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Digitale ArchivierungAm Siegburger Standort der Lebenshilfe schrumpfen Aktenberge

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Ein Mann mit schwarzer Baseballkappe an einem Arbeitstisch mit Büromaterialien.

Die Rhein Sieg Werkstätten der Lebenshilfe übernehmen in der Intec die Digitalisierung von großen Aktenbeständen aus der öffentlichen Verwaltung und von privaten Kunden. 

Bei der Intec arbeiten überwiegend Menschen mit psychischen Erkrankungen. Ziel ist ihre Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Wer hier rein möchte, muss nicht nur Sicherheitsschuhe tragen, sondern auch die Datenschutzvereinbarung unterschreiben. Es gilt ein Handyverbot und die Beschäftigten sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Alltag in einer Werkstatt der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung? In dieser schon.

„Hier ist einiges anders“, sagt kurz nach der Begrüßung Stefan Schlichenmeier, Gruppenleiter in der Aktendigitalisierung der Intec, einem Standort der Rhein Sieg Werkstätten der Lebenshilfe. Hinter der schweren Metalltür arbeiten Menschen mit psychischen Erkrankungen, die teilweise auch schon in Berufen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt waren. Bis, so Schlichenmeier, „welches Schicksal auch immer sie aus der Bahn geworfen hat.“

In Siegburg beschäftigt die Lebenshilfe Menschen mit anspruchsvolleren Aufgaben

Seit 2010 gibt es die Intec. Mit den anspruchsvollen Aufgaben reagierte man auf die unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Beschäftigten: Psychisch Erkrankte brauchen keine Kommunikation in einfacher Sprache, auf der anderen Seite geht es hier ruhiger zu als in anderen Abteilungen unter demselben Dach. 

Ein Mann mit Glatze neben einem Tisch mit blauen und roten Kisten aus Kunststoff. In der Hand hält er einen Aktendeckel.

Stefan Schlichenmeier ist Gruppenleiter in der Abteilung Archivierung der Intec.

Hier ist richtig, wer nicht so viel körperliche Tätigkeit braucht. Drängt es einen der insgesamt 35 Mitarbeitenden dennoch nach Bewegung, streut man vielleicht eine Besorgung in einer anderen Gruppe ein. Steigt der Stresspegel, hilft vielleicht eine Pause vor dem Aquarium, die Spannung abzubauen. „Unsere erste Priorität ist, dass wir alles für die Beschäftigten tun“, betont auch Anja Poprawka, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Lebenshilfe.

Rhein-Sieg-Kreis gehört zu den Auftraggebern

2012 wurden die ersten Akten im Auftrag von Kunden digitalisiert. Inzwischen zählen unter anderem der Rhein-Sieg-Kreis und der Rheinisch-Bergische Kreis zu den Kunden, die Stadt Leverkusen oder private Auftraggeber wie ein Dentallabor oder ein Betrieb für Elektroinstallationen. „Der Generationswechsel spielt uns in die Hände“, hat Schlichenmeier festgestellt: Junge Chefinnen und Chefs „wollen keine Akten mehr wälzen.“

In verplombten Kisten kommt in die Halle im Gewerbegebiet Am Turm in Siegburg, was digitalisiert werden soll. Akte für Akte entnehmen die Beschäftigten, befreien die Unterlagen von Heftungen und Büroklammern. Jedes Blatt wird auf eventuelle Beschädigungen geprüft, Risse mit Klebeband geflickt. „Damit weder die Akten noch der Scanner Schaden nehmen“, erklärt Stefan Schlichenmeier die zeitaufwendige Prozedur. Das eigentliche Digitalisieren geht dann schnell: Bis zu 150 Seiten in einer Minute schaffen die Geräte – wenn denn alles gut vorbereitet ist.

Von Anfang an wird jeder Arbeitsschritt sorgsam dokumentiert, Kundenwünsche werden berücksichtigt: Die einen Auftraggeber wollen auch Klebezettel auf den Schriftstücken erfasst haben, andere bestellen die Einzelblattsichtung. „Die de luxe-Version“, so Schlichenmeier. „Die Maschine erkennt nur Maschinenschrift“ und könne die Blätter im Zweifelsfall auch drehen. Bei handschriftlichen Texten müsse das in Handarbeit geschehen.

Die Rhein Sieg Werkstätten der Lebenshilfe übernehmen in der Intec die Digitalisierung von großen Aktenbeständen aus der öffentlichen Verwaltung und von privaten Kunden.
Stefan Schlichenmeier ist Gruppenleiter dort

Die Rhein Sieg Werkstätten der Lebenshilfe übernehmen in der Intec die Digitalisierung von großen Aktenbeständen aus der öffentlichen Verwaltung und von privaten Kunden. Stefan Schlichenmeier ist Gruppenleiter dort

Möglichst exakt muss das Digitalisat das Original wiedergeben, um auch gerichtsfest zu sein. So werden Reisepässe aus dem Ausländeramt stets komplett kopiert, einschließlich der leeren Seiten. Durcheinander geratene Seiten bleiben in dieser Unordnung. Das, so Schlichenmeier, falle manchem der Beschäftigten zum Beispiel mit einer Zwangsstörung richtig schwer. Schlichenmeier selbst kam nach 17 Jahren in der IT-Branche 2018 zur Lebenshilfe, seit dem vergangenen Jahr ist er nach einer entsprechenden Qualifikation geprüfte Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung. 

Kunden entscheiden, ob sie die Akten aus Siegburg zurückbekommen

Immer mehr Beschäftigte könnten auch die abschließende Plausibilitätsprüfung selbständig erledigen, freut sich Stefan Schlichenmeier über die zunehmende Qualifizierung. Die EDV prüft, ob alle Akten tatsächlich erfasst wurden. Ob die Unterlagen danach wieder an den Kunden zurückgehen oder – selbstverständlich datenschutzkonform – vernichtet werden, entscheiden die Kunden. 

Auftraggeber, deren Zahl zunimmt. „Da tut sich was,“ erklärt der Gruppenleiter. Die Ämter seien seitens des Landes angehalten, ihre Akten zu digitalisieren, die Kommunen sollen mit Werkstätten für Menschen mit Behinderung kooperieren. „Sie können ihre Kosten dann auf die Behindertenquote anrechnen“; die Digitalisierung könne die Intec „garantiert günstiger“ leisten als Anbieter auf dem freien Markt. Aber auch die Intec sei in den vergangenen Jahren selbstbewusster geworden, habe ihre Kompetenz bewiesen.

Unser Job ist die Unterstützung und Förderung, die Aufträge helfen uns dabei
Stefan Schlichenmeier, Gruppenleiter

In der Entlohnung der Beschäftigten schlägt sich das bislang nicht wirklich wieder. „Viel zu wenig“, verdienten die Männer und Frauen, sagt Stefan Schlichenmeier; zwischen 150 und 300 Euro, je nach Arbeitszeit, sind das monatlich. Das dürfe man eigentlich gar nicht Lohn nennen, sei aber gesetzlich so vorgeschrieben. 90 Prozent des erwirtschafteten Geldes müssen demnach auch als Lohn ausgeschüttet werden, weiß Anja Poprawka; 98 Prozent sind es bei der Lebenshilfe. 

Eines Tages wieder oder erstmals  im allgemeinen Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden, wünschen sich die meisten Beschäftigten hier. „Sie wollen ihr Leben wieder in die Hand nehmen“, sagt Stefan Schlichenmeier. „Unser Job ist die Unterstützung und Förderung, die Aufträge helfen uns dabei.“