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Vor Pokal-Halbfinale in KölnAlemannia Aachen hat unruhige Monate hinter sich

Lesezeit 4 Minuten
Ein Fußballtrainer versucht, seine Mannschaft zu beruhigen.

Zuletzt fiel es bei der Alemannia nicht immer leicht, die Gedanken rein aufs Sportliche zu richten. 

Am Mittwoch trifft Fortuna Köln im Halbfinale auf einen Gegner, dessen sportliche Entwicklung von einem Hooligan-Prozess überschattet wurde.

Fast ein Jahr ist es her, da rundete das Finale des Mittelrheinpokals den vorläufigen Höhepunkt der jüngeren Vereinshistorie von Alemannia Aachen ab. Abwehrmann Sasa Strujic hatte gegen den Bonner SC in der Nachspielzeit das erlösende 4:2 erzielt und den Titelgewinn besiegelt. Dem bereits einen Monat zuvor geglückten Aufstieg in die Dritte Liga folgte damit auch die Teilnahme an der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals. Nach elf Jahren viertklassiger Tristesse war die Alemannia zurück auf der bundesdeutschen Fußballbühne.

Im August vergangenen Jahres musste der TSV in der ersten Pokalrunde dann zwar eine bittere Niederlage gegen Holstein Kiel hinnehmen, die zwischenzeitliche Führung ließ dennoch kurz Erinnerungen an umjubelte Siege gegen Bayern München oder gar das Finale von 2004 in Berlin wach werden. Damit es in absehbarer Zukunft zu vergleichbaren sportlichen Höhepunkten kommen kann, muss Aachen am Mittwoch im Südstadion (19 Uhr) die Hürde Fortuna Köln nehmen. Eine Qualifikation über einen vorderen Tabellenrang der Dritten Liga ist angesichts von Platz elf aktuell jedenfalls unwahrscheinlich.

Zuschauermagnet Alemannia Aachen

Nichtsdestoweniger ist die bisherige Saisonleistung des Aufsteigers sehr respektabel. Am Samstag gelang es mit dem 2:1-Heimsieg gegen Sandhausen, den Vorsprung auf einen Abstiegsplatz auf sechs Punkte zu vergrößern. Allgemein war die Mannschaft von Trainer Heiner Backhaus an den vorherigen 32 Spieltagen eigentlich nie chancenlos, nur zwei Teams fingen weniger Gegentore. Dass das große Ziel Klassenerhalt nach wie vor nicht erreicht ist, liegt an der schlechten Offensive: In der Statistik der erzielten Tore ist Aachen mit 36 Treffern Schlusslicht. Darüber hinaus teilte sich kein Verein häufiger die Punkte.

Das meist ausbleibende Spektakel tut der Euphorie rund um den Tivoli keinen Abbruch. Die Alemannia hat den zweitbesten Zuschauerschnitt der Liga, einzig Spitzenreiter Dynamo Dresden lockt noch mehr Besucher ins Stadion. „Das ist unsere große Waffe, diese Energie“, unterstrich Backhaus nach dem Pokal-Aus gegen Kiel den Stellenwert der eigenen Fans, die für eine erstligareife Atmosphäre gesorgt hatten. Wie sehr ihn ein Anhänger allerdings noch in Bedrängnis bringen würde, ahnte der Aufstiegstrainer zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht.

Vereinsquerelen rund um Gewaltvideo

Der Hooligan Kevin P. geriet Anfang des Jahres bundesweit in die Schlagzeilen, weil er kurz vor Weihnachten 2023 einen Mann im Aachener Rotlichtmilieu mit einem Baseballschläger und Fußtritten gegen den Kopf misshandelte. Dass dieser Fall so hohe Wellen schlug, lag aber nicht nur an der brutalen Gewalttat, sondern auch an der Tatsache, dass der mittlerweile Verurteilte ein Video davon an hochrangige Verantwortliche der Alemannia verschickte: Dem inzwischen zurückgetretenen Aufsichtsratsvorsitzenden Marcel Moberz und Trainer Backhaus.

Während Letzterer vor Gericht plausibel darlegen konnte, das Video zwar erhalten, aber nicht heruntergeladen beziehungsweise gesehen zu haben, soll es Moberz nicht nur goutiert, sondern auch verbreitet haben. Gegen ihn ermittelt die Aachener Staatsanwaltschaft genauso, wie gegen den ehemaligen Verwaltungsratschef Dieter Lübbers, der Kevin P. laut einem Bericht von „Zeit Online“ privat als Schläger angeheuert haben soll. Er sei erstmals mit Kevin P. in Kontakt gekommen, als dieser den Verein um Unterstützung für ein soziales Projekt gebeten habe, das Bedürftigen in Aachen eine kostenlose Mahlzeit anbietet, erklärte Backhaus. In diesem Zusammenhang habe er auch seine Handynummer weitergegeben.

Backhaus fühlte sich nicht geschützt

„Ich habe an dem Abend nicht gewusst, wer dieser Mensch war und im Nachgang hätte man mich da schützen müssen vor, wenn das jemand gewusst hätte, wer dieser Mensch war“, machte der 43-Jährige keinen Hehl aus seiner Enttäuschung über den Umgang der Vorgesetzten mit diesem Thema. Doch nicht nur wegen der Nähe von Vereinsfunktionären zu einem führenden Kopf der Aachener Hooligans, hat der Ruf der Alemannia in der Vergangenheit gelitten.

Als die publik gewordenen „Remigrationspläne“ von AfD-Politikern und Rechtsextremen im Januar 2024 für massive Proteste in Deutschland sorgten, hatte der Club unter Verweis auf ein Plakat mit der zweideutigen Aufschrift „AfDler töten“ ein solidarisches Statement zu der Demonstration in Aachen vermieden und mitgeteilt, nicht an der „Spaltung der Gesellschaft“ teilnehmen zu wollen. Auch wenn sich der Verein einen Tag später für die Formulierung entschuldigt und ausdrücklich von der AfD distanziert hatte, verfestigte sich der Eindruck eines mindestens zu saloppen Umgangs mit Rechtsextremismus.

Während sich die Alemannia also wieder sukzessive im überregionalen Profisport etabliert, besteht abseits des Rasens noch erheblicher Nachholbedarf bei der Professionalisierung.