Die Kritik am Videobeweis wird lauter. Bei der aktuellen U17-WM können die Trainer bestimmen, wann Situationen überprüft werden sollen.
Eine Alternative zum Videobeweis?So funktioniert die „Challenge“ bei der U17-WM

U17-Nationaltrainer Marc-Patrick Meister diskutiert mit dem Schiedsrichter nach einer eingeforderten Challenge.
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In den vergangenen Wochen war der Videobeweis vielen Verantwortlichen und Zuschauern ein Dorn im Auge. Millimetergenaue Abseitsentscheidungen, wechselnde Auslegungen der Handspielregel, mal Eingriffe, mal Schweigen der Technik – das System wirkt unübersichtlich.
Videobeweis sorgt für Kritik
Die Schiedsrichter geraten zusätzlich in den Fokus, weil Vertrauen in ihre Tatsachenentscheidungen schwindet. Besonders deutlich zeigte sich die Unzufriedenheit in der zweiten Runde des DFB-Pokals. Beim 1:4 des 1. FC Köln gegen den FC Bayern stand Luis Díaz beim Ausgleich klar im Abseits. Auch im Duell zwischen Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund (4:2 n.E. für BVB) erzielten die Dortmunder ein Tor aus abseitsverdächtiger Position. Beides blieb ungeprüft, weil der Videobeweis in dieser Pokalrunde nicht vorgesehen ist. Der DFB verweist seit Jahren auf die hohen technischen Anforderungen: Viele Stadien der Drittligisten, Regionalligisten oder Amateurvereine verfügen nicht über die nötige Infrastruktur. Und selbst wenn der Videobeweis im Einsatz ist, sorgte er für Ärger.
Kölns Trainer Lukas Kwasniok erklärte nach der 1:3-Niederlage gegen Borussia Mönchengladbach im Rheinderby, er „hasse den Videobeweis“, nachdem zwei zweifelhafte Strafstöße gegeben worden sind. Unions Trainer Steffen Baumgart zeigte sich über einen aberkannten Führungstreffer gegen die Bayern fassungslos und sprach von Entscheidungen, bei denen man „Lack gesoffen haben“ müsse.
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Währenddessen testet die Fifa bei der U17-Weltmeisterschaft in Katar ein Modell, das sich bewusst vom klassischen Videobeweis absetzt: die sogenannte „Challenge“. Sie gibt den Trainern ein begrenztes Eingriffsrecht. Jeder der Coaches besitzt zwei Karten, mit denen er eine Überprüfung erzwingen kann – bei Toren, Strafstößen, Roten Karten und bei Verwechslungen von Spielern bei persönlichen Strafen. Einen übergeordneten Videokeller wie in Köln gibt es nicht. Der Impuls kommt ausschließlich vom Trainer, der Schiedsrichter begibt sich dann selbst zum Monitor am Spielfeldrand. Der Ablauf ist strikt geregelt. Die Challenge muss unmittelbar nach der strittigen Szene angemeldet werden: ein kreisender Finger in der Luft, dazu die Herausgabe der Karte an den vierten Offiziellen.
Wird ein Fehler korrigiert, erhält der Trainer die Karte zurück. Beim 16:0 Marokkos gegen Neukaledonien in der U17-WM korrigierte der Schiedsrichter nach einer Challenge die Spielfortsetzung und zeigte die Rote Karte für einen Neukaledonien-Spieler. Die Methode ist deutlich günstiger als ein vollständiger Videobeweis und deshalb vor allem für Ligen interessant, deren Klubs nicht über mehrere Kameras und verlässliche Übertragungstechnik verfügen. Fifa-Schiedsrichterchef Pierluigi Collina betont, die Challenge sei kein Ersatz, aber eine „Hilfe für Wettbewerbe mit weniger Ressourcen“.
Jeder Trainer kann eingreifen
Unklarheiten gibt es weiterhin Problematisch ist die Begrenzung auf zwei Eingriffe. Verbraucht ein Trainer beide Karten und bestätigt der Monitor die ursprüngliche Entscheidung, hat er später keine Möglichkeit mehr, eine klare Fehlentscheidung prüfen zu lassen. Das Risiko steigt, zumal in vielen Stadien nur wenige Kameraperspektiven zur Verfügung stehen und selbst eindeutige Szenen schwer zu beurteilen sind. Trotzdem wächst das Interesse. Neben der Fifa testen inzwischen auch die dritte italienische und spanische Liga das Verfahren – mit dem Versuch, mehr Transparenz zu schaffen, ohne die Kosten zu sprengen.
Der klassische Videobeweis wirkt dagegen wie ein System, das im Profifußball verankert ist, aber in vielen Situationen an seine Belastungsgrenzen stößt. Seit seiner Einführung 2017/18 wurden zwar unzählige Fehler korrigiert, doch ebenso viele Diskussionen ausgelöst. Immer wieder entsteht der Eindruck, dass Maßstäbe zur Beurteilung von spielentscheidenden Situationen zwischen Spielen oder sogar innerhalb einer Partie schwanken. Die Challenge könnte den Graubereich verkleinern.
Sie zwingt Trainer, Verantwortung zu übernehmen, und gibt ihnen die Möglichkeit, offensichtliche Fehlentscheidungen zu verhindern, ohne den Spielfluss dauerhaft zu stören. Vielleicht würde sie den deutschen Fußball nicht revolutionieren. Aber sie könnte ihm ein Stück Ruhe zurückgeben – und sei es nur, weil die Debatten dann klarer geführt werden.

