Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

„Ich kann nicht raus gehen“Blinder Geflüchteter ringt in Niederkassel mit Isolation

Lesezeit 5 Minuten
Saleh Bilal (45) ist blind und aus Syrien geflohen.

Saleh Bilal (45) ist blind und aus Syrien geflohen.

Saleh Bilal ist aus Syrien geflohen und blind. In Niederkassel kämpft er mit Einsamkeit, Isolation, Bürokratie und Barrieren.

„Seit einem Jahr esse ich zum Frühstück, Mittagessen und Abendessen nur Brot mit Käse“, sagt Saleh Bilal. Er spricht über das Jahr, seitdem er in Deutschland lebt. Der 45-jährige Vater von drei Töchtern ist aus Syrien geflohen und lebt heute in der Gemeinschaftsunterkunft in Niederkassel-Ranzel. „In Syrien war ich blind. In Deutschland bin ich blind und taub“, sagt Saleh Bilal. Abbas Obaid, Mitglied des Niederkasseler Integrationsrats und ehrenamtlich engagiert bei InterKultur Niederkassel, hat das Gespräch mit Saleh Bilal übersetzt.

„Ich kann nicht deutsch sprechen. Ich habe keinen Kontakt, ich kenne niemanden hier.“ Diese Worte sagt Bilal in gebrochenem Deutsch. Etwas von der Sprache hat er in dem einen Jahr gelernt - wenn man ihn fragt, wie, zeigt er auf sein Ohr. „Wenn ich noch sehen könnte, wäre ich bestimmt schon bei B2.“ Er wünscht sich, auch seine Frau und seine Töchter nach Deutschland bringen zu können; er habe große Hoffnungen gehabt in das Leben in einem Staat, wo die Menschenrechte gelten. 

Ehrenamtliche Helfer kommen an die Grenzen ihrer Kapazitäten

„Viele Menschen hier besuchen Deutschkurse, können raus gehen, aktiv sein. Ich kann das nicht, ich kann nur zu Hause sein“, sagt Saleh Bilal. Er lebt gemeinsam mit zwei weiteren Personen in einer kleinen Wohnung auf dem Gelände des ehemaligen Mobau-Baumarktes. Ab und zu verlasse er das Haus, um eine Zigarette zu rauchen, manchmal bringen ihm Bekannte etwas zu Essen oder eine neue Zahnbürste mit. Wenn er raus gehe, um sich zu bewegen, verlaufe er sich oft. Dann frage er Menschen auf der Straße nach Hilfe, manchmal müsse er ein teures Taxi nehmen, für das er eigentlich kein Geld habe.

Saleh Bilal mit Abbas Obaid, der das Gespräch übersetzt hat.

Saleh Bilal mit Abbas Obaid, der das Gespräch übersetzt hat.

Saleh Bilals Gesicht hellt sich auf, als er anfängt, über die Interkultur-Cafés der ehrenamtlichen Integrationsinitiative InterKultur Niederkassel zu sprechen: „Wunderbar!“. Er warte die ganze Woche immer den Montag und Donnerstag ab – die Tage, an denen er hier mit Menschen ins Gespräch kommen, über seine Probleme sprechen kann. Das gebe ihm immer wieder Hoffnung.

Viele Menschen hier besuchen Deutschkurse, können rausgehen, aktiv sein. Ich kann das nicht, ich kann nur zu Hause sein.
Saleh Bilal

Um die Herausforderungen zu bewältigen, auf die Saleh Bilal in seinem Alltag stößt, haben Ehrenamtliche leider keine Kapazitäten, sagt Matthias Ferring, Sprecher von InterKultur Niederkassel. „Wir tun unser Bestes, um ihm zur Seite zu stehen. Aber ein solcher Fall ist schwer, weil er ja eigentlich rund um die Uhr Hilfe brauchen würde.“ Ein Ziel des Vereins InterKultur Niederkassel sei, vermehrt auch Ehrenamtliche mit Fluchtgeschichte einzubinden, um Menschen wie Bilal durch Übersetzungen im Alltag zu unterstützen. „Das ist unsere einzige Chance und die einzige Brücke, die wir sehen.“

Bei Arztterminen jedoch sind ehrenamtliche Dolmetscher aus versicherungstechnischen Gründen nicht zugelassen, sagt Ute S., die ihren Nachnamen aus persönlichen Gründen nicht nennen möchte und Saleh Bilal ehrenamtlich unterstützt. Das Organisieren von Dolmetschern sei in ihrer Arbeit mit die größte Herausforderung, da hier viel zu wenige zur Verfügung stünden.

Käme er nicht aus Syrien, wären eine Aufenthaltserlaubnis und unterstützende Mittel in Sichtweite

Saleh Bilal verfügt über eine Aufenthaltsgestattung, was bedeutet, dass er sich in einem nationalen Asylverfahren befindet. Da sein Herkunftsland Syrien ist, ist dieses Asylverfahren jedoch aktuell auf Eis gelegt. Würde er nicht aus Syrien kommen, wäre eine Aufenthaltserlaubnis in Sichtweite, so die Ehrenamtliche - „dann stünde ihm unter anderem das Blindengeld vom LVR zu“.

Im Asylbewerberleistungsgesetz ist zwar festgehalten, dass Geflüchtete mit Behinderung in Deutschland zusätzliche Rechte haben - „Aber es ist eben alles Aufwand und irgendwer muss das machen. Und leider dauern solche Dinge“, sagt Ute S. Seit einem halben Jahr bemühe sie sich, ein Mobilitätstraining mit Blindenstöcken für Saleh Bilal zu organisieren, was mittlerweile endlich in Aussicht sei.

Matthias Ferring von der „InterKultur Niederkassel“ und Saleh Bilal: Die Angebote der ehrenamtlichen Initiative geben dem Geflüchteten Hoffnung.

Matthias Ferring von der „InterKultur Niederkassel“ und Saleh Bilal: Die Angebote der ehrenamtlichen Initiative geben dem Geflüchteten Hoffnung.

Auch das Beantragen seines Schwerbehinderungsausweises zieht sich nun schon über mehr als ein halbes Jahr. Der wäre wichtig, damit Bilal öffentliche Verkehrsmittel vergünstigt nutzen kann, so die Ehrenamtliche. Operationen zum Erhalt seiner Restsehkraft müssen zuerst durch das Kreissozialamt genehmigt werden, was ebenfalls einige Zeit dauern könne.

Wir tun unser Bestes, um ihm zur Seite zu stehen. Aber ein solcher Fall ist schwer
Matthias Ferring, Sprecher von InterKultur Niederkassel

Auf dem linken Auge ist Saleh Bilal von Geburt an blind, das rechte wurde mit der Zeit immer schlechter, heute hat er auch hier nur noch eine Sehkraft von zwei Prozent. Die Flucht sei ihm immer mit der Hilfe anderer Flüchtender gelungen, erzählt der 45-Jährige. Über Lybien, Italien und die Schweiz kam er zunächst nach Bielefeld.

Dort habe er einen Arzt besucht, der ihm eine Bescheinigung ausgestellt habe, mit der er vom Sozialamt eine barrierefreie Wohnung zur Verfügung gestellt bekommen solle. Seit er in Niederkassel lebt, sei er häufig zum Sozialamt gegangen, habe wieder und wieder nach der Möglichkeit einer barrierefreien Unterbringung gefragt, aber der ärztliche Bescheid habe nichts geholfen, sagt Saleh Bilal: „Ich werde langsam müde über die Situation.“

Die Stadt Niederkassel würde Saleh Bilal gerne beim Finden einer geeigneten Unterkunft unterstützen, sagt hingegen Fachbereichsleiter und Stadtsprecher Markus Thüren. „Der Mobau, den wir umgebaut haben, ist insofern barrierefrei, dass er ebenerdig ist“, so Thüren, „speziell für Menschen mit Sehbehinderung müssten wir dann prüfen, wie genau so eine Wohnung aussehen wollte - aber das wäre ja umsetzbar“.

Auch die Möglichkeit eines Sprachkurses für Menschen mit Sehbehinderung sei möglich. Der städtische Sozialdienst helfe beim Ausfüllen von entsprechenden Anträgen. „Gerne kann Herr Bilal in mein Büro im Rathaus kommen - ich bin sehr sicher, dass wir Lösungen finden werden“, sagt Markus Thüren.