegtal bei Hennef-Bülgenauel.

Die Stachelhardt bei Ruppichteroth ist die Startrampe für zahlreiche Gleitschirmflieger. Sie können nur fliegen, wenn der Wind genug Auftrieb gibt.

Minutenlang steht Vassilis Iosifidis auf der Startrampe, hundert Meter unter ihm erstreckt sich das Siegtal bei Hennef-Bülgenauel. Er spürt die Brise in seinem Gesicht, doch Iosifidis blickt auf den Windsack in einem Baum, der kurz hochweht.

Er reißt seinen Gleitschirm hoch, wie ein Schmetterling, der seine Flügel ausbreitet. Der Schirm sackt zusammen, wieder vergehen Minuten. Dann frischt eine Böe auf: Der Flieger nimmt Anlauf und springt ab – und der Gleitschirm schwebt über das Siegtal davon.

Bei sonnigem Wetter und vor allem gutem Wind treffen sich auf der Stachelhardt in Ruppichteroth zahlreiche Gleitschirmflieger und -fliegerinnen des Delta Club Rheinland. Von der Bergkuppe starten sie zu teils stundenlangen Rundflügen über das Siegtal – so lange der Wind ihnen Auftrieb gibt.

Anders als in den Alpen haben wir hier keine breite, freie Wiese, auf der man 200 Meter Anlauf nehmen kann.
Michael Franssen, Delta Club-Mitglied

An diesem Mittag sind etwa zehn Flieger vor Ort, die meisten kennen sich. Die Stachelhardt ist ein sogenanntes B-Schein-Gelände: Für den Absprung ist eine spezielle Berechtigung erforderlich. „Anders als in den Alpen haben wir hier keine breite, freie Wiese, auf der man 200 Meter Anlauf nehmen kann. Deswegen müssen wir warten, bis der Schirm stabil über dem Flieger steht – dann kann man sicher starten“, erklärt Delta Club-Mitglied Michael Franssen aus Lohmar.

In der Luft befinden sich die Pilotinnen und Piloten in liegender Position. Über verschiedene Schnüre können sie den Gleitschirm steuern. Nach links, nach rechts, nach unten – alles kein Problem. „Nur nach oben sind wir auf den Wind angewiesen. Weht er stark genug, können wir stundenlang in der Luft bleiben oder hunderte Kilometer weit fliegen“, sagt Detlef Gowitzke aus Engelskirchen.

Eine Person stößt sich mit ein paar Schritten vom Boden ab, um mit dem Gleitschirm loszufliegen.

Wenige Schritte, dann hebt der Gleitschirm bei optimalen Windbedingungen ab.

Der Wind ist an diesem sonnigen, warmen Frühlingstag nicht so stark, wie die Flieger es bräuchten. Ein Windsack an einem Baum rechts der Startrampe und ein Windmesser im Baum links zeigen die Windgeschwindigkeit an. „Der Windmesser übermittelt uns die Daten auf eine App – die Zeiten, in denen wir auf gut Glück hierhin fuhren, sind vorbei“, sagt der 68-Jährige.

Ohne Beschränkungen sind Gleitschirmflieger auf rund 2000 Metern unterwegs

Wie hoch die Gleistirmflieger steigen dürften, sei genau festgelegt. „Es sind 2500 Fuß, also 762 Meter. Höher dürfen wir nicht, weil wir sonst in die Anflugzone des Flughafens geraten. Das wäre an sich kein Problem, wir können uns aber bei der Flugsicherung nicht anmelden“, erklärt Gowitzke. „762 Meter ist die Angabe über dem Meeresspiegel – hier in Ruppichteroth sind wir ja schon auf fast 200 Meter. Letztlich ist es also weniger“, sagt er.

Ohne Beschränkungen seien Gleitschirmflieger meist auf knapp 2000 Metern unterwegs, in Gebirgen wie den Alpen stiegen manche sogar auf 3500 Meter auf. „Da, wo warme feuchte Luft kondensiert, ist die Basis. Das erkennt man gut an Quellwolken. Meist ist die Wolkendecke die Grenze, weil man da nichts mehr sieht und sich nicht mehr orientieren kann.“

Das Ziel ist, höher zu kommen. Dass man sich wie ein Vogel durch den Auftrieb der Thermik bewegt, ohne Motor, ohne Hilfsmittel.
Timo Schumacher aus Windeck

Die Berge sind auch das Zuhause von Timo Schumacher aus Windeck. Hier kommt er her, doch die meiste Zeit des Jahres verbringt er in Tirol, wo er als Gleitschirmfluglehrer arbeitet. „Das allererste Mal vor 13 Jahren war schon kribbelig. Das Ziel ist, höher zu kommen – das ist auch das Faszinierende daran: dass man sich wie ein Vogel durch den Auftrieb der Thermik bewegt, ohne Motor, ohne Hilfsmittel“, sagt der 27-Jährige. Er trägt einen Gleitschirm für Wettkämpfe, der den Beinamen ‚Submarine‘, also Unterseeboot trägt. Zehn Kilo wiegt das Teil.

Mehrere Minuten verharrt Schumacher auf der Startrampe, ehe der Wind günstig steht. Während des Starts zieht er den Schweif seines Schirms aus der Brusttasche, den er zuvor über die Schulter dort hineingestopft hatte. Als er davon gleitet, wird deutlich, warum sein Gleitschirmmodell „Unterseeboot“ heißt: Er sieht tatsächlich aus wie ein U-Boot oder ein Flugzeug ohne Tragflächen.

Timo Schumacher wartet auf eine steife Böe, um seinen Gleitschirm emporreißen zu können.

Timo Schumacher wartet auf eine steife Böe, um seinen Gleitschirm emporreißen zu können.

Schumacher dreht umgehend eine Kurve nach rechts. Einige Minuten bleibt er unterwegs, geht dann irgendwann außer Sichtweite am Siegufer herunter. Den Weg nach oben müssen die Gleitschirmflieger laufen. 20 Minuten später kommt der sportliche junge Mann mit freiem Oberkörper nach oben gejoggt, den Gleitschirm auf den Rücken geschnallt. Wieder anziehen, noch eine Runde.

Über der Landewiese in Bülgenauel, die der Verein gepachtet hat, kreisen Vögel. „Das sind Rotmilane. Die nutzen die Thermik genau wie wir, deswegen versuchen wir, ihnen hinterher zu fliegen. Sie zeigen dabei weder Angst noch sind sie aggressiv“, sagt Michael Franssen. Der nächste Flieger hebt ab. Minutenlang hat er auf den perfekten Moment gewartet. Ein breites Lächeln huscht über sein Gesicht, als er davon schwebt.